Der erste Stadtkäser lässt seine «Käfer» in der Markthalle frei

Serdar Hess hat in der Basler Markthalle die erste urbane Käserei der Schweiz gegründet. Nun arbeitet er 15 Stunden am Tag für seinen Traum.

(Bild: Yaël Debelle)

Serdar Hess hat in der Basler Markthalle die erste urbane Käserei der Schweiz gegründet. Nun arbeitet er 15 Stunden am Tag für seinen Traum.

Auf Türkisch bedeutet sein Name «Oberbefehlshaber». Nun hat er sie endlich, die oberste Befehlsgewalt über seine eigene kleine Käserei. Serdar Hess ist der erste Schweizer, der mitten in der Stadt selbst Käse herstellt, zwischen Autostrassen, Zug- und Tramschienen, unter der Kuppel der Basler Markthalle. Hess hat einen kleinen Laden eingerichtet – und eine Schaukäserei hinter Glasscheiben, damit Städter dem Käser bei der Arbeit zuschauen können.

Jahrelang hat der gelernte Milchtechnologe für seinen Traum gearbeitet, konnte an nichts anderes mehr denken. «Alpnach, Stans, Meiringen – ich hatte die Nase voll, von einem Bergdorf zum anderen zu gondeln», sagt Hess.

Er ist im Fricktal aufgewachsen, als Sohn eines Türken und einer Schweizerin. Hierhin gehöre er, in die Region Basel. Und wenn es hier keine Käserstellen gebe, dann müsse er eben sein eigener Chef werden. Schon als Lehrling habe er die Vorgesetzten angeschaut und gedacht: «In ein paar Jahren werde ich den Betrieb übernehmen.» Jetzt hat er seine eigene Firma: «Mylk».




Der 30-Jährige hatte sein Ziel stets klar vor Augen: eine Stadtkäserei. (Bild: Yaël Debelle)

Sechs Jahre lang harzte sein Plan. Hess arbeitete Vollzeit beim Milchkonzern Lactalis, sass hinter einer Glaswand, steuerte die Maschinen per Mausklick, von Handwerk keine Spur. Seine Haut juckte. «Ich wusste, ich bekomme Depressionen, wenn ich noch jahrelang hier bleibe», sagt der 30-Jährige. In der Industrie sei man eine Nummer, alles sei standardisiert.

In seiner Freizeit prüfte er Standorte in Basel. Die einen waren zu teuer, die anderen zu abgelegen, immer wieder schrieb er neue Businesspläne. Im Frühling wagte er den Sprung. Er werde sich selbstständig machen, teilte er seinen Chefs mit. Und kündigte. Bald kam der Deal mit der Markthalle zustande, seine Haut hörte auf zu jucken.




Die neue Welt von Serdar Hess: seine Schaukäserei in der Markthalle. (Bild: Yaël Debelle)

Nun entscheidet Hess selbst, was er tut. Ob er Joghurt mit Süsskartoffeln und Kürbis oder Apfel und Ingwer mischt, ob er Käse mit Whiskey oder Rum, mit frisch gepflücktem Hopfen oder Fricktaler Honig pflegt. «Bei mir wird jeder Käse anders», verspricht Hess.

Heute wollte er Raclette machen, eigentlich. Doch als er die Milch bereits erhitzt hat, streckt der Abwart seinen Kopf zur Tür herein: Kein Wasser für die nächsten zwei Stunden. Ohne Wasser keine Kühlung, also kein Raclette. Hess kratzt sich am Kopf. «Machen wir halt Rohmilchkäse, fertig.» Improvisation statt Vorgaben. Hess desinfiziert seine Hände und streut gefriergetrocknete Milchsäure-Bakterien in die warme Milch, «meine Käfer», nennt er sie.




(Bild: Yaël Debelle)

In der Schule war Hess ein Minimalist. Mit den Lehrern hatte er ständig Krach. «Ich habe nichts gemacht und wollte immer das letzte Wort haben.» Dann schnupperte er in einer Käserei. «Plötzlich war alles anders.»

Er sei von Anfang an begeistert gewesen, in der Berufsschule habe ihn alles interessiert – Mikrobiologie, Käsetechnologie, Haustechnik, milchwirtschaftliche Kalkulation. «Mir war sofort klar: Das ist es, was ich machen will.» Wie man aus einem einzigen Rohstoff so viele verschiedene Produkte herstellen könne, das fasziniere ihn.




Ohne Hightech und viel Arbeit funktioniert auch eine Kleinkäserei nicht. (Bild: Yaël Debelle)

«Ich habe viele Visionen im Kopf», sagt Hess. Ab Oktober möchte er Grilled Cheese Sandwiches zum Lunch anbieten, und bald sollen ihm Schulkinder beim Käsen über die Schulter schauen. «Aber nun muss ich erst den Laden zum Laufen bringen.» Das Planen sei kräftezehrend gewesen, aber die Umsetzung noch viel heftiger. Der Druck ist enorm.

Hess fasst in die warme Milch und presst das Bruchkorn zusammen. Der Käse wäre bereit. Vor einer Stunde hätte der neue Vorpressrahmen geliefert werden sollen, doch er kommt nicht.




Hat keinen Grund, sich zu verstecken, im Gegenteil. Serdar muss rasch Geld verdienen, der Boden in der Stadt ist teuer, und «das Kässeli ist knapp». (Bild: Yaël Debelle)

«Ich dachte, ich wäre überglücklich, wenn ich endlich meinen Plan verwirklichen kann.» Aber für Glück hat Hess jetzt keine Zeit. Er arbeitet 15 bis 18 Stunden pro Tag. Produziert Käse und Joghurt, bestellt Handwerker, akquiriert Kunden.

Der Jungunternehmer hat viel Geld investiert, dank einem privaten Darlehen. Ohne Hightech funktioniert auch eine Kleinkäserei nicht: Chargenpasteur, Abfüllsysteme, Pumpen, Kühlkammer und Reifungslager. Er muss rasch Geld verdienen, der Boden in der Stadt ist teuer und «das Kässeli ist knapp». Sein eigener Käse aber braucht Zeit zum Reifen. Die Käselaibe im Keller sind noch hell und jung.

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