Mit «Snowden» haben sich zwei gefunden: Verschwörungs-Freak Oliver Stone verfilmt die Geschichte des NSA-Whistleblowers Edward Snowden. Das Resultat ist ein fast perfekter Hollywood-Film.
Dem Enfant terrible Oliver Stone ist kein Eisen zu heiss: Dank seines nach wie vor erfolgreichsten Films «JFK» (1991) dürften kommende Generationen Dinge glauben, für die es keinerlei historische Belege gibt. Kleine und Grosse. Darunter auch die Behauptung, Präsident Lyndon B. Johnson sei an einer Verschwörung beteiligt gewesen, John F. Kennedy zu ermorden.
Nun hat sich Stone – seit Jahren unkritischer Wikileaks- und Putin-Fan – des Falles von Whistleblower Edward Snowden angenommen. Man darf gespannt sein: Wie würde der Mann mit diesem Stoff umgehen? Er, der mit seinen grössten Hits immer unangenehme Wahrheiten in Frage stellt, es dabei aber selbst mit den Fakten nicht allzu genau nimmt?
Ein zu schöner und zu muskulöser Snowden
Schnell wird klar: Stone geht vorsichtig mit dem Snowden-Stoff um. Ihm gelingt dabei Erstaunliches: Ein komplexes Thema, das normalerweise eher technik- und politikaffine Menschen bewegt, wird zum packenden Hollywood-Drama.
Wir lernen Edward Snowden (etwas zu schön und muskulös, aber insgesamt sehr überzeugend gespielt von Joseph Gordon-Levitt) in hektischen, kritischen Stunden kennen: 2013, untergetaucht in Hong Kong, mit gestohlenen Daten der National Security Agency NSA.
Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) bei der NSA: Von hier schmuggelt er im Film die Geheimnisse raus. (Bild: Jürgen Olczyk (Verleih: Pathé Films))
Ein kleines Team von Journalisten – und damit auch wir Kino-Zuschauer – hört seiner unglaublichen Geschichte zu. Und die Zeit drängt: Die Daten, die Snowden besitzt, sind so heiss, dass die Leute bei ihm im Zimmer seine letzte Hoffnung sind. Diese Geschichte muss raus. Viel Zeit hat er nicht. Man ist ihm auf den Fersen.
Was folgt, ist die maximal ausgeschmückte Version der Snowden-Saga: Der junge Republikaner als verhinderter Top-Soldat, als Super-Genie, als Super-Programmierer, knapp verhinderter Top-Spion und als wichtiger Insider sowohl im Geheimdienst CIA als auch bei der NSA mit einem Draht nach «ganz oben».
Dem Film-Snowden gelingt es nicht nur wie dem echten System-Administrator-Snowden, eine Sammlung von Dokumenten anzulegen, die das Ausmass des NSA-Spionage-Skandals sichtbar werden lassen: Er erhält seine Informationen auch mündlich, ist mittendrin statt nur dabei im Zentrum der Macht.
Schwierige Liebesgeschichte auch im Paradies auf Hawaii: Snowden und Lindsay Mills (Shailene Woodley) (Bild: Mario Perez (Verleih: Pathé Films))
Dabei vermischt Oliver Stone geschickt verschiedene Facetten der globalen Internet-Überwachung: Das Ausspähen der Privatsphäre thematisiert er anhand der Liebesbeziehung zwischen Snowden und Lindsay Mills (Shailene Woodley kämpft mit Verve erfolgreich gegen eine plot-mässig glanzlose Nebenrolle an) – und es geht bis zum Ausspähen von Mobiltelefonen von mutmasslichen Terroristen.
Sie haben allerdings keinen langen Auftritt, kurz danach werden sie – von der NSA-Zentrale aus live am Bildschirm zu beobachten – von Drohnen-Angriffen zerfetzt. Tote Zivilisten inklusive. Und das alles erst noch mit einer Software, die der Film-Snowden ursprünglich für friedliche Zwecke geschrieben hatte.
Letzteres Beispiel scheint Stone frei erfunden zu haben, jedenfalls in Verbindung mit Edward Snowden. Er konnte es einmal mehr nicht lassen, mit den Fakten freihändig umzugehen. Was genauso unnötig wie schade ist: Die Snowden-Leaks bieten auch ohne Erfindungen (Stone brauchte im Zusammenhang mit «JFK» das Wort «Gegenmythos») genügend Sprengstoff für eine erstklassige Hollywood-Dramatisierung.
Auch die von Snowden im Film erwähnten angeblichen Cyberwar-Operationen der USA gegen Japan gehören ins Reich der Verschwörungstheorien (tatsächlich arbeiten die USA und Japan seit einigen Jahren eng zusammen in der Abwehr von Cyber-Bedrohungen).
Ein Einzelgänger, der einiges in Bewegung brachte: Edward Snowden (Joseph Gordon-Levitt) an seinem ersten Tag bei der NSA. (Bild: Jürgen Olczyk (Verleih: Pathé Films))
Dennoch ist «Snowden» insgesamt kein «JFK», hält sich mehrheitlich an verbürgte Begebenheiten. Der Film schafft es trotz des ernsten Themas zu unterhalten: Er ist Polit- und Medien-Krimi, Liebesdrama und Agenten-Thriller in einem.
Gut und Böse sind in klassischer Hollywood-Manier grob geschnitzt (Rhys Ifans könnte als NSA-Chef Corbin O’Brian auch die Nazi-Uniform tragen – es würde keinen Unterschied machen, aber man schaut dem grossartigen Bösewicht trotzdem gerne bei seinem Spiel zu). Ein politisches Produkt aus der Traumfabrik, aber ein durchaus sehenswertes.
Und jetzt? Ab ans Podium in Basel mit Snowden-Anwalt und Amnesty oder Tickets gewinnen!
Das Pathé Küchlin 1 zeigt «Snowden» am Freitag, 7. Oktober 2016 um 17.45 Uhr (Englisch mit deutschen Untertiteln). Direkt nach dem Film findet ein Podiumsgespräch mit den Referenten Marcel Bosonnet, dem Schweizer Rechtsanwalt von Edward Snowden, sowie Patrick Walder von Amnesty International Schweiz statt.
Die TagesWoche und Pathé Schweiz verlosen 5×2 Tickets für die Vorführung und das Podium: Senden Sie ein E-Mail mit dem Betreff «Snowden» an info@tageswoche.ch – und schreiben Sie einfach Ihren Namen und Ihre Telefonnummer in den Text der E-Mail. Keine Angst: Wir verwenden Ihre Angaben nur für diesen Wettbewerb und leiten Ihre Daten nicht weiter. Auch nicht an die NSA. Teilnahmeschluss: Dienstag, 4. Oktober, 10 Uhr.
Als Einstimmung der Trailer: