Die Länder des Westbalkans haben damit begonnen, Flüchtlinge abzuweisen. Vor Ort wächst die Angst vor einem Rückstau, der Zehntausende Flüchtlinge betrifft. Das Einreiseverbot hängt auch mit den Terroranschlägen von Paris zusammen.
Slowenien hat am Mittwoch begonnen, einzelnen Flüchtlingsgruppen die Einreise ins Land zu verweigern. Der serbische Innenminister Nebojsa Stefanovic erörterte gegenüber dem Fernsehsender B-92, Slowenien habe Migranten aus einigen afrikanischen Staaten nach Kroatien abgeschoben. Laut dem serbischen Innenminister handelte es sich um eine kleine Anzahl von Personen. Schon zuvor kündigte der Minister an, etwas dagegen zu unternehmen, dass eine grössere Zahl von Flüchtlingen in Serbien bleibt.
Am Donnerstagabend um 18 Uhr begann Serbien dann damit, die ersten Flüchtlinge an der Grenze zu Mazedonien zurückzuweisen. Syrer, Afghanen und Iraker dürfen weiterhin passieren. Die anderen werden pauschal als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge abgewiesen. Mazedonien führte um drei Uhr in der Nacht auf Donnerstag dieselbe Praxis ein, wodurch zunächst eine Gruppe von rund 100 Menschen im Niemandsland zwischen Mazedonien und Griechenland gefangen war. Inzwischen stehen Hunderte Menschen an der Grenze und wissen nicht, was sie tun sollen. Die Anweisung ist schlicht eine Reaktion auf die Politik Sloweniens. Wenn die Slowenen keine Flüchtlinge aus anderen Ländern hereinlassen, bildet sich ein Rückstau. Das wollen Serbien und Mazedonien verhindern.
Jedes Wort der Schengenstaaten hat einen Einfluss auf die Situation auf dem Balkan
Jede Reaktion der Schengenstaaten Deutschland, Österreich und Slowenien wirkt sich sofort auf die Balkanroute aus. In Serbien herrscht seit den Terroranschlägen in Paris die Angst, das Land könnte zu einem Auffangbecken werden. Einer der mutmasslichen Attentäter von Paris soll mit einem gefälschten syrischen Pass über die Balkanroute bis nach Paris gekommen sein. Jedenfalls gibt es Hinweise darauf, dass er in Griechenland, Serbien und Kroatien registriert war. Das katalysierte die Angst, dass die Länder der Europäischen Union nun die Grenzen für Flüchtlinge auf der Balkanroute schliessen.
Bereits nachdem die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner «bauliche Massnahmen» in Aussicht gestellt hatte, folgte die erste Beunruhigung auf dem westlichen Balkan. Man mag gar nicht daran denken, was auf der Balkanroute los wäre, sollte Deutschland versuchen, die Einreise von Flüchtlingen zu unterbinden. Das Ergebnis wäre wohl ein Rückstau von Zehntausenden Menschen in den Westbalkanstaaten, die damit nicht umgehen können.
Warten auf die Registrierung in Presevo, Serbien. Hier kommen manchmal 6000 Flüchtlinge am Tag an. (Bild: OGNEN TEOFILVOVSKI) (Bild: OGNEN TEOFILVOVSKI)
Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dieses Problem bewusst, weshalb sie Abschottungsversuchen vor zwei Wochen eine Absage erteilte: «Ich will nicht, dass dort wieder militärische Auseinandersetzungen notwendig werden.» Weder sind solche militärischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan notwendig, noch wird es dazu kommen. Dennoch kommunizierte Merkel brachial, dass die Staaten des Westbalkans mit der Versorgung einer hohen Anzahl Flüchtlinge überfordert wären.
Bislang haben sich die Serben recht solidarisch gezeigt und versucht, eine schnelle Durchreise zu ermöglichen. Nennenswerte Stimmung gegen Flüchtlinge gibt es derzeit nicht. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist gross. Dennoch wächst im Land die Angst vor einem Rückstau.
Erst im September hat Kroatien die Grenze zu Serbien geschlossen. Serbien möchte Winterquartiere für 6000 Personen einrichten. Sollten die Anschläge von Paris zu Grenzschliessungen in den EU-Ländern auf der Balkanroute führen, würde das bei Weitem nicht ausreichen. Allein im südserbischen Presevo kommen teilweise täglich über 6000 Menschen an.
Serbien hat es bislang noch nicht einmal geschafft, die eigenen Flüchtlinge aus den Kriegen der 1990er-Jahre allesamt unterzubringen. In manchen Flüchtlingslagern leben Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und dem Kosovo seit nunmehr 24 Jahren.
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