Auf diesem Kunstwerk darf man Bier verschütten. Oder nebendran was zu essen bestellen. Im Eo Ipso steht ein sprechender Tisch, der Geschichten von Zusammenleben und Esskultur erzählt.
Eine Vernissage kann auch so aussehen: Man betritt ein Restaurant, Gäste sitzen an Tischen und essen, Kellner servieren, man landet an der Bar und bestellt ein Bier – nur von einer Vernissage ist keine Spur. Also prost, man schlendert trotzdem durch den Raum. An einem der Tische sieht es tatsächlich etwas anders aus. Vier Leute sitzen dran, aber nicht so richtig, sondern mit Mantel und Tasche, etwas vorläufig. Wenn man neben ihrem Tisch Halt macht, lächeln sie gequält. Alle vier tragen Kopfhörer und haben eine flache Hand auf den Tisch gelegt. Mit ihrem Lächeln signalisieren sie, dass dies kein Gläserrücken ohne Gläser ist und keine spirituelle Befragung des Holzes.
Aber Kunst zum anfassen ist es und zum dran sitzen. Wenn man an ihm Platz nimmt, fällt der Blick unweigerlich auf den Croque Monsieur, der am Nachbartisch verzehrt wird. Bereits steigt das Bier ein wenig zu Kopfe, man sitzt schliesslich in der Kneipe. Und das Glas, das man auf dem Kunstwerk abgestellt hat, darf theoretisch sogar umfallen. «Es muss dürfen!» sagt Andrea Gsell, die seit zehn Jahren zusammen mit Nica Giuliani Kunst macht. Ile Flottante nennen sie sich. Gemeinsam mit dem Techniker Stephan Brunner haben sie das Tischwerk realisiert. Museum unerwünscht! Das Werk soll in dem Kontext wahrgenommen werden, aus dem es kommt und von dem es erzählt.
Der Besucher schliesst den Stromkreis
Das Eo Ipso im Gundeldinger Feld ist die fünfte von sechs Stationen, an der der Tisch zehn Tage steht. Alles Bars, Restaurants und Cafés. In den kleineren Lokalen, erzählt Gsell, werden zu den Stosszeiten die Kopfhörerstöpsel gezogen und über den Tisch brummt der Mittagsbetrieb. Während dieser Zeit ist er ein Tisch wie Gott ihn schuf, als Kunstwerk unkenntlich. Ansonsten, wenn einem danach ist, wenn man gerade vorbeikommt, wenn der Kellner einen Wink gibt, kann man eine Weile Platz nehmen. Über den Kontakt zum Kopfhörer und durch die Hand zum Tisch schliesst sich ein Stromkreis (das hat Stephan Brunner ausgeheckt), es macht klick in der Tischplatte, obwohl ausser Holz nichts zu sehen ist (echt cool) und der Tisch fängt zu erzählen an.
An sieben Stationen, die man mit der Hand aktivieren kann, erzählen sieben Personen aus drei Familien und Generationen von ihrem Leben bei Tisch. «Schnitz und Drunder» heisst daher das Projekt, benannt nach einem nordwestschweizer Gericht, von dem gleich mehrere Familien erzählen. «Der Ruedei hat immer gemocht, was ich ihm gekocht habe», sagt eine Hundertjährige. Eine Maturandin erzählt: «Gelesen wird an unserm Tisch nicht und nicht in Handys getippt!» Das gemeinsame Essen ist ein zentraler Kulturpunkt für die ursprünglich welsche Familie. Und so fort. War das bei uns nicht auch so? – Unwillkürlich denkt man an die Gewohnheiten am eigenen Familientisch, die aktuellen und die vergangenen.
Tolles Konzept, doch man schweift ab.
Der Tisch ist ein heiliger Ort. Hier nimmt sich die Familie für sich Zeit. Hier werden das Ergebnis der Arbeit, das Essen, und Erfahrungen geteilt. Am Tisch zeigt sich, ob eine Familie Kultur hat. Daher sind Erwartungen die unangenehme Schattenseite vom Tischritual: Anständig essen! Ein Gespräch führen! Familie sein!
Es ist ein tolles Konzept, einen Tisch zum Sprechen zu bringen, indem der Besucher ihn erspürt und sich in ihn einklinkt. Der sprechende Tisch ist ein Speicher des Familienlebens und tritt bei denen, die an ihm Platz nehmen, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familienkultur los. Richtig in den Bann ziehen tun die Erzählungen allerdings nicht. Dabei sind sie nicht uninteressant und sehr liebenswert. Man schweift dann und wann einfach ab. Hier hätte mehr dringelegen. Vielleicht ist aber das Abschweifen der springende Punkt, Abschweifen in die eigene Geschichte. Oder eben zum Croque Monsieur an den Nachbartisch.
- Der Tisch steht bis zum 15. April im Eo Ipso. Letzte Station ist das Kafi für Dich in Zürich, 19. – 29. April.