Die Antwort der Philosophen

Eine Herausforderung durch den Rektor, eine elegante Antwort der Philosophen. Die Auseinandersetzung um die frei werdenden Lehrstühle an der philosophischen Fakultät der Uni Basel belebt den akademischen Betrieb. Zum Beispiel während eines Vortrags des österreichischen Philosophen Konrad Paul Liessmann.

Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann in seinem Büro in der Universität Wien. Diese Woche sprach er am Philosophischen Seminar der Uni Basel. (Bild: Regina Hügli)

Eine Herausforderung durch den Rektor, eine elegante Antwort der Philosophen. Die Auseinandersetzung um die frei werdenden Lehrstühle an der philosophischen Fakultät der Uni Basel macht den akademischen Betrieb lebendig, fassbar, faszinierend. Zum Beispiel während eines Vortrags des österreichischen Philosophen Konrad Paul Liessmann.

Am Anfang, da war dieses Interview mit dem Rektor der Universität Basel. Antonio Loprieno, leutselig und charmant wie eh und je, redete in der TagesWoche über Forschungsgelder, über die Bologna-Reform, über die Geisteswissenschaften im Allgemeinen.

Und über die Philosophie im Speziellen.

Nehmen wir ein Beispiel: Im Fach Philosophie gibt es drei Lehrstühle, zwei werden vakant. Was raten Sie den Philosophen?

Als Rektor kann ich dazu nichts sagen, aber als Denker, im Sinne eines Gedankenspiels. Man könnte zum Beispiel sagen: Wir verzichten auf das Fach, weil die kritische Masse fehlt, um leistungsfähig zu sein und das Angebot auch dem Zeitgeist nicht mehr wirklich entspricht. Oder man könnte sagen: Jetzt bauen wir aus, holen drei, vier oder noch mehr neue Professoren und schaffen mit ihnen ein Zentrum der Weltphilosophie! Fast alles ist möglich, nur etwas geht nicht: das gleiche zu machen wie die Vorgänger. Sonst geht man unter.

Wer steht beim Fach Philosophie denn nun in der Pflicht?

Ich glaube an die Macht der Debatte. Die Vorschläge müssen bottom up kommen, zuerst von den Studenten und ihren Professoren, dann von der Fakultät. Schliesslich entscheidet die Universität als Ganzes beziehungsweise der Universitätsrat. Die Universität funktioniert wie eine Republik.

Ein paar Wochen später steht Angelika Krebs, die letzte verbleibende Lehrstuhlinhaberin am Philosophischen Seminar, im Hörsaal 117 der alten Universität am Rheinsprung und sagt: «Wir müssen höllisch aufpassen.» Es ist ganz still in diesem viel zu vollen Saal, jeder dafür vorgesehene und jeder vorstellbare Platz ist mit einer Studentin, einem Studenten besetzt, als Professorin Krebs die aktuelle Situation des Philosophischen Seminars in groben Zügen skizziert. Die durch Loprieno aufgebrachte Frage nach dem Nutzen der Philosophie, die Wertung dieser Frage aus ökonomischer Sicht («eine falsche Logik»), Loprienos Forderung einer «Neuerfindung» der Disziplin, die noch vage Möglichkeit eines zusätzlichen Lehrstuhls für Ästhetik und – ganz grundsätzlich – das Bewusstsein für eine nicht einfache Situation. «Wir wollen einen Aufbruch. Keinen Einbruch. Und wir haben die Herausforderung angenommen.» Noch ist nichts entschieden in Sachen Lehrstühlen, noch laufen Verhandlungen und Gespräche. Mit Abenden wie diesen versuchen Krebs und das Seminar, sich bemerkbar zu machen, aktiv zu sein.

Unerschrockener Intellektueller

Sie wendet sich zu Ihrer Linken und zeigt auf einen Mann in Anzug, dessen Grösse man ihm bereits im Sitzen ansieht. «Ich darf Ihnen Konrad Paul Liessmann vorstellen. Einen unerschrockenen Intellektuellen.»

