Die Fans können sich auf etwas gefasst machen

Die Behörden greifen zu umstrittenen Massnahmen, um Fackeln endgültig aus Fussballstadien zu verbannen.

Bald sollen Sicherheitsleute auch intim kontrollieren dürfen. (Bild: (KEYSTONE/Alessandro della Valle))

Die Behörden planen Intimkontrollen bei den Zuschauern, um Pyro-Schmuggel in die Stadien zu verhindern. Experten sind skeptisch. Von Martina Rutschmann und Michael Rockenbach

Den Zürcher Fussballclubs läuft es nicht. Sie spielen schlecht, holen wenig Punkte, lamentieren. Auf den Rängen sind die Probleme noch drängender: Das Derby der Grasshoppers gegen den FC Zürich Anfang Oktober wurde abgebrochen, weil Fans beider Mannschaften aufeinander losgingen, zuerst mit Worten und Provokationen, später mit Fackeln und Fäusten. Und dann, am 3. November beim Europacup in Rom, explodierte ein Böller in der Hand eines FCZ-Fans. Der Mann verlor drei Finger.

Jetzt ist die Aufregung gross, und das nicht nur in Zürich. Clubs und Experten überbieten sich mit Vorschlägen, wie das Pyro-Aufkommen in den Kurven verhindert werden soll. Der Zürcher Stadtrat fordert Nulltoleranz und findet damit schweizweit Gehör. Sogar Spielabbrüche werden verlangt, sobald auf den Rängen mit dem Feuer gespielt wird.

Kontrollen wie am Flughafen

Etwas entspannter ist man in Basel. Grössere Ausschreitungen hat es zumindest bei Heimspielen im St.-Jakob-Park seit über drei Jahren keine mehr gegeben. Und damals waren es FCZ-Fans, die für Tumulte sorgten: Ein Mann warf aus dem Gästesektor eine brennende Fackel in die Zuschauer. Die FCB-Fans in der Muttenzer Kurve hingegen haben schon lange keine Krawalle im Joggeli mehr verursacht. Ein Grund könnte die enge Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden, dem FC Basel und der Stadionbetreiberin sein. «Probleme gibt es aber auch hier – die Pyros», sagt der Basler Polizeikommandant Gerhard Lips, «sie müssen aus den Stadien verschwinden.» Signalfackeln seien extrem heiss und nicht zu löschen. «Entsprechend gefährlich können sie werden.»

Fragt sich nur, wie das gemäss Sprengstoffgesetz längst bestehende Verbot plötzlich durchgesetzt werden soll. Tatsächlich mit der Androhung von Spielabbrüchen? Der Entscheid liegt bei der Fussballliga. Dort ist man von der Idee überhaupt nicht begeistert. Man befürchtet, einzelne Fans könnten eine solche Bestimmung ausnutzen, um einen Abbruch zu provozieren, sobald ihr Club im Rückstand liegt. Solange es den Behörden nicht gelingt, sie zweifelsfrei einer Fangruppe zuzuordnen, können sie sogar auf einen Forfait-Sieg hoffen.

Bleiben nur noch schärfere Eingangskontrollen. Viel schärfere Kontrollen, wie sie nun von der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) in die Vernehmlassung geschickt wurden. Kleinere Pyro-Gegenstände können einfach versteckt werden, in Stiefeln, in Fahnenstangen – oder in «Körperöffnungen», wie der Basler Polizeidirektor Hanspeter Gass (FDP) zu bedenken gibt. Mit der Revision des Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt an Sportanlässen wollen die Polizeidirektoren dies künftig verhindern.

Neu sollen auch private Sicherheitskräfte das Recht erhalten, Matchbesucher im Intimbereich abzutasten. Dass dies im Zusammenhang mit einem Matchbesuch zu weit führt, sehen Gass und Lips nicht so: Die Sicherheit gehe vor. «Am Flughafen muss man auch Kontrollen über sich ergehen lassen, was akzeptiert wird.» Die Chance, dass die Polizeidirektoren mit der Revision ihr Ziel erreichen, ist gross. Zum entsprechenden Artikel 3b heisst es im KKJPD-Bericht vom 14. Oktober lakonisch: «Es ist Matchbesuchern zuzumuten, verdachtsfreie Kontrollen auf sich zu nehmen, sofern dies auf den Eintrittskarten entsprechend angekündigt und den Personen die Möglichkeit gegeben wird, sich der Kontrolle zu entziehen und dafür auf den Spielbesuch zu verzichten.»

Fans sollen Zünsler verpfeifen

Beim Soziologen Gunter A. Pilz, Professor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover, kommt der Flughafenvergleich schlecht an. Er hält es für grenzwertig, Frauen im Genitalbereich zu untersuchen, weil sie aus irgendwelchen Gründen verdächtigt werden, Pyro-Technik zu schmuggeln. Pilz erinnert sich an einen Fall in Saarbrücken, der vor Gericht endete: Eine Frau musste sich ausziehen und wurde regelrecht durchleuchtet. Pyros fand man keine. Sie zeigte die Sicherheitsleute wegen Belästigung an. In der Schweiz wird unterdessen von der KKJPD bereits diskutiert, auf welcher rechtlichen Grundlage von Matchbesuchern verlangt werden kann, sich für eine eingehende Kontrolle auszuziehen.

Professor Pilz zweifelt grundsätzlich an der Machbarkeit solcher Leibesvisitationen: «Wenn man sie erfolgreich durchführen will, muss man die Gäste fünf bis zehn Stunden vor einem Spiel ins Stadion bestellen.» Andernfalls müsse man sich mit Stichproben zufrieden geben und damit leben, Pyro-Schmuggler nicht zu erwischen.

Als Gewalt- und Konfliktforscher hat er bei etlichen Fanprojekten mitgewirkt und gemeinsam mit Fans und Vereinen Verhaltenskodizes ausgearbeitet. Bei Werder Bremen habe man gute Erfahrungen gemacht. «Die Fans halten sich nicht nur selber an die Regeln, sondern reagieren auch, wenn sich andere nicht daran halten.» Ein Patent­rezept gegen Fackeln gibt es trotz solcher Projekte nicht. Gerade Werder-Fans zündeten jüngst wieder heftige Pyro-Feuerwerke. Zuletzt setzte die Polizei sogar Sprengstoffspürhunde am Weser-Stadion ein, und der Club will die Fans für Bussen des Verbandes regresspflichtig machen.

In Basel gibt es zwar keinen Kodex, aber einen funktionierenden Dialog zwischen dem Club, in Person von Vizepräsident Bernhard Heusler, den Fans und der Fanarbeit. Heusler ist in der Szene unumstritten, weil er sich mit den Anliegen der Ultra-Fans auseinandersetzt. Fans sagen: «Heusler weiss, wie die Kurve tickt.» Dennoch: Auch damit ist das Pyro-Problem nicht gelöst. Fan-Forscher Pilz sagt, es müssten eben auch Fans helfen, Pyros aus Stadien zu verbannen: «Die besonnenen Zuschauer, die Mehrheit, muss die Minderheit in die Pflicht nehmen.» Wer sich nicht an die Regeln hält, soll verpfiffen werden. Verrat sei das in seinen Augen nicht, sondern ein Zeichen von Verantwortung.

Schärfere Eingangs­- kontrollen in Stadien sind schon deshalb problematisch, weil sie sehr zeitaufwendig sind.
Foto: Keystone/Alessandro
della Valle

Wer mit Kontrollennicht einverstandenist, kann wiedernach Hause gehen.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11

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