Die falschen Sündenböcke

Der Frust der Besetzer am Klybeckquai richtet sich nach der Räumung gegen den Zwischennutzungsverein Shift Mode und die Polizei. Das ist falsch. Eine nüchterne Nachbetrachtung.

Ist der Feind erstmal gefunden, spielen Logik und Realität keine Rolle mehr: Anti-Shift Mode-Grafitti am Unternehmen Mitte. (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Der Frust der Besetzer am Klybeckquai richtet sich nach der Räumung gegen den Zwischennutzungsverein Shift Mode. Das ist falsch. Eine nüchterne Nachbetrachtung.

Eine Räumung ist eine aufregende Angelegenheit, aufwühlend auch. Es ist frustrierend mitanzusehen, wie die Arbeit mehrerer Monate innert Minuten von schwerem Baugerät zertrümmert wird. Eine Räumung wirbelt Staub auf, das trübt Sicht und Sinne.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass die Sympathisanten von «Uferlos Bar» und «Haafescharte» nach einem Sündenbock suchen. Und ihn auch gefunden haben, vermeintlich. Noch bevor Bagger und Beamte in Helmen auffuhren, waren sich die Besetzer einig: «Shift Mode ist schuld. Kommerz verdrängt Subkultur.»

Das ist falsch.

Die Aggression gegen die Menschen hinter dem Zwischennutzungsverein (und ihre anderen Projekte wie die «Lady Bar») ist fehlgeleitet. Bei den Besetzern herrscht die Meinung vor, Shift Mode habe nicht auf Quadratmeter verzichten wollen. Aus Gier und Profilierungssucht.

«Ein zweiter Akteur neben Shift Mode kam nie in Frage.»

Guy Morin, Regierungspräsident

Tatsache ist, dass Shift Mode keinen einzigen Quadratmeter an die Besetzer hätte abtreten können. Das bestätigt Regierungspräsident Guy Morin auf Anfrage. «Wir haben Shift Mode die volle Verantwortung für die 12’500 Quadratmeter übertragen. Das ist vertraglich festgehalten.» Das Ziel der Vergabe an den Verein sei immer gewesen, nur noch einen einzigen Ansprechspartner zu haben. Es sei weder in Frage gekommen noch je erwogen worden, einen zweiten Akteur ins Boot zu holen, sagt Morin.

Wenn einzelne Projekte hätten weitergeführt werden können, dann also nur als Untermieter von Shift Mode. Dass der Verein dazu – im Rahmen seiner Möglichkeiten – durchaus gewillt war, zeigt ein «Commitment» welches Shift Mode an eine Anwohnergruppe des Klybeckquartiers rund um die Platanenhof-Wirtin Charlotte Wirthlin versandt hat. Das Dokument liegt der TagesWoche vor.

So steht dort beispielsweise, dass Shift Mode bereit sei:

«Projekte der IG Hafenplatz mit öffentlichem Charakter und ebensolchem Interesse, welche Sinn und Zweck der Bespielung des Holzpark-Klybeck unterstützen, ab dem 2. Juli 2014 auf der Fläche von Shift Mode zu integrieren.»

Ausserdem erklärt sich Shift Mode bereit, interessierte Akteure beispielsweise bei baurechtlichen Fragen zu unterstützen. An die Adresse der Besetzer richtet sich insbesondere der vierte Abschnitt des Dokuments:

«Der Verein Shift Mode erklärt sich weiter bereit, die der IG Hafenplatz bis zum 1. Juni 2014 zurückgebauten 25 Hektaren Nutzfläche auf seiner Fläche wieder aufzubauen und zu ermöglichen.»

Kompromisslosigkeit sieht anders aus.

Die Beamten blieben ruhig, trotz wüstesten Beschimpfungen.

Fehlgeleitet ist auch der Teenager, der Polizisten so lange «Hurensöhne» nennt, bis die erwünschte Reaktion erfolgt. Oder – wie am letzten Dienstag – eben nicht erfolgt.

Der Einsatz des Räumungstrupps war souverän. Anders als vor einem Jahr bei der «Favela-Räumung», schienen die Beamten ihrer Aufgabe gewachsen. Im Einsatz war neben der Uniformpolizei auch die Sondereinheit «Basilisk». Die Verhältnisse dieses Einsatzes waren aus Sicht der Polizei denkbar ungünstig. Zwischen den Bretterbuden war es eng, dahinter brannten und rauchten mehrere Feuer. Die Menge sass zum Teil seit Stunden in der sengenden Sonne, manch einer trank dabei ordentlich Bier. Auf die Beamten waren unzählige Augenpaare und Kameras gerichtet.

Und trotzdem fiel der Einsatz vergleichsweise moderat aus. Der Räumungstrupp wurde ununterbrochen angebrüllt und wüst beschimpft. Manchmal standen sich Besetzer und Beamte im Abstand weniger Zentimeter gegenüber. Während die eine Seite mit Geschmacklosigkeiten nicht geizte, bewahrte die andere Seite eine beinahe stoische Ruhe.

Aus dieser Räumung gehen alle involvierten Akteure als Verlierer hervor. Fehlgeleitete Aggression wird noch mehr Verlierer produzieren.

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