Element of Crime spielt ein Doppelkonzert im Sarasinpark in Riehen. Sänger Sven Regener erzählt im Interview, warum das Konzert eine Ausnahme bleibt, Authenzität in der Kunst nichts verloren hat und warum er nicht seinen Nachbarn mit dem Knüppel erschlägt.
Element of Crime hat im deutschsprachigen Raum eine riesige Fangemeinde und dennoch ist Sänger Sven Regener fast noch berühmter für seine «Herr Lehmann»-Trilogie. Samstag- und Sonntagabend spielen die Rock’n’Roller im Riehener Sarasinpark, gleichzeitig stellen sie ihre private Kunstsammlung in der Orangerie aus (mehr dazu).
Die Band hat in der Schweiz schon fast über all gespielt, oder wie es Regener selbst einmal formulierte: «Man kann kaum eine tote Katze in die Schweiz schleudern, ohne einen Ort zu treffen, an dem wir nicht schon gespielt haben.» Und doch hat Element of Crime einen gefunden: Solothurn. Wir sprachen vor dem Konzert am Donnerstagabend mit Sven Regener und wir können mit einem Gerücht aufräumen: es ist gar nicht so, dass der Bremer Interviews nicht mag, er findet bloss Künstler sollten einfach mal auch nichts sagen – wenn sie schlau sind.
Herr Regener, die Art Basel bewegt zurzeit unsere Stadt. Ich habe gelesen, dass Sie Kunstmessen «trashig» finden. Wie fanden Sie denn die Art?
(lacht) Nein, nein. Ich meinte damit, dass der Trash-Charakter darin besteht, dass Kunstmessen völlig unkuratiert sind – da sind einfach ‘ne Menge Bilder zum Verkauf da. Das find ich toll, diese Kombination von Bilderflut und Messe.
Haben Sie sich etwas gekauft?
Ich habe gar keinen Platz mehr an meinen Wänden (lacht)… Ich bin ja auch nicht so der Kunstsammler. Ich kauf’ mir kein Bild und häng’s dann irgendwo hin. Natürlich sieht man immer auch Dinge, die man gerne hätte. Aber viele Bilder, die ich habe, sind von Freunden gemalt und ich hab eine engere persönliche Bindung dazu.
Sie sind ja auch nicht direkt wegen der Art hier. Ihre Band spielt zwei Konzerte im Sarasinpark und stellt gleichzeitig ihre privaten Kunstwerke aus. Hat sich die Band ein gemeinsames Thema überlegt?
Nein, wir sind aber auch keine Band, die so crossovermässig unterwegs ist. Bei uns – wo so viele unterschiedliche Typen zusammenkommen – funktioniert’s nur, wenn wir uns auf das Songschreiben und -spielen konzentrieren. Da finden wir zusammen, in vielen anderen Dingen würden wir das wohl gar nicht. Wir haben deshalb gesagt, jeder soll sich einfach überlegen, was er von dem Kram, den er zuhause stehen hat, mitbringt. Jeder hat einen Raum in dieser Ausstellung. Vom Wohnzimmer in die Schweiz und zurück – ist der Name des Katalogs und auch ein sehr treffender Titel.
Jakob Ilja gilt ja als Kunstkenner und -sammler…
Ja, der hat sich da auch am meisten engagiert. Aber man muss sich die Ausstellung einfach mal angucken, dann kann man auch darüber spekulieren, was derjenige für einen Bezug zur Kunst hat. Ich würde das im Vorfeld gar nicht so einteilen oder bewerten wollen. Vier verschiedene Leute sind einfach mit vier verschiedenen Ansätzen an die Sache herangegangen. Richard Pappik hat nur sechs Kästen von diesem Künstler, Prinz aus Kreuzberg, hingehängt. Das hat was zu bedeuten, genau wie bei David Young, der nur ein Bild da hingehängt hat.
Ein Bild von seiner Grossmutter.
Ja, das hat seine Oma gemacht.
Können Sie sich vorstellen, dass Musik wie Kunst vermarktet und ausgestellt würde?
Nein, Musik ist eine ganz andere Art von Kulturindustrie. Das Tolle am Rock’n’Roll ist, dass jeder sich das leisten, jeder mitmachen kann. Konzertkarten sind in der Regel nicht sehr teuer. Musik ist also relativ einfach wahrzunehmen, man kann hingehen, sich Platten kaufen, downloaden. Ist für jeden erschwinglich und hat deshalb ein breiteres Publikum. Musik und bildende Kunst ist sowieso schwierig zu vergleichen. Und dasselbe gilt auch für Theater, Literatur – die Künste haben alle ihre eigenen Gesetze und werden unterschiedlich wahrgenommen. Mir so eine Vermarktung von Musik wie bei der Kunst vorzustellen, das macht keinen Sinn.
