Die Angst der Basler Kurden

Das System Erdogan hat Basel voll erfasst: Die hiesigen Kurden haben sich aus dem politischen Leben zurückgezogen und trauen sich gegenseitig nicht mehr. Dazu beigetragen hat auch Justiz- und Sicherheitsdirektor Baschi Dürr. 

Basels Kurden sind von Erdogan eingeschüchtert: Gemeinsam auf die Strasse – wie hier im Herbst 2014 – trauen sie sich momentan nicht. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Ihr Facebook-Profil hat Elif Coskun gelöscht, in ihrem kurdischen Verein taucht sie nicht mehr auf, den Besuch bei ihren Eltern in der Türkei hat sie auf unbestimmte Zeit verschoben. «Ich fühle mich isoliert – die Situation ist frustrierend», sagt sie.

So wie Coskun fühlen sich derzeit viele der 10’000 Kurdinnen und Kurden in Basel. Und nicht nur Kurden, auch türkische Aleviten, Anhänger linker Parteien, kurz: jeder, der nicht auf türkischer Regierungslinie ist. Dieser Eindruck verfestigt sich nach einer Spurensuche im Kleinbasel mit vielen Gesprächen, von denen aber nur wenige in der Zeitung erscheinen dürfen.

Erdogans repressives Regime, die Erfahrung, dass Personen im kurdischen Kulturzentrum an der Müllheimerstrasse im Kleinbasel vom kantonalen Staatsschutz fichiert worden sind und dass Sicherheitsdirektor Baschi Dürr die PKK als Terrororganisation bezeichnet hat, schüchtert die sonst sehr aktive Community ein.

Lähmende Stimmung

Die Verunsicherung verstärkt hat die Affäre um einen freigestellten Sicherheitsassistenten der Basler Polizei, ein Erdogan-Anhänger, der in rund 160 Fällen ohne dienstliche Veranlassung Personendaten abgefragt hatte. Die Staatsanwaltschaft erklärte bald, es habe keine Weitergabe der Daten festgestellt werden können.

Dennoch hat die seltsame Geschichte bleibenden Schaden bei den Kurden angerichtet. «Das führte zu grossen Verunsicherungen. Ich weiss aber auch, dass es einen Spitzel unter uns Kurden gibt – auch deswegen meide ich Besuche bei kurdischen Vereinen», so Coskun.

Fühlt sich isoliert: Elif Coskun.

Elif Coskun sitzt neben ihrem Mann Mehmet Salih Coskun in ihrem eigenen Café im Iselin-Quartier. Ihre Worte klingen verzweifelt, die ihres Mannes kämpferisch. Während des Gesprächs macht sie ihm immer wieder Vorwürfe, wie leichtsinnig er handle.

Mehmet Salih Coskun ist Co-Präsident der HDK Basel, die rund 700 Mitglieder zählt und eine Dachorganisation von prokurdischen und linken Kräften ist. Er bestätigt die lähmende Stimmung bei den Kurden. «Ich stelle als Co-Präsident fest, dass die Kurden in Basel derzeit ängstlich sind und deswegen weniger aktiv», sagt er.

Der Kampf für die grosse Sache

Mehmet Salih Coskun stemmt sich dagegen, dass der Kampf für die grosse Sache dem Kampf für sich selbst und seine Nächsten weicht. Man dürfe keine Angst haben, denn das sei nämlich genau das, was das Erdogan-System bezwecke. «Man sollte sich jetzt als Kurdin oder Kurde noch mehr für Frieden und Demokratie einsetzen. Das sind wir unseren Vorfahren schuldig.»

Es sind solche Aussagen, die seine Frau Elif umtreiben. «Was soll ich denn machen, wenn ich plötzlich alleine dastehe ohne ihn?» Er könne nicht aufhören, er habe eine Mission, antwortet er. «Es geht nicht um meine Frau, es geht um die Rechte von Millionen Kurden.» Schweigen im Café.

«Kurden sollten sich noch mehr für Frieden und Demokratie einsetzen. Das sind wir unseren Vorfahren schuldig.»

