Simon «Hitzi» Hitzinger stürzte bei der Besetzung des Basler Kinderspitals vor zwei Jahren von einem Balkon. Seither ist er querschnittgelähmt.
Hitzi verschiebt das Treffen kurzfristig per SMS um eine halbe Stunde: «Moin moin, 10i wird biz knapp, wär au halb 11i ok? :).» Wir treffen uns also um halb elf vor seiner Wohnung an der Basler Clarastrasse, die Sonne spiegelt sich in den Gläsern seiner pinken Sonnenbrille. Am Vorabend war eine Freundin bei ihm zu Besuch und ist über Nacht geblieben. «Das mit den Frauen hat bei mir bereits früher immer gut funktioniert. Daran hat sich seit meinem Unfall nicht viel geändert», sagt Hitzi und lacht sein spitzbübisches Lachen. Dann rollt er los in Richtung Messeplatz.
Es war der letzte Samstag im April vor zwei Jahren. Der damals 18-Jährige grillierte am Nachmittag im Garten eines Freundes. Es ist das Letzte, woran er sich erinnert. Wie er an jenem Nachmittag in die Stadt fuhr, am Abend an der Besetzung des Kinderspital-Areals teilnahm, kurz vor Mitternacht auf einem Balkongeländer das Gleichgewicht verlor und zwölf Meter auf den darunterliegenden Betonboden fiel – davon weiss er nichts mehr.
Der rettende Strohhalm
Das nächste Bild, an das sich Simon Hitzinger erinnert, ist ein steriles Zimmer in der Rehabilitationsklinik. Unzählige Schläuche führen von seinem Körper zu einer Wand mit piepsenden Maschinen. Das Schlimmste hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich: Die Ärzte konnten sein Leben retten und die Hirnblutung stoppen.
Er erfährt von einem Arzt in weissem Kittel, was an jenem Samstag, fünf Tage vorher, passiert war. Seine Wirbelsäule ist in mehrere Stücke zersplittert und hat das Rückenmark stark gequetscht. Theoretisch sei eine Heilung möglich, sagen ihm die Ärzte, vielleicht kann er irgendwann wieder gehen. Für Hitzi ist es zu diesem Zeitpunkt der rettende Strohhalm.
Vier Monate verbringt er in der Basler Reha zwischen Psychiatrischer Klinik, Spielkasino und dem Flughafen. Während Wochen liegt er im Bett und darf sich kaum bewegen, das Morphium vernebelt seine Sinne.
Auf Facebook hat er eine Gruppe eröffnet mit dem Namen «Keep Smiling». «Jeder Tag ist ein guter Tag», schreibt Hitzi dort. Über 300 Menschen sind Mitglieder, viele kennt Hitzi nicht persönlich. Er weiss von seiner Wirkung auf andere, ziele aber nicht darauf ab. Wenn er jemandem helfen könne, mit seinen Problemen besser zurechtzukommen, dann freue ihn das umso mehr.
Gibt es ein Rezept für seine Zuversicht? Sein Umfeld habe ihm Kraft gegeben, meint Hitzi. Während der ersten Monate hatte er jeden Tag Besuch von Freunden und Familienmitgliedern. Doch entscheidender sei die Lebenshaltung. Das Wichtigste sei, loslassen zu können, wenn der Moment dazu gekommen ist. «Das gilt nicht nur für mich. Wer nicht loslassen kann, der leidet.»
So hält er es auch mit seinem grössten Traum: eines Tages wieder laufen zu können. Hitzi glaubt fest daran, dass Optimismus und Meditation die besten Mittel sind für seine Heilung. Er tue sein Bestes, doch schliesslich komme es so, wie es müsse. «Ich nehme immer wieder einen tiefen Atemzug und sage mir, jetzt bin ich hier. Es ist dieser Moment, der zählt.»
(Bild: hansjoergwalter.com)
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 01.11.13