Die «Gute Schule» ist in Gefahr

Der Baselbieter Landrat entscheidet über Sparpläne im Bildungsbereich.

Der Baselbieter Landrat entscheidet über Sparpläne im Bildungsbereich.

Für Baselbieter Verhältnisse muss man schon fast von einem Ausnahmezustand sprechen. Die Lehrer, gewöhnlich für Ruhe und Ordnung im Klassenzimmer zuständig, schreiben seit ein paar Tagen eifrig Protestbriefe und bereiten Demonstrationen vor. Dabei können sie sich auf die Unterstützung vieler Schülerinnen und Schüler verlassen – auch nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Die Münchensteiner Gymnasiasten, die sich im Kampf gegen den drohenden Abbau im Bildungsbereich am meisten hervortun, haben in wenigen Tagen über 1600 Unterschriften gesammelt.

Der Unmut richtet sich gegen die Baselbieter Regierung, die bei der Bildung über 30 Millionen Franken sparen will. Dafür sollen die Sekundarschüler in grössere Klassen geschickt werden, die Sek- und Gymlehrer mehr Stunden geben und einzelne erfolgreiche Angebote wie die Berufsvorbereitende Schule 2 in der jetzigen Form abgeschafft werden. Diese Massnahmen seien leider nötig, um Steuererhöhungen zu verhindern, sagt die Regierung – als wären gute Schulen im viel zitierten Standortwettbewerb nicht mindestens so wichtig wie die vielen Steuersenkungen der vergangenen Jahre.

Regierung in Erklärungsnot

Offensichtlich ist die Regierung in ­einem Argumentationsnotstand. Besonders deutlich zeigte das die kuriose Forderung des Finanzdirektors Adrian Ballmer (FDP), die Lehrer müssten ­effizienter werden, anstatt sich über die Zusatzstunden zu beklagen. Unterrichtsstunden könne man heute ja vom Inter­net runterladen. Auf eine solche Aussage kann Regierungskollege Urs Wüthrich (SP) nur mit Spott rea­gieren. «Adrian Ballmer hat da eine Fachdiskussion lanciert, die er mit den Lehrern austragen muss. Als Laie schweige ich lieber», sagt der Bildungsdirektor.

Für die wirklichen Experten, die Lehrer, ist der Fall jedenfalls klar: Ballmer hat keine Ahnung. Mit Unterricht ab Internet könnte der Unterricht unmöglich individueller gestaltet werden. Genau das wird von den Lehrern heute aber mehr denn je erwartet. Einerseits wegen der Integration schwieriger und behinderter Kinder in die Regelklassen. Und andererseits wegen der Schulreform Harmos, die neben neuen Strukturen auch eine möglichst individuelle Förderung der Schüler bringen soll. Für diese Ziele hat sich vor nicht allzu langer Zeit auch noch die Regierung stark gemacht. Umso unverständlicher ist es, dass die gleiche Regierung ihr grosses Reformprojekt nach der ­Zustimmung im Parlament und an der Urne nun selber sabotiert.

Wüthrich macht sich Sorgen

Die Schule grundlegend zu erneuern und gleichzeitig viele Millionen zu sparen, das geht nicht. In anderen Harmos-Kantonen wie Basel-Stadt scheint das allen klar zu sein, auch auf Regierungsebene. Im Baselbiet muss man dagegen schon froh sein, wenn Bildungsdirektor Wüthrich den Mut aufbringt, leise Bedenken zu äussern. ­«Es ist problematisch, dass die Schulen Ressourcen verlieren sollen», sagt er im Gespräch mit der TagesWoche – um gleich im nächsten Satz anzumerken, dass er das Sparpaket «grundsätzlich befürworte». Das muss er wohl sagen, um nicht unkollegial zu erscheinen, auch wenn er genau weiss, dass sich Investitionen im Bildungs­bereich doppelt und dreifach auszahlen. Darauf wäre ein klammer Kanton wie Baselland eigentlich angewiesen.

Noch kann der Landrat die fatale Entwicklung aber stoppen. Die erste Gelegenheit dazu bietet sich am nächsten Mittwoch in der Budgetdebatte. Während Lehrer und Schüler draus-sen ihre Transparente hochhalten und gegen den Bildungsabbau protestieren, entscheidet das Parlament im Landratssaal über eine ganze Reihe Vor-stösse von SP und Grünen mit der genau gleichen Stossrichtung.

Deren Chancen stehen nicht einmal schlecht. Den Ausschlag wird die Mitte geben, die zwar noch laviert, sich im Grundsatz aber gegen den Bildungsabbau ausspricht. Das tönt schon mal gut. Noch besser wäre es, wenn in der Schulpolitik endlich wieder über das Wesentliche gesprochen würde anstatt immer nur über Zahlen und Strukturen: den Unterricht. Oder modern ausgedrückt: die individuelle Förderung. Da besteht in der sogenannt «Guten Schule Baselland» noch viel Verbesserungspotenzial. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

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