Mehmet Salih Coskun, Co-Präsident HDK Basel

Elif Coskuns Bedenken sind berechtigt. Gegen ihren Mann, der seit zwei Jahren in Basel lebt, läuft in der Türkei ein Verfahren. Ende April 2017 wollte er seine Familie in der Türkei besuchen. Am Flughafen wurde er verhaftet und sass elf Tage hinter Gittern. Coskun sagt, dass er festgenommen worden sei, weil er 2015, als die kurdische Oppositionspartei einen Sieg bei den Parlamentswahlen verzeichnete, in einer Rede Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht formell ansprach, sondern mit «RTE» abkürzte.

In der Untersuchungshaft habe er zwei Tage weder Essen noch Trinken erhalten, im Spital in Istanbul sei er als Terrorist zur Schau gestellt worden. Er habe mit dem ihm zugeteilten Richter «grosses Glück» gehabt, sagt Coskun. Dieser entliess ihn aus der Haft, worauf er unmittelbar in die Schweiz zurückflog.

Sieben Jahre Haft für Erdogan-Beleidigung

Geht es aber nach der türkischen Staatsanwaltschaft, soll Coskun für sieben Jahre ins Gefängnis – wegen Beleidigung Erdogans und aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer früheren kurdischen Partei.

Das Urteil erwartet er im Januar. «Ich habe nicht vor, nochmals in die Türkei zu fliegen. Falls man mich per internationalem Haftbefehl verhaftet, werde ich mich vom Gefängnis aus für die Rechte der Kurden einsetzen.» Er wolle sich durch das Geschehene nicht einschüchtern lassen, im Gegenteil.

Seine Frau schüttelt den Kopf. «So mutig wie Mehmet bin ich nicht. Das kann ich auch nicht, wenn kurdische Vereine bespitzelt werden und Baschi Dürr die PKK als Terrorganisation bezeichnet», sagt sie und wird laut.

Vor sieben Monaten wurde Mehmet Sali Coskun in der Türkei verhaftet. Er soll für sieben Jahre ins Gefängnis.

Die Wut auf Baschi Dürr

Die Wut auf Justiz- und Sicherheitsdirektor Baschi Dürr bei den Kurden, sie ist gross. Im September verteidigte er in einer Antwort auf eine Interpellation von Tonja Zürcher (BastA!) die Fichierung mehrerer Personen, darunter auch SP-Ständerätin Anita Fetz, im kurdischen Verein an der Müllheimerstrasse durch den kantonalen Staatsschutz. Es habe der Verdacht bestanden, so Dürr, dass an der Eröffnungsfeier im Kurdischen Kulturzentrum Basel am 19. September 2015 «extrempolitische Propaganda und Rekrutierung zugunsten der «Terrororganisation PKK» betrieben werde.

In der Türkei, den USA und der EU gilt die PKK als strafrechtlich sanktionierte Terrororganisation. In der Schweiz ist sie aber nicht verboten. Deshalb sind die Kurden in Basel über Dürrs Aussage irritiert. Der Kurdische Verein beschwerte sich in einem Brief bei Dürr darüber.

«Wie kann man nur die PKK in den gleichen Topf wie den IS werfen? Alle Kurden sind irgendwie mit der PKK verbandelt.»

Elif Coskun

Dürrs Antwort darauf: «Gerne halte ich nochmals in aller Deutlichkeit fest, dass wir klar und eindeutig zwischen der hiesigen kurdischen Gemeinschaft und der Terrororganisation PKK unterscheiden. Wir gingen und gehen davon aus, dass diese Unterscheidung auch von der kurdischen Gemeinschaft in der Region Basel gemacht wird.» Beruhigend wirken Dürrs Worte nicht.

Dürr versteht Aufregung nicht

«Wie kann man nur so etwas sagen und die PKK in den gleichen Topf wie den IS werfen?», so Elif Coskun. Eine solche Aussage sei inakzeptabel und verletzend. Schliesslich habe jeder Kurde einen Verwandten, der in der PKK aktiv war. «Alle Kurden sind irgendwie mit der PKK verbandelt.»

Dürr zeigt sich gegenüber der TagesWoche uneinsichtig: «Auf jeden Fall kann ich die Aufregung darüber, dass in besagter Interpellationsantwort die Basler Regierung – wie die anderen Behörden in der Schweiz und im Ausland auch – von der PKK als einer Terrororganisation spricht, nicht nachvollziehen.»

