Einst fand er die Basler Fasnacht zu steif und zu bürgerlich. Heute ist Pascal Joray ein gefragter Laternenmaler. Seine farbenfrohen Werke sind auch an dieser Fasnacht auf mehreren Lampen zu sehen.
Pascal Joray steigt von der Leiter hinunter, die er braucht, um das anderthalb Meter grosse Gesicht einer Anonymus-Maske auf die Seite einer Laterne aufzumalen. Mit etwas Abstand betrachtet er zufrieden seine Arbeit und wischt sich die mit Farbe verschmierten Finger an einem Lappen ab.
Das Symbol der Occupybewegung hat mit dem Sujet einer der sieben Cliquen zu tun, die Joray dieses Jahr wiederum mit dem Bemalen ihrer Laterne beauftragt haben. Von morgens früh bis abends spät ist Joray derzeit in seinem Domizil – einem alten Bauernhaus im jurassischen Réclère – für die «drey scheenschte Dääg» in Basel im Einsatz.
Höhepunkt noch vor dem Morgestraich
Fiebern die aktiven Fasnächtlerinnen und Fasnächtler dem Morgestraich entgegen, kommt der Höhepunkt für den gebürtigen Basler, noch bevor es am Montagmorgen vier Uhr schlägt: «Der Sonntag davor ist Hühnerhaut-Tag.» Wenn die Cliquen beim Einpfeifen der Laternen ihre Lampe zum ersten Mal sehen, weiss der Künstler, ob er seine Arbeit gut gemacht hat. «Das ist für mich der emotionalste Augenblick der Fasnacht», so Joray, der seit 21 Jahren Laternen bemalt und Kostüme entwirft. Dafür setzt er sich bereits im Sommer mit den Cliquen zusammen und bespricht Gestaltungsmöglichkeiten. «Als Laternenmaler muss ich mich in ihre Kultur und ihren Stil hineinfühlen. Der Zug der Clique soll vom Kostüm über die Larven bis zur Laterne ein geschlossenes Bild ergeben.»
Bevor es dieses Jahr so weit ist, stehen ihm noch fünf intensive Wochen bevor. Die Arbeit an den Laternen, die im vergangenen Herbst mit dem Bespannen der Rahmen begann, läuft auf Hochtouren. Auf einer Laterne füllt ein prächtiger Fantasievogel bereits die ganze Seitenwand aus, auf einer anderen ist ein heilloses Verkehrschaos abgebildet, auf einer dritten sitzt ein durchgeknallter «Überwacher» zwischen Aktenbergen. Die Sujets seien hier noch nicht im Detail verraten, aber wer die Kunstwerke in voller Grösse sieht, weiss schnell, worum es geht. Zwar ist jede Laterne anders gestaltet, Jorays Vorliebe für satte Farben und Details sind aber auf jeder Lampe zu erkennen. Durchschnittlich arbeitet er 140 Stunden an einer Laterne. Die Auftragsarbeiten bringen ihm neben herzlichen Freundschaften zwischen 1700 und 5000 Franken pro Lampe ein. «Für viele Maler ist die Fasnacht eine der wenigen Gelegenheiten, mit ihrer Kunst Geld zu verdienen», meint Joray, der während 20 Jahren Kulturhäuser leitete und Kunst unterrichtete. Heute verfolgt der 54-Jährige als freier Künstler seine eigenen Kunstprojekte.
Gespürter Basler Geist
Für die Umsetzung des Sujets auf der Laterne verlassen sich die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler ganz auf ihren Maler – das Resultat sehen sie erst beim Laterneneinpfeifen. Der vielgebuchte Künstler erklärt sich den Vertrauensbeweis so: «Nebst dem Malstil trägt wohl meine Fähigkeit, mich in die Menschen und deren Themen einzufühlen, zum Erfolg meiner Laternen bei.» Dass er mehr als eine Stunde Fahrzeit vom Ort des Geschehens entfernt ist, sieht Joray als Vorteil. «Hier im Jura werde ich nicht abgelenkt, die Gedanken sind freier als in der Stadt und ich kann mich auf meine Arbeit fokussieren.» Der Basler Geist geht ihm dennoch nicht ab: Mindestens einmal pro Woche besucht der Künstler seine Heimatstadt.
Dass er mit seiner Interpretation der Sujets den Nerv der Baslerinnen und Basler trifft, bestätigen ihm auch immer wieder berührende Begegnungen an der Fasnacht. So stand er am letztjährigen Fasnachtsmontag am Strassenrand neben zwei Frauen, als eine von ihm gestaltete Laterne zum Sujet Demenz vorbeizog. Beim Anblick der Laterne fing eine der beiden Frauen an zu weinen. Betroffen sprach Joray die Weinende an und gab sich als Maler der Lampe zu erkennen. «Die Frau erzählte mir, ihr Mann sei an Alzheimer erkrankt und die Laterne treffe genau die Stimmungslage, in der sie sich befinde.» Der Anlass sei zwar nicht fröhlich gewesen, dennoch habe er sich über dieses Feedback gefreut, so der Künstler.
Mehr als Scheiaweia
In Basel in einer Fasnächtlerfamilie aufgewachsen, konnte Joray lange mit der Fasnacht nichts anfangen. Zwar lernte er trommeln, fand als Jugendlicher aber keinen Gefallen am Cliquenleben: «Die Fasnacht war mir zu strukturiert.» Im Laufe der Jahre hat der Kunstmaler seine Meinung gehörig geändert. «Die künstlerische Auseinandersetzung mit ernsthaften Themen ist einzigartig, das Treiben auf den Strassen mystisch», hat Joray erfahren. Fasnacht sei weit mehr als drei Tage Scheiaweia, wie das manchmal dargestellt werde. «Da steckt so viel Kreativität und Arbeit dahinter», betont er. Und das alles nur für die drei Tage – ein gewisses Mass an Verrücktheit brauche es dafür sicherlich. Die Vergänglichkeit ist das, was Joray am Laternenmalen fasziniert und ihm eine Abwechslung in seinem Berufsalltag bringt: «Während man in der Kunstwelt für die Ewigkeit und den eigenen Namen arbeitet, stehen die Laternenkünstler an der Fasnacht im Hintergrund – und die meisten Laternenfahnen werden nach der Fasnacht vernichtet. Das hat etwas.»
Wenn mit dem Laterneneinpfeifen die Anspannung von Pascal Joray abfällt, lässt er sich drei Tage lang von dieser Stimmung durch die Stadt tragen – und erhascht hier und da einen Blick auf eines seiner farbenfrohen Werke.