Käufer und Künstler stehen an Kunstmessen in einem Spannungsfeld, wie Sie selbst gesagt haben. Wie steht es mit Fans und Element of Crime. Spüren Sie Druck, ihrem Stil treu zu bleiben – das zu machen, was die Fans bisher gekauft haben?
Das ist schwer zu sagen. Wir schreiben keine Songs, während wir auf Tour sind. Wohl instinktiv nicht. Es ist eine Mutmassung, aber wohl weil man sehr stark mit der Wahrnehmung der Leute und ihren Erwartungen konfrontiert ist. Das kann auch einschüchtern. Es ist, glaube ich, für jeden Künstler gut, sich manchmal aus diesem Öffentlichkeits- und Rezeptionsding herauszuziehen und sich auf sich selbst zu besinnen. Letztendlich ist aber eines sicher: Man kann und sollte Kunst nicht machen in Bezug darauf, was die Leute erwarten. Man muss dafür sorgen, dass es von einem selber kommt – das richtige Werk für einen selbst ist.
Element of Crime mit dem Song «Weißes Papier»:
Wer sich ans Lied von Patent Ochsners «Wysses Papier» erinnert fühlt – die Berner haben eine Coverversion gemacht. Und ja, Element of Crime kennt nicht nur das Lied, die beiden Bands spielten schon zusammen auf einem Festival in München.
Element of Crime sind für Ihre Texte beliebt, um nicht berühmt zu sagen. Doch entsteht offenbar erst die Musik, dann schreiben Sie die Texte dazu. Haben ihre Bandkollegen eigentlich Einfluss darauf, werfen die Stichworte ein?
Nein, aber der Anstoss ist anders, der kommt indirekt durch die Musik. Wir entwickeln ja die Musik zusammen. Was dabei passiert, ist, dass jemand eine Idee einwirft, wir spielen und ich singe dazu – aber ohne richtigen Text. Der Song ist dann da, aber er zieht sich später zusammen, wird ein kompaktes Ding. Es ist ein sehr spannender Prozess. Ich merke aber beim Texten, dass die Musik einen sehr starken Einfluss hat – und das ist der Einfluss aller in der Band. Die Texte sind also sehr stark durch die Musik inspiriert, weil sie danach entstehen.
«Die beiden Konzerte in Riehen finden nicht im normalen Rock’n’Roll-Umfeld statt. Es bleibt sicher auch eine Ausnahme.»
Am Wochenende spielen Sie in der Orangerie im Sarasin-Park. Werden Sie trotz dem Kunstrummel drumherum ein «klassisches» Element-of-Crime-Konzert geben?
Naja, das Setting ist ungewöhnlich. Wir spielen normalerweise nicht in Spiegelzelten. Wir haben es einmal in Paris gemacht. Die beiden Konzerte haben sich jetzt so ergeben, es ist nicht das normale Rock’n’Roll-Umfeld. Es bleibt sicher auch eine Ausnahme.
Sie haben letzthin in einem Interview gesagt, dass Sie «die Schweiz vernachlässigt» und schon länger nicht mehr in kleineren Orten gespielt haben. War der Auftritt in der Fondation Beyeler der Auslöser für die Mini-Tour jetzt?
Ich glaube, die Initialzündung war tatsächlich die Anfrage aus Basel. Wir haben dann einfach noch ein paar Konzerte dazu gebucht. Das ist auch richtig, wenn man schon mal da ist. Der Aufwand ist ja ziemlich gross. Es war uns auch sehr willkommen. Normalerweise sind wir ja auf Tournee, wenn wir eine Platte herausbringen und dann ist das Interesse so gross – unabhängig, ob das Deutschland ist, Österreich oder die Schweiz – dass 3000, 4000 Leute kommen. Da kann man in den kleineren Clubs gar nicht spielen, deshalb macht man eine zweite Tournee und besucht die kleineren Orte. Und so haben wir es jetzt auch mal nach Solothurn geschafft, einen der wenigen Orte in der Schweiz, in denen wir noch nie gespielt haben. Selbst in Zug waren wir mal, dass war 1987, glaube ich.
