Die Alpen schmelzen

Der Klimawandel trifft die Alpen mit voller Wucht. Bis ins Jahr 2100 dürften auch grosse Gletscher wie der Aletsch weitgehend abschmelzen. Auswirkungen hätte dies auch für Basel.

Des personnes se rendent dans la grotte du glacier du Rhone ce mercredi 26 juin 2013. Le glacier est protege par des baches afin de diminuer la fonte des glaces. Depuis 1870, on perce la grotte chaque annee dans le glacier du Rhone a proximite du col de la Furka. (KEYSTONE/Olivier Maire) (Bild: OLIVIER MAIRE)

Der Klimawandel trifft die Alpen mit voller Wucht. Bis ins Jahr 2100 dürften auch grosse Gletscher wie der Aletsch weitgehend abschmelzen. Ein Vertreter des Unesco-Welterbes Jungfrau-Aletsch ruft deshalb zu einem verstärkten Klimaschutz auf.

Es ist ein erhabenes Gefühl, nach einem schweisstreibenden Aufstieg in den Alpen auf einen Gletscher zu blicken. Das bläulich schimmernde Eis, die bizarren Formen der Risse und Spalten, der kühle Wind, den uns der Gletscher ins Gesicht bläst. Wer einmal über einen Eisstrom geschritten ist, am Seil und vielleicht mit Steigeisen, wird ein solches Erlebnis nicht so schnell vergessen. Jährlich besuchen Tausende von Berggängern allein die Konkordiahütte, die über dem Grossen Aletschgletscher im Wallis thront.

Das «ewige Eis» in den Schweizer Alpen hat infolge der Klimaerwärmung aber ein Verfallsdatum, wie die kürzlich veröffentlichte Zusammenfassung des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 61 «Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz» klar macht. Bis ins Jahr 2100 werden in der Schweiz noch 10 bis 30 Prozent des heutigen Gletschervolumens übrig bleiben, prognostizieren die Forscher. Der Klimawandel trifft die Alpen mit voller Wucht.

Martin Funk, Professor für Glaziologie und Wasserbau an der ETH Zürich, geht davon aus, dass auch der Grosse Aletschgletscher, der mit 23 Kilometer längste und mächtigste Gletscher des gesamten Alpenraums, bis ins Jahr 2100 weitgehend abgeschmolzen sein wird. Er hat den Koloss für das Forschungsprogramm untersucht und kommt zum Schluss, dass bis zur nächsten Jahrhundertwende je nach Klimaentwicklung im günstigsten Fall noch ein Drittel, im ungünstigsten Fall aber gar nichts mehr von dem Gletscher übrig bleiben wird.




Ist der Krösus der Alpen bald nur noch eine braun-graue Schneise? Forscher befürchten es. (Bild: aletscharena.ch)

Man muss sich das einmal vorstellen: Der Aletschgletscher, dieser Krösus der Alpen, besteht aus 27 Milliarden Tonnen Eis. Taut dieses vollständig auf, reicht das Schmelzwasser aus, um jeden Menschen auf der Erde während sechs Jahren jeden Tag mit einem Liter Wasser zu versorgen, wie auf der Website der Marketingorganisation Aletsch-Arena zu lesen ist.

Aber auch die andern Schweizer Gletscher schmelzen rasant, einige werden schon 2050 ganz verschwunden sein. Das Nationale Forschungsprogramm 61 legt eindrücklich Zeugnis ab von diesem Gletschersterben. Martin Funk hat am Griesgletscher im Nufenengebiet im Sommer 2010 eine sechs Meter lange Aluminiumstange vollständig ins Eis gerammt. Eine Woche später ragte die Stange bereits 30 Zentimeter aus dem Gletscher hervor, um so viel war das Eis abgeschmolzen. Dies ist auf dem folgenden Video zu sehen, alle Videos die im Rahmen des Forschungsprogramms gedreht wurden, sind in einer gesammelten Playlist zu finden.

Auf einem andern Video (nachfolgend) sehen wir Wilfried Haeberli, wie er vor dem Steingletscher am Sustenpass steht. «Es ist schockierend, wie schnell sich der Gletscher innerhalb eines Jahres zurückgezogen hat», sagt der emeritierte Professor für Glaziologie an der Uni Zürich. Der Gletscherrückgang sei zweifellos eine Folge des Temperaturanstiegs, hält er fest. Das wärmere Klima wirkt sich gleich doppelt aus, einerseits schmilzt das Eis schneller, andererseits erhalten die Gletscher weniger Nahrung durch Schnee, weil sich die Schneefallgrenze in höhere Lagen verschoben hat. Mit jedem Grad Erwärmung steigt die Schneefallgrenze um 150 Meter. «Mit Regen können die Gletscher nämlich gar nichts anfangen», sagt er.

 

Das Verschwinden der Gletscher in den Schweizer Alpen ist nicht nur ein grosser ideeller Verlust, sondern es steigt auch das Risiko von Naturgefahren. So entstehen laut den Forschern durch den Rückzug der Gletscher in der Schweiz rund 500 bis 600 neue Seen. Die grössten zwei kommen dabei laut Haeberli auf dem Gebiet des Aletschgletschers zu liegen. «Diese Seen können nicht einfach sich selbst überlassen werden», sagt er zur TagesWoche.

