«Die Bologna-Reform ist alter Wein in neuen Schläuchen»

Die Umsetzung der Bologna-Reform dauert bereits 15 Jahre. Folgen hat sie schon jetzt für Bachelorabsolventen der Unis: Der Arbeitsmarkt braucht sie nicht. Nicht die einzige überraschende Aussage einer Podiumsdiskussion zum Thema.

An einer Podiumsdiskussion über die Bologna-Reform überraschten Uni-Verteter mit unverblümten Aussagen. (Bild: Christian Flierl)

Die Umsetzung der Bologna-Reform dauert bereits 15 Jahre. Folgen hat sie schon jetzt für Bachelorabsolventen der Unis: Der Arbeitsmarkt braucht sie nicht. Nicht die einzige überraschende Aussage einer Podiumsdiskussion zum Thema.

Die Universität Basel hat am Mittwoch ein kontroverses Thema aufgegriffen, das die Bildungsverantwortlichen mittlerweile seit 15 Jahren beschäftigt: die Bologna-Reform. Die Reform steht im Verruf, das Hochschulsystem zu verschulen und die akademische Freiheit einzuschränken. Passend dazu lautete der Titel der Podiumsdiskussion auch «Bologna – besser als der Ruf?».

Das Fragezeichen schwebte schon kurz nach dem Diskussionsstart über dem Hörsaal 102 der Uni, allerdings aus anderem Grund: Wo waren die Studierenden?

Der Einladung zur Diskussion zwischen Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, Stephan Morgenthaler, Dekan für Internationale Beziehungen an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), Martin Kessler von der Universität Göttingen und Ronald Schenkel, Redaktionsleiter von NZZ Campus schienen kaum Studenten gefolgt zu sein, jedenfalls waren die Reihen zwar gut gefüllt, aber geprägt von grauen Haarschöpfen. 

Möglicherweise haben sich die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel (FAG), der Förderverein Universität Basel (FUB) und die Ehemaligenvereinigung der Universität Basel (AlumniBasel) den Anlass aber so vorgestellt. Die Stimmen der Betroffenen wären aber auch von den Debattanten gefragt gewesen: «Wir müssen die Studenten fragen», sagte etwa Privatdozent Kessler einleitend, «die nur Bologna kennen.»

«Wir müssen die Studenten fragen, die nur Bologna kennen.»

Martin Kessler, Privatdozent an der Universität Göttingen

Mindestens so spannend wäre aber nicht nur deren Aussage gewesen, sondern dürften auch die Ausführungen der Diskutierenden für die Studenten gewesen sein.

In den Vorträgen von Uni-Rektor Loprieno und EPFL-Vertreter Morgenthaler wurde deutlich, dass die Schweizer Universitäten bei der Umsetzung der Reform die Studieninhalte nicht geändert haben. Die Trennung zwischen Bachelor- und Masterstudium sei im Grunde willkürlich. «Wir könnten auch von altem Wein in neuen Schläuchen sprechen», sagte Loprieno unverblümt.

Bachelor-Abschluss reicht nicht für Arbeitsmarkt

Dieses Vorgehen wirkt sich auf die Bachelorabschlüsse aus. Ein Bachelorabsolvent in Elektrotechnik könne seinen Beruf noch nicht ausüben, bestätigte Morgenthaler. Für den Vertreter der EPFL ist klar, dass die Studenten einen Masterabschluss benötigen. Damit konnte aber eine Grundidee der Bologna-Reform, dass auch Bachelorabsolventen für den Arbeitsmarkt gerüstet sind, nicht umgesetzt werden.

Immerhin hat die EPFL das Verbesserungspotenzial erkannt und will die Bachelorstudenten besser auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, wie Morgenthaler ankündigt: «Nach dem Bachelor sollen die Leute in die Industrie gehen können, Arbeitserfahrung sammeln und später vielleicht einen Master machen.»

An der Fachhochschule sieht es bereits jetzt anders aus: Der Bachelor gilt als berufsqualifizierend und die Absolventen können direkt nach dem Abschluss in den Arbeitsmarkt eintreten. Für Schenkel ist klar, dass die Fachhochschulen von der Bologna-Reform am meisten profitieren konnten. «Ohne Bologna-Reform gäbe es keine Fachhochschulen», meint Schenkel.