Ja, das habe ich gelesen. Was ich auch gelesen habe, ist, dass Sie dank ihrem Buch «Herr Lehmann» finanziell gut dastehen…
Das muss man ja nicht lesen, das kann man sich ausrechnen (lacht).
Stimmt, was mich dabei aber interessieren würde, ist, wie es mit den Bandkollegen aussieht. Würden die gerne mehr neue Platten einspielen, mehr Konzerte spielen?
Ach, das hat gar nichts mit dem Bücherschreiben zu tun. Über den ersten Roman habe ich ja lange nachgedacht, bevor ich damit angefangen habe, weil ich gar keine Zeit hatte. Aber manchmal gibt es ein Jahr, in dem wir mit der Band gar nichts machen, wie 2012 oder 2000, als ich dieses Herr-Lehmann-Ding angehen konnte. Die Band ist aber eine Konstante in unser aller Leben – quasi seit 1985. Das Wichtigste, was wir tun. Aber wir machen alle noch was anderes: Jakob Ilja beispielsweise macht sehr viel Filmmusik, Richard Pappik auch. Und was das Finanzielle betrifft: Die Band ist ja schon lange sehr erfolgreich. Die letzten beiden Alben haben eine Goldene Schallplatte eingespielt und all so einen Kram. Die Band steht also auf ziemlich festen, grossen Füssen.
Trotz Internet, Piraterie und Urheberrechtsdebatte?
Die Urheberrechtsdebatte hatte nichts mit dem Internet zu tun. Es ist ein Irrtum, dass die Leute glauben, dass das Internet handelt. Das Internet tut keinem was, es ging darum, welche Haltung man zu Kunst und Künstlern hat. Die Urheberrechtsgeschichte ist ja nicht erst seit dem Internet da, die Diskussion existiert seit Hunderten von Jahren – spätestens seit dem 18. Jahrhundert. Die Frage ist, wie geht eine Gesellschaft mit ihren Künstlern um. Es ging in der Debatte stark um die Enteignung von Musikern: die Kürzung von Schutzfristen, die Rechte an den Songs… Das Erstaunliche daran ist, dass eines der reichsten Länder der Welt nichts Besseres zu tun hat, als solche Debatten zu führen. Der Frage nachzugehen, wie man seine Künstler am besten enteignet, gibt es in Deutschland keine anderen Probleme? Das erstaunt einen schon, welches Ausmass an Banausentum sich da offenbart. Und im Grunde genommen ist es aber auch etwas, was sehr schnell in sich zusammengefallen ist.
«Ich mag es nicht, wenn man sich mit dem Internet rausredet. Das ist keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen oder Geiz und Gier.»
Haben Sie eine Erklärung?
Unter anderem darum – und das stimmt mich froh –, weil sich einige Künstler in der Debatte eingesetzt haben. Ich bin kein grosser Kulturpessimist, die Leute, die unsere Sachen lieben, werden uns nie mutwillig anscheissen. Das ist wichtig: Ich mag es nicht, wenn man sich mit dem Internet rausredet. Das ist keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen oder Geiz und Gier. Wir selber sind die handelnden Leute. Ich kann auch einen Knüppel nehmen und meinen Nachbarn erschlagen. Das ist möglich, deshalb muss ich es ja nicht tun – und deshalb darf man sich auch nicht mit den technischen Möglichkeiten herausreden.
Dann war Ihr inzwischen berühmter Wutausbruch von damals nötig?
Ja, ich glaube schon. Es ist wichtig gewesen, weil damals die Debatte immer so geführt wurde, dass man nicht mehr bereit sei, für Downloads zu bezahlen, es aber nicht gegen die Künstler ginge, sondern gegen die bösen Plattenfirmen. Die Plattenfirmen sind aber unsere Geschäftspartner und wir machen nicht einfach so mit denen Geschäfte, sondern weil wir sie brauchen. Und auch wenn sie nur über das Internet verkaufen. Das muss auch einer tun. Das Ganze war eine banausige Sicht auf die Musik als exzentrisches Hobby, bei dem es möglich sein müsste, nebenbei noch einen Webshop zu betreiben. Das kann man aber nicht. Auch dafür gibt es ganz viele Firmen – und das muss man mal in Bezug auf diese aktuelle Überwachungssache sagen: Ganz viel, was damals Teil der Debatte war und heute auch noch ist, war starke Lobbyarbeit von Google, Facebook und wie all die Firmen heissen. Jetzt sehen wir plötzlich, dass diese Firmen auch ein anderes Gesicht haben.