Der österreichische Philosoph ist Teil des von Krebs formulierten «Aufbruchs». Im Rahmen einer Vortragsreihe des Philosophischen Seminars spricht Liessmann, der sich kürzlich in der TagesWoche über die Schwierigkeit von Schulreformen und die Unmöglichkeit des Bologna-Systems ausgelassen hat, an diesem Abend «Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben».

Es ist eine direkte Antwort auf die von Rektor Loprieno formulierte Kritik an der Philosophie – und was für eine. Sie zischt und braust und gurrt und flüstert und droht. Dieser Liessmann ist ein ziemliches Ereignis.

Die eigentliche Aufgabe

Auch inhaltlich, übrigens. Beginnend mit Friedrich Nietzsche, neben Karl Jaspers der grösste Philosoph, der je in Basel lehrte, und dessen Schrift «Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben», erläutert Liessmann die Unmöglichkeit der Fragestellung. Der Vorwurf an die Philosophie, nichts zu «nützen», sei ein oft gehörter. Was ihn aber nicht richtiger mache. Es sei die eigentliche Aufgabe der Philosophie über das Leben und den Menschen nachzudenken, im besten Sinne eine Selbstreflektion unser aller selbst zu ermöglichen. Frei von Zwängen, frei von den Gegebenheiten der Zeit, frei von Ansprüchen der Gesellschaft. Man dürfe in diesem Zusammenhang dem Rektor der Basler Universität durchaus ein weiteres Nietzsche-Zitat übermitteln: «Dass der philosophische Genius nichts so sehr benötige wie Freiheit, Freiheit und immer wieder Freiheit.»

Liessmann weist darauf hin, dass die Debatte bis ins 18. Jahrhundert genau umgekehrt verlief wie heute. In der Antike wurde offensiv und vergeblich nach dem Nutzen von Technologie, dem Nutzen von Naturwissenschaft im weiteren Sinne gefragt. Ausdruck davon waren später die ersten Universitäten im Mittelalter, die neben der Artistenfakultät (der späteren Philosophischen Fakultät) nur eine Medizinische (der Körper), eine Juristische (der Mensch in der Gemeinschaft) und eine Theologische (die Seele) Fakultät beherbergten. Erst in der Moderne, erst mit der Erkenntnis, dass das Begreifen der Natur eine direkte Anwendbarkeit, einen Nutzen für den Menschen bieten kann, fand eine Umkehrung der Verhältnisse statt. Seither stehen die Geisteswissenschaften unter einem speziellen Legitimationsdruck, einem ungerechtfertigten Legitimationsdruck, wie Liessmann sagt. Während die Naturwissenschaften nach ihrer Nützlichkeit bewertet würden, sollten die Geisteswissenschaften viel eher an ihrer Wahrhaftigkeit gemessen werden.

Zwei Kategorien, die deckungsgleich sein können – aber nicht müssen. Noch einmal Nietzsche: «Dem Staat ist es nie an der Wahrheit gelegen, sondern immer nur an der ihm nützlichen Wahrheit, noch genauer gesagt, überhaupt an allem ihm Nützlichen, sei dies nun Wahrheit, Halbwahrheit oder Irrtum.»

Betrüben

Diesem Druck müsse die Geisteswissenschaft widerstehen können, die Philosophie im Speziellen. Und selber etwas entgegen halten. «Die Philosophie muss den Mut haben, gefährlich zu denken», sagt Liessmann. Gross denken, mutig denken, anders denken, denken! «Es ist nicht die Aufgabe der Philosophie, uns glücklich zu machen oder uns Sinn zu geben oder nützlich zu sein», sagt Liessmann zu diesem Saal voller Studenten, «sondern die Philosophie muss uns auch hin und wieder betrüben».

Quellen

Artikelgeschichte

Disclaimer: Der Autor studiert am philosophischen Seminar der Uni Basel. Allerdings nicht mehr lange.

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