Sie liegen am Rand steiler Bergflanken. Wenn Schutt oder Eismassen in die Seen donnern, entstehen Flutwellen. Zudem kann das Wasser dieser Seen ausbrechen, wie das Beispiel des Unteren Grindelwaldgletschers gezeigt hat. Dort bildete sich am Zungenende ein See, der im Tal unten schon zu Überschwemmungen führte. Inzwischen wurde ein Abflussstollen gebaut. Generell birgt das Entstehen neuer Seen auch ein touristisches Potenzial, dies vermag aber das Verschwinden der Gletscher kaum zu kompensieren.

Brig liegt im Ausflussbereich der Seen

Der Aletschgletscher wird laut den Forschern um das Jahr 2050 zum Hotspot der Schweizer Alpen werden. Haeberli rechnet mit zwei grossen Seen mit einer Fläche von je zwei Quadratkilometern, die dort entstehen werden. In deren Auslaufbereich liegt Brig, eine Stadt mit 12’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Um Brig zu schützen, könnte der bereits existierende Gebidem-Stausee im Abflussbereich des Gletschers erhöht werden, sagt der Experte. «Komplexe Schutzmassnahmen brauchen Zeit, das Problem muss deshalb frühzeitig angepackt werden», ist Haeberli überzeugt.

Die Region ist Teil des Unesco-Welterbes Jungfrau-Aletsch. Dieses umfasst praktisch die ganzen Berner Hochalpen vom Doldenhorn bei Kandersteg bis zum Schreckhorn bei Grindelwald. In der Mitte thronen Eiger, Mönch und Jungfrau, und der Aletschgletscher erstreckt sich von deren Südflanke ins Tal hinunter – er ist das Herzstück. In einer Charta haben die 25 Gründergemeinden erklärt, dass sie das Gebiet für künftige Generationen bewahren wollen. Laut der UN-Organisation für Bildung, Erziehung und Kultur (Unesco) stehen auch die jeweiligen Staaten – hier also die Schweiz – in der Verantwortung für die Bewahrung ihres Welterbes.

Wird dieses Juwel durch die Gletscherschmelze nicht zerstört? «Nein, die Landschaft verändert sich, und die Vielfalt bleibt», sagt Beat Ruppen, Leiter des Managementzentrums Jungfrau-Aletsch. Er findet es aber wichtig, die Massnahmen für den Klimaschutz – national wie international – zu verstärken. Seine Organisation setzt sich konkret für Sensibilisierungs-Massnahmen an Schulen ein. Damit auch künftige Generationen Alpengletscher in der Natur erfahren können – wenigstens in höheren Lagen.

Auch das Trinkwasser könnte knapp werden

Die erwartete grosse Eisschmelze in den Alpen wird auch Auswirkungen haben auf die Nordwestschweiz und das Mittelland. Heute führen die Flüsse im Sommer viel Schmelzwasser, dies wird im Jahr 2100 nicht mehr der Fall sein. Es wird zwar noch Wasser geben, aber vorwiegend im Winter, dann gibt es sogar häufigere Überschwemmungen. Im Sommer, wenn der Bedarf wegen künstlicher Bewässerung am grössten ist, werden die Flüsse jedoch deutlich weniger Wasser führen, weil die Gletscher als Wasserspeicher weitgehend verschwinden.

Baden im Rhein oder in den Flüssen des Mittellands wird möglicherweise ein zweifelhaftes Vergnügen.

Baden im Rhein oder in den Flüssen des Mittellands wird also möglicherweise ein zweifelhaftes Vergnügen, und ein niedriger Rheinpegel beeinträchtigt natürlich auch die Schifffahrt. «In grossen Trockenperioden könnte selbst das Trinkwasser knapp werden», sagt Wilfried Haeberli, emeritierter Professor an der Universität Zürich. Wasser steht heute unter der Hoheit der Kantone. Haeberli und die andern Forscher des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wassernutzung» fordern nun, der Bund müsse eine nationale Wasserstrategie entwerfen. Und Haeberli sagt: «Grundwasservorkommen müssen besser geschützt werden. Dies sollte bereits im Rahmen der Raumplanung geschehen.»

Neuer Schwung für Klimaverhandlungen

Nachdem sich China und die USA kürzlich bilateral auf verbindliche Klimaziele geeinigt haben, sind die Chancen für ein globales Klimaabkommen gestiegen. Beide Staaten hatten sich zuvor gegen verbindliche Reduktionsziele gesperrt, und sie sind verantwortlich für über 40 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Die USA kündigten an, den CO2-Ausstoss bis 2025 um jährlich zwei Prozent zu verringern. China will dafür sorgen, dass seine Emissionen spätestens 2030 den Höhepunkt erreichen.
Umweltorganisationen sprachen von einem Schritt in die richtige Richtung. Die gesetzten Ziele reichten allerdings nicht aus, um die Erderwärmung auf 2 Grad (im Vergleich zum vorindustriellen Niveau) zu begrenzen, schrieb der WWF Schweiz in einer Mitteilung. Ein Überschreiten dieser Grenze gilt als gefährlich. An der UNO-Klimakonferenz in Lima, die noch bis nächsten Donnerstag (11.12.) dauert, geht es nun darum, einzelne Bausteine eines globalen Klimaabkommens zu erarbeiten, das alle Staaten zur Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet. Abgeschlossen werden soll der Vertrag dann nächstes Jahr in Paris. Ab Dienstag wird auch Bundesrätin Doris Leuthard in Lima sich an den Verhandlungen beteiligen.

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