Inwiefern?
Sie schleimen sich die ganze Zeit bei den Leuten ein mit: «Schau, wir geben euch alles umsonst bei Youtube – nur die böse Gema oder Suisa will uns das nicht erlauben.» Jetzt stellt sich heraus, dass diese Firmen selbst problematisch sind. Wir können über Datenschutz so viel diskutieren, wie wir wollen. Aber wenn wir bescheuert sind und diesen Firmen zu viele Daten geben, wissen die ziemlich schnell ziemlich viel über uns. Und es ist ja nicht erst problematisch, wenn unsere Informationen an staatliche Stellen oder den Geheimdienst kommen, unsere Daten sind schon bei diesen Firmen in den falschen Händen. Warum sammeln die denn die Daten von uns? Die verkaufen die weiter – und damit machen die ihr Geschäft. Und dann werden diese Firmen noch in Schutz genommen, und es heisst, diese böse NSA und so – dabei hat nicht die NSA all die Daten gesammelt.
Um die Brücke nochmal zu schlagen zwischen der Debatte und ihrer Arbeit. Sie haben sich in einem Interview in der taz über die Frage genervt, woher ihre Texte stammen. Also ob das Autobiographisches oder Erfundenes ist…
Was heisst hier genervt. Es geht darum, dass man das oft nicht erklären kann. Man kann die Frage stellen, aber ich kann nicht sagen, woher ich die Idee hab für die Texte. Ich hab sie einfach gehabt. Die Frage, wo eine Melodie herkommt, ist abstrakt, das kann man gar nicht beantworten – die Frage stellt deshalb auch niemand. Man muss sich davor hüten, das als kausalen Zusammenhang zu sehen: Wenn das und das passiert beim Menschen, macht er die und die Kunst. Das geht nicht. Und es ist auch problematisch, das Umgekehrte zu machen: Von der Kunst auf die Menschen zu schliessen. Es gibt tolle Kunst von Leuten, die vielleicht vollkommene Arschlöcher sind. Man kennt sie ja nicht persönlich.
«Was heisst hier genervt: Es geht darum, dass man oft nicht erklären kann, wo die Texte herkommen.»
Da bietet sich ja die Frage an, wie man als Künstler und beim Erschaffen von Neuem authentisch bleibt?
Der Begriff des Authentischen hat in der Kunst überhaupt nichts zu suchen. Das Entscheidende bei Kunst ist das Spannende, das Aufregende, das Schöne – das sind die Begriffe für die Kunst. Authentisch ist vollkommen uninteressant, das kann sowieso keiner beurteilen. Das ist eine komische, kitschige Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert: Der Künstler, der mit dem Kunstwerk ringt und sich selbst versucht ausdrücken. Der Mensch ist kein Pickel. Man drückt sich nicht aus, man schafft etwas. Wir kreieren Dinge, die sonst nicht in der Welt wären.
Apropos etwas Neues erschaffen. Im Herbst erscheint Ihr neues Buch: «Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt». Verraten Sie uns, worum es geht – ausser das Karl Schmidt aus «Herr Lehmann» aus der «Klapse» zurückkehrt?
(lacht) Es geht darum, dass alte Raver-Freunde Karl wiedergefunden haben. Er lebt in einer Drogen-WG in Hamburg-Altona, und die Freunde versuchen, ihn wieder in ein nicht betreutes Leben zurückzuführen. Und das ist bei einem, der den Verstand verloren hat, schon schwer genug, weil er auch entsprechende Ängste hat. Letztendlich geht es darum, dass er dann mit diesen Ravern eine Tour organisiert. Und der sich als einer, der keine Drogen nehmen darf, unter lauter Verstrahlten bewegt.
Als grosser Fan von Karl muss ich eine Frage noch stellen: Kommt sein vielzitierter Satz aus «Herr Lehmann» nochmals vor. Sie wissen schon: «Elektrolyte, denk an die Elektrolyte!»
Nein, davon ist er ab (lacht). Das ist das Entscheidende, dass die Leute fünf Jahre später an einem anderen Punkt stehen. Das Buch ist auch anders angelegt. Er erzählt selbst die Geschichte. Es ist nicht mehr in der dritten Person wie bei Herr Lehmann geschrieben. Und Karl ist zunächst mal auch nicht in der Lage, irgendjemandem irgendwelche Ratschläge zu erteilen. (lacht)