Silvio Mettler war der erste Fotograf am Brandplatz von Schweizerhalle. Heute betreibt er eine Schlosserei und besitzt nicht einmal mehr eine Kamera. Der Bildjournalist schildert seine Erlebnisse und seine Erfahrungen.
Er besitzt keine Kameraausrüstung mehr. Wozu auch? «Ich wüsste nicht, was ich mit den Bildern anfangen sollte. Die Freunde mit Dia-Abenden langweilen?», fragt Silvio Mettler, 53, lakonisch. Dabei war der Inhaber einer Schlosserei einst Fotograf mit Leib und Seele, oder vielmehr: Bildjournalist. Aufgegeben hat er den Job, «weil ich mir elegantere Arten vorstellen kann zu verhungern.»
Sein grosser Scoop, so nennt man eine journalistische Einzelleistung, war der Sandoz-Brand in Schweizerhalle im Jahre 1986: Mettler, 28 Jahre jung, war der erste und stundenlang der einzige Fotograf am Brandplatz. Er verschoss sieben oder acht Filme, einen davon in Farbe, und diese Bilder gingen um die Welt.
Reich geworden ist Mettler dennoch nicht. «Saudumm gelaufen», erzählt er im Interview – nachdem sich in der ersten Hälfte des Tages keine ausser der «Basler Zeitung» für seine Aufnahmen zu interessieren schien, bot er sie zum Pauschalpreis einer der Agenturen an, für die er arbeitete. Kaum waren die Fotos über den Ticker gelaufen – von Digitalfotografie, Internet und Mobiltelefonen war damals noch keine Rede – da «kam ich mir vor wie ein Manager: Einen Telefonhörer an jedem Ohr, sprach ich mit Redaktoren aus aller Welt.» Aber es war zu spät: Der Preis für die nicht mehr exklusiven Bilder war kaputt. Ein paar tausend Franken habe er an den Bildern verdient. Und am Brandplatz ein Paar Schuhe ruiniert.
Aber ums Geld sei es ihm ja nie gegangen, sagt Mettler. Er war einer der besessenen, der rasenden Fotoreporter, die damals noch überall hinrasten, wo es brannte. Im Zeitalter der analogen Fotografie waren Fotografien von Unfällen und anderen nachrichtenrelevanten Ereignissen ein gesuchtes Gut, um das sich die lokalen Fotografen einen wahren Wettkampf lieferten.
Man kannte alle Würdenträger und Funktionäre, und «die Jungs von der Feuerwehr waren dankbar, dass jemand über ihre Arbeit berichtete.» Auch in Schweizerhalle ist Mettler mit den Mannen der Berufsfeuerwehr ins Gelände vorgestossen, die allerdings nach ihm vor Ort angekommen seien, wie er stolz betont. «Die kannten mich und ich sie», und auch mit den meisten Polizisten habe er ein gutes Verhältnis gehabt. Bloss der Sicherheitsdienst der Sandoz habe ihn insgesamt sicher dreimal vom Gelände schmeissen wollen, worauf er sich jedesmal erfolgreich auf das Katastrophenregime und die angebliche Verfügungsgewalt der Feuerwehr berufen habe.
Aber aller Beziehungen zum Trotz sei das Leben als rasender Fotoreporter ein einsames gewesen, schildert Mettler. «Man hat mich wohl überall begrüsst, und ich habe die Gesichter dieser Stadt gekannt.» Aber zu oft habe der Name zum Gesicht gefehlt, und nach der 800’000sten Pressekonferenz sei auch das Dasein als lokaler Pressejournalist nur noch halb so spannend.
Den Traum, als Fotoreporter für grosse Magazine durch die Welt zu reisen, erhoffte er sich dank Schweizerhalle erfüllen zu können – schliesslich hatte er jetzt seinen Namen, war in allen wichtigen Publikationen gedruckt worden. Was also hielt ihn davon ab, Karriere zu machen, was liess ihn zum Schlosser werden, der nur noch mit dem Mobiltelefon fotografiert und sich über die moderne Art des Bildjournalismus eher enerviert als ihr nachtrauert? «Den Ausschlag, den Job an den Nagel zu hängen, gab die Geburt meiner Tochter. Ich wollte nicht, dass sie mich nur von Postkarten aus anderen Ländern kennt, wenn ich zu Hause auftauche.»
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