Der Lieferservice Instacart schickt Privatpersonen in den Supermarkt einkaufen und die Waren zu Bestellern liefern. Das Start-up-Unternehmen hat bei einer Finanzierungsrunde 220 Millionen Dollar eingespielt – und gilt als richtungsweisend für eine Zukunft, in der immer mehr Waren direkt nach Hause geliefert werden.
In der Vorstellung der Wagniskapitalgeber wird die Welt von morgen deutlich angenehmer – und kommoder. Das liegt vor allem an der sogenannten «On-Demand-Economy»: Eine Gruppe neuer Start-ups will dem Verbraucher Produkte direkt nach Hause liefern. Ob Lebensmittel, Getränke oder Autos – der Einkauf kommt zum Kunden.
Das US-Start-up Instacart heuert Privatpersonen an, um von Nutzern online bestellte Waren im Supermarkt einzukaufen und anschliessend auszuliefern. Im Silicon Valley gilt es als das «nächste grosse Ding». Instacart hat bei einer Finanzierungsrunde kürzlich 220 Millionen Dollar eingenommen, u.a. von Sequoia Capital, Byers und Andreessen Horowitz. Wenn der Wagnis-Kapitalgeber Horowitz in ein Start-up investiert, gilt das gewissermassen als Beglaubigung einer Geschäftsidee. Es sei eine «Wette auf die Zukunft», schrieb die «New York Times».
Geschäftsmodell à la Uber
Instacart ist bislang in 15 amerikanischen Städten vertreten. Am Hauptsitz in San Francisco, einer alten Fabrikhalle, arbeiten rund 100 Mitarbeiter. Hier sitzt nur die Verwaltung. Wenn man auf Instacart Gemüse bestellt, beauftragt das Team per App einen «Personal Shopper» – ihr Markenzeichen ist ein grellgrünes T-Shirt – der die Ware beim Händler einkauft und dem Kunden mit dem Auto vor die Haustür liefert. Der erste Einkauf ist kostenlos, für jede weitere Bestellung verlangt Instacart eine Gebühr von 3,99 Dollar.
Die Lieferanten bekommen je nach Leistung zwischen 15 und 25 Dollar die Stunde, was deutlich höher ist als der Stundenlohn in einem US-Supermarkt. Das dezentrale Geschäftsmodell nimmt erkennbare Anleihen beim Taxidienstleister Uber: Auch dort sind die Fahrer als eine Art Franchisenehmer beschäftigt, die sich selbst um Versicherung und Abgaben kümmern müssen. Die schlanke Dienstleisterstruktur spart Kosten. «Wir haben keine Warenhäuser oder Trucks», sagte CEO Apoorva Mehta. Instacart ist ein Gemüsehändler, der zu keinem Zeitpunkt Gemüse besitzt.
Alle wollen sofort liefern
Das Konzept ist nicht ganz neu. Wettbewerber wie Fresh Direct, der hauptsächlich in New York operiert, bietet Sofort-Lieferservice seit mehr als einem Jahrzehnt an. Die Start-ups Caviar, SpoonRocket und DoorDash warten mit ähnlichen Geschäftsmodellen auf. Und auch die Tech-Giganten Google, Ebay und Amazon sind im Liefergeschäft vertreten.
Das Internetauktionshaus Ebay, das mit seinen kürzlich vorgestellten «smart stores» Online- und Offline-Shopping stärker verzahnen will, bietet mit der Plattform Now seinen Kunden Lieferung noch am selben Tag an (Same Day Delivery). Amazon will seinen Prime-Kunden in New York Shampoo und Spielzeuge binnen einer Stunde liefern (für eine Liefergebühr von acht Dollar). Gegen das Know-how und die Ressourcen der Technikriesen kommt Instacart freilich nicht an. Das Start-up will deshalb eine Nische, nämlich Gemüse, bedienen.
Bloss eine nette Idee?
Die Einkaufsgehilfen, 4000 an der Zahl, sind der Hauptgrund für das rasante Wachstum, das sich im letzten Quartal 2014 verdoppelt hat. Instacart will in weiteren Städten expandieren und mit Algorithmen die Shopping-Routen optimieren. Offen sind allerdings die rechtlichen Fragen. Wer haftet beispielsweise, wenn der «Auslieferer» einen Unfall verursacht oder zu spät kommt? Oder die Ware gar nicht beim Besteller abliefert? Fraglich ist auch, ob das Unternehmen auf Dauer profitabel ist. Bei einer Liefergebühr von vier Dollar und einem Stundenlohn von 15 Dollar ist das schwer vorstellbar.
Genaue Angaben will das Unternehmen nicht machen. Fakt ist: Der Einkäufer müsste pro Stunde mindestens vier Kunden Waren ausliefern, damit das Start-up in die schwarzen Zahlen fährt. Dadurch, dass Instacart eine pauschale Gebühr verlangt, lassen sich überdies keine Skaleneffekte erzielen. Ob man eine Gurke oder zehn Kilogramm Kartoffeln bestellt, ist für die Lieferkosten unerheblich. Im Silicon Valley gilt bekanntlich die «Growth-First»-Maxime: erst Wachstum, dann Gewinne.
«Die Konsumenten haben sich dank neuen On-Demand-Modellen wie Spotify oder Netflix längst daran gewöhnt, dass sie Produkte sofort haben können.»
Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt, dass der Markt für Same Day Delivery – also die Zustellung von Waren noch am Tag der Bestellung – bis 2020 in Westeuropa auf rund drei Milliarden Euro wachsen wird. In Deutschland gibt es seit geraumer Zeit das Start-up Shippies, welches ein ähnliches Peer-to-Peer-Modell wie Instacart in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet testet.
Ein Kurierfahrer nimmt per App Aufträge an und liefert die bestellte Ware an den Kunden aus. Auch in der Schweiz steigt die Zahl der Angebote. Seit Dezember letzten Jahres können sich Kunden von Swisscom ihre Einkäufe im Swisscom Online Shop innerhalb von vier Stunden oder zum gewünschten Lieferzeitpunkt an eine beliebige Adresse bringen lassen. Der Preis pro Lieferung beträgt pauschal 14,90 Franken.
Zukunfts-Modell auch für die Schweiz?
«Tendenziell wird eine schnelle Lieferung der Produkte von den Konsumenten immer lauter gefordert», sagt die Konsumforscherin Martina Kühne vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). «Sie haben sich dank neuen On-Demand-Modellen wie Spotify oder Netflix längst daran gewöhnt, dass sie Produkte wie Bücher, Musik oder Filme sofort haben können und nicht mehr zwei bis drei Tage auf deren Auslieferung per Post warten müssen.» Auch auf bestellte Lebensmittel, Blumen, Spielzeug oder Schuhe wollen Konsumenten künftig nicht mehr warten. Gut möglich, dass wir bald per Mausklick die bevorzugten Waren ins Haus liefern lassen können.