In Basel verwalten über 900 Stiftungen ein Vermögen von 15 Milliarden Franken. Das ist Weltrekord.
In Basel zu leben hat etwas Tröstliches. Wer in dieser Stadt in eine existenzielle Notlage gerät, hat hervorragende Chancen, dass ihm geholfen wird. So jedenfalls verheisst es die lokale Förderstatistik. Nirgendwo sonst wird so fleissig und flächendeckend unterstützt, gefördert, betreut, finanziert, begleitet und angeschoben. Für jedes erdenkliche Problem und jedwelchen Mangel scheint es in Basel eine Stiftung zu geben – von A wie Alzheimer bis Z wie Zahnkariesprophylaxe.
Über 900 mehr oder weniger gemeinnützige Stiftungen mit einem kumulierten Vermögen von rund 15 Milliarden Franken sind in Basel-Stadt registriert – kirchliche Stiftungen, Familienstiftungen und Vorsorgeeinrichtungen der Zweiten Säule nicht eingerechnet. Gemäss dem «Schweizer Stiftungsreport 2011» kommen somit auf 10 000 Einwohner 44,8 Stiftungen – deutlich mehr als etwa in der Stadt Zürich (38,1), fast dreimal so viel wie im schweizerischen Schnitt (16,1) und rund sechsmal so viel wie in Würzburg (7,7), der Stadt mit der höchsten Stiftungsdichte in Deutschland.
Kaum Vergleichbares
Mit einem Kapitalstock, der sich pro Einwohner auf über 70 000 Franken beläuft, schiesst die selbsternannte Kultur-, Messe-, Architektur-, Fasnachts-, Medien- und Fussballmetrople auch bezüglich Stiftungskapital den Vogel ab. «Die Schweiz hat international gesehen eines der umfangreichsten Stiftungswesen. Und in der Schweiz nimmt Basel eine Spitzenstellung ein. Insofern wird man weltweit kaum etwas Vergleichbares finden», sagt Professor Georg von Schnurbein, Leiter des Centre for Philantropy Studies (CEPS) an der hiesigen Universität (Interview, Seite 13).
Alles begann im Mittelalter
Der Stiftungsfuror der Basler fusst auf einer Tradition, die ins Mittelalter zurückreicht. Als religiöses Zentrum war die Stadt damals mit kirchlichen Einrichtungen und Klöstern übersät – Institutionen, die Frömmigkeit verströmten und gleichzeitig auf mildtätige Spenden seitens der Stadt und ihrer Bewohner angewiesen waren. Auf diesem Humus gedieh die Übereinkunft, wonach es zur moralischen Pflicht eines jeden Bürgers gehört, nach Kräften auch etwas für seine Heimatstadt zu tun. Getreu der protestantischen Maxime: Arbeite hart, gönne dir selbst nicht allzu viel und tue Gutes.
Vorab in den vermögenden Schichten hat sich im Lauf der Jahrhunderte eine «gemeinschaftliche Verpflichtung zur Philanthropie» entwickelt, wie der Basler Stiftungsexperte Philipp Egger, Vorstandsmitglied von SwissFoundations, diagnostiziert: «Wer in Basel ein grosses Vermögen hat, sieht sich anscheinend in der Verantwortung, Teile davon für gemeinnützige Projekte zur Verfügung zu stellen. Dieser Trend gilt bis heute.»
Bezeichnend für diese Hinwendung zum Mäzenatentum war der Ankauf des Amerbachschen Kabinetts im Jahr 1661 mithilfe privater Spenden, womit die Stadtväter den Grundstein für die erste öffentliche Kunstsammlung in Europa legten. «Unter allen Schweitzer Eydgenoss-Städten ist keine, die lobwürdiger die Studien und edlen Künste, sonderlich aber der vortrefