Das Unternehmen der Zukunft ist beweglich, flach strukturiert und geht auch mal Risiken ein, sagten Experten auf einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend. Auf Dauer ungemütlich werden könnte es in der digitalen Gesellschaft für das mittlere Management.
«Die digitale Transformation kommt nicht auf uns zu. Sie ist schon da», beantwortete Sabine Berghaus die Eingangsfrage des Moderators Daniel Hinderink, Mitgründer der Consultingfirma «dpool». Mit ihr zum Diskussionspanel der diesjährigen Magnolia Conference in Basel geladen waren Josh Valman, dessen Arbeitsfeld er selbst mit «Solution Provider» (Lösungsanbieter), angibt, und Mark Halvorson, «Chief Imagineer» der Firma Atlassian Software.
Auf der Konferenz der in Basel ansässigen Firma Magnolia tummelt sich alljährlich das digitale Arbeitspersonal. Das Publikum besteht aus Entwicklern mit Piercingschmuck und karierten Hemden, Geschäftsleuten im Anzug, Strategen und Beratern, das Programm aus einer Mischung von Workshops, Fallbeispielen, Business Visionen, einer «Unconference» und einem Diskussionspanel. In diesem Jahr zum Thema digitale Transformation.
Die meisten Unternehmen befinden sich mitten im digitalen Umbau
Sabine Berghaus forscht am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen über digitale Themen und untersucht, wie Unternehmen mit der Umstellung auf die digitale Welt zurechtkommen. Dazu hat sie ein System entwickelt, das die Firmenkultur in fünf Reifegrade einteilt. Auf Stufe Eins befand sich dabei keine, auf Stufe Fünf auch nicht. Die meisten Unternehmen lagen irgendwo dazwischen.
Flexibler und bereichsübergreifender muss eine Organisation in der digitalen Welt arbeiten. Und vor allem: schnell. Das betrifft nicht nur die IT-Abteilung, sondern das ganze Unternehmen. Zusammenfassen kann man das unter dem Schlagwort «agile Organisation». In Stichworten heisst das: weniger Hierarchien, weniger Silodenken, mehr Transparenz, flexible Teamstrukturen, mehr Experimente und auch mal ein halbfertiges Produkt auf den Markt werfen, das man später noch verbessern kann.
«Agile Organisation»: schnell, flexibel und experimentierfreudig
Der ausserhalb der IT-Welt nicht jedem geläufige Begriff ist für die Digitalspezialisten ein bekanntes Thema. «Wir müssen aufhören, Produkte zu verbessern und anfangen, Prozesse zu verbessern», fasste Josh Valman aus seiner Sicht zusammen.
Spotify, sagte Mark Halvorsen, sei ein hervorragendes Beispiel für eine agile Organisation. Da werde viel versucht und auch transparent gemacht, wie man sich organisiert, um das zu erreichen. «Wer zu viel arbeitet, ist nur nicht faul genug, eine Software zu entwickeln, die ihm das abnimmt», witzelte er.
«Agile Strukturen ändern die Firmenkultur», bestätigte Sabine Berghaus. Je nach Branche werde das unterschiedlich wahrgenommen. «Versicherungen, zum Beispiel, tun sich sehr schwer damit, mehr zu experimentieren. Schliesslich ist das Vermeiden von Risiken ihr Kerngeschäft», kommentierte sie nach dem Talk.
Schlechte Nachrichten für das mittlere Management
Darüber, wie die Veränderung der Arbeitswelt aussehen wird, war man sich also einig. Steinig ist bisweilen der Weg dahin. Der Anstoss zum Umbau in eine agile Organisationsform müsse von oben kommen, vom Top-Management. Und er ist nicht immer einfach. Sabine Berghaus mag das Wort «Agility» deshalb nicht so sehr und bevorzugt «elastisch». «Wie ein Gummiband, das festgemacht ist an alten Methoden, Prozessen und Gegebenheiten, das sich aber strecken muss, wenn ein Unternehmen neue Dinge umsetzen will», erklärte sie.
Ein Hemmschuh sind dabei nicht nur festgefahrene Strukturen, sondern auch Altlasten in Hard- und Software. Manche Systeme sind seit dem Beginn der digitalen Ära in Würde gealtert und inzwischen 30 Jahre alt. Ihre Pflege bindet Zeit und Geld, sie zu ersetzen aber auch.
Eine wichtige Rolle spielt das mittlere Management, das sich beim Umbau oft selbst abschafft. «Diese Gruppe verliert wahrscheinlich bei der Umstrukturierung oft den Job», bestätigt Josh Valman. Verallgemeinern will das Valman, der Prozesse für Firmen designt, aber nicht. Supportorganisationen etwa seien ohne hierarchische Eskalationspfade verloren.
«Die neue Macht gehört den Nutzern»
Wie es die drei Experten mit dem Thema Big Data hielten, fragte ein Zuhörer. Josh Valmans Unternehmen RPD International sammelt bei jedem Projekt so viele Daten wie nur möglich. «Wenn wir sie jetzt nicht brauchen können, dann irgendwann», befand er und sprach sich gegen eine Einschränkung der Datensammlung aus. Er fände es paradox, dass Menschen den Datenfluss an Unternehmen einschränken wollen, «die deshalb gute Apps haben, weil es diese Daten gibt».
Die neue Macht, fügte er hinzu, gehöre den Nutzern. Die Legislative sei für eine Regulierung zu langsam und zu schwerfällig, das Verständnis digitaler Prozesse sei dort auch einfach zu gering.
Etwas kritischer sah das Sabine Berghaus, sie verlässt sich aber auf demokratische Systeme. «Wir haben jetzt die Möglichkeit, das für die Zukunft zu diskutieren», findet sie. Mark Halvorson verlässt sich in Sachen Datenmissbrauch auf die Kontrollinstanzen in Medien und Politik.
Optimistisch für die Zukunft
Für die Zukunft äusserten sich alle drei «Transformers» optimistisch. Die Arbeitswelt werde sich verändern, internationaler und weniger ortsgebunden sein, sagten sie voraus. Es werde mehr experimentiert werden, was auch einschliesse, öfter auf ein Scheitern gefasst zu sein. Aber am Ende, so Sabine Berghaus, «stellen noch immer wir Menschen die Fragen, auch wenn Computer vielleicht alle Antworten haben».
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Disclaimer: Magnolia-Co-Founder und CEO Pascal Mangold ist Verwaltungsrat der Neue Medien Basel AG, welche die TagesWoche herausgibt.