Wettkampf zwischen den Universitäten hindert Mobilität

Die Mobilität zwischen den Hochschulen ist ein weiteres Anliegen der Bologna-Reform. Obwohl die Studenten mittlerweile häufiger ein Auslandsemester absolvieren oder für den Master an eine andere Universität wechseln, bleiben bürokratische Hürden bestehen. Nach einem Auslandsemester konnte eine Studentin ihre Kreditpunkte zurück in der Schweiz nicht anrechnen lassen, berichtet Schenkel. Für die Universität Zürich waren die Lehrveranstaltungen in Schweden nicht gleich viel Kreditpunkte wert.

Loprieno erklärt, dass dies an der Profilierung der einzelnen Universitäten liege. Gewisse Universitäten wie beispielsweise eine ETH fühlen sich als etwas besseres und dadurch werde eine reibungslose Anrechnung der Kreditpunkte verhindert, sagt der Rektor. Auch ein Wechsel nach dem Bachelor von einer Uni an die ETH ist problematisch.

Die Mobilität zwischen den Schweizer Universitäten funktioniere, aber eben nicht zwischen den Unis und den Eidgenössischen Hochschulen, sagt Loprieno. Der Wettbewerb zwischen den Hochschulen wirkt sich am Ende auf die Studenten aus, die teilweise zusätzliche Kurse belegen müssen oder Kreditpunkte nicht angerechnet bekommen.

Kreditpunkt ist nicht gleich Kreditpunkt

Was der Vertreter der Lausanner ETH auch gleich bestätigte, wenn auch mit einer Begründung: Für Morgenthaler ist es problematisch, dass die  Kreditpunkte je nach Universität unterschiedlich verteilt werden. «Für die gleiche Veranstaltung mit denselben Studieninhalten erhalten die Studierenden an der EPFL 4 Punkte, an einer anderen Uni aber 6 Punkte.»

Es werde Gleiches ungleich behandelt, betont der Dekan. Dies führe dazu, dass die Masterabschlüsse der verschiedenen Universitäten im Grunde nicht vergleichbar sind.

«Gleiches wird ungleich behandelt.»

Stefan Morgenthaler, Dekan an der EPFL

Das Ziel der Bologna-Reform, die Studienabschlüsse vergleichbar zu machen, sei laut Morgenthaler nicht erfüllt. Im neuen System sei es wichtiger, von welcher Uni der Abschluss sei, als der Abschluss selbst.

Im Vordergrund stehen Kreditpunkte

Dass der Abschluss tatsächlich das einzige Ziel scheint im Bologna-System, erfährt man in den Gängen der Universität. «Wenn ich mehr Freiheit hätte», erklärt ein Anglistik- und Hispanistik-Student, «könnte ich studieren, was mich wirklich interessiert.»

Das Sammeln von Kreditpunkten führe allerdings dazu, dass lustlose und uninteressierte Studenten gewisse Pflichtkurse absitzen müssen, sagt der Student: «Ob das im alten System anders war, kann ich nicht sagen.»

Eine Antwort auch auf die einleitende Frage von Martin Kessler, dass man die Bologna-Studenten fragen müsse, wie das System ist. Die Antwort gab er später allerdings selbst sehr treffend: Das Studieren aus Interesse und für eine breite Bildung fällt weg, bei der Bologna-Reform steht die Ausbildung im Vordergrund, erklärte Kessler und sagte: «Die Bologna-Reform sieht keine Faulheit vor.»

Bologna-Reform

Mit der Bologna-Reform wurde das mitteleuropäische Bildungssystem seit 1999 dem angelsächsischen Modell angepasst und auf ein zweigliedriges Bachelor- und Masterstudium umgestellt. Ziel der Reform ist es, ein einheitliches Bildungssystem zu schaffen, damit die europäischen Studienabschlüsse vergleichbar sind. Zudem sollte die Bologna-Reform die Mobilität der Studierenden erhöhen. An der Universität Basel sammeln die Studierenden seit Herbstsemester 2006 Kreditpunkte in unterschiedlichen Pflicht-, Wahlpflicht und Wahlmodulen. Die Leistungen werden stets überprüft in Form unterschiedlicher Leistungsnachweise wie Prüfungen, Referate oder Seminararbeiten.

Nächster Artikel