Eine Terrororganisation in der Schweiz sei auch dann eine, wenn sie nicht verboten sei. «Ich möchte aber ganz klar betonen, dass der Regierungsrat die hiesige kurdische Gemeinschaft keineswegs mit der PKK gleichsetzt», sagt Dürr. Es sind Differenzierungen ohne Wirkung. Der Schrecken, einmal ausgelöst, sitzt in den Knochen.

Die Angst auf Facebook

Atilla Toptas betreut als Psychotherapeut viele kurdische Patienten. Die Angst vor Erdogan, die Furcht bespitzelt zu werden, ist in seinen Sprechstunden allgegenwärtig. «Viele Kurden und alevitische Türken haben grosse Angst, irgendetwas falsch zu machen und dann nicht mehr in die Türkei einreisen zu dürfen – nicht wenige gehen aus Angst schon gar nicht mehr in die Türkei, so auch ich nicht.»

Die Aussage von Dürr verunsichere die Gemeinschaft zusätzlich. «Wenn man weiss, dass die Räumlichkeiten des kurdischen Vereins unter Beobachtung stehen, will man sich dort auch nicht mehr blicken lassen und einen Kaffee trinken», sagt Toptas, der bis Ende 2015 für die SP im Grossen Rat sass. Man fürchte sich davor, dass hier gesammelte Daten an die Türkei weitergegeben werden könnten.

Die Angst vor Erdogan ist in den Sprechstunden von Atilla Toptas ein Dauerthema.

Wie eingeschüchtert die Kurden seien, zeige sich auf Facebook. Postete Toptas vor rund zwei Jahren etwas Regierungskritisches, bekam er von seinen Freunden Dutzende Likes. Macht er dies heute, sind es nur noch ein bis zwei. «Das finde ich schon beeindruckend.» Seine Patienten würden ihre Facebook-Accounts löschen oder Erdogan-kritische Facebook-Freunde aus der Freundesliste entfernen.

«Allgemein hat sich bei den Kurden eine Art Paranoia breitgemacht – keiner vertraut mehr jemandem, weil man Angst hat, er könnte ein Erdogan-Spion sein.» Türkische Verwandte von Toptas löschten ihn aus ihren Freundeslisten auf Facebook, aus Angst, in den Fokus der Behörden zu geraten.

Verzweifelte Anrufe bei Sibel Arslan

Diese Befürchtungen seien keine Paranoia, sondern eine Reaktion auf eine reale Gefahr, sagt Sibel Arslan, Basler Nationalrätin für das Grüne Bündnis. Sie habe während ihrer Besuche in der Türkei von Fällen erfahren, in denen der Facebook-Post eines Schweizer Erdogan-Kritikers einen Verwandten in Anatolien in die Bredouille brachte.

Die Angst vor Konsequenzen für die Familie und die Furcht, wegen Nichtigkeiten im Gefängnis zu landen, verängstigt und diszipliniert eine ganze Gemeinschaft.

Sibel Arslan weiss: Jedes Wort von ihr wird auf die Goldwaage gelegt, von allen Seiten.

Sie erzählt das im Interview mit der TagesWoche, zu dem sie erst nach Bedenkzeit einwilligt. Arslan bekommt wie keine zweite Politikerin die Verunsicherung zu spüren, sie dringt zu ihr durch in Form verzweifelter Telefonanrufe und der Erwartungshaltung, sie könne sich schützend vor eine ganze Community stellen. Arslan weiss: Jedes Wort von ihr wird auf die Goldwaage gelegt, von allen Seiten. Sie sagt: «Ich werde beobachtet.»

https://tageswoche.ch/+yhLR6

Das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, beschreibt die Gemütslage in der kurdischen Gesellschaft der Schweiz. Jede vor Jahren getätigte Aussage, jede Teilnahme an einer Kundgebung, jeder Kontakt auf den sozialen Medien kann Erdogans Häscher alarmieren.

Dahinter steht ein perfides, ein grausames System – vor allem aber ein extrem effektives: Die Angst vor Konsequenzen für die Familie und die Furcht, wegen Nichtigkeiten im Gefängnis zu landen, verängstigt und diszipliniert eine ganze Gemeinschaft. Einst hochpolitische Menschen flüchten in die Privatheit.

Nicht in der Türkei – in der Schweiz, in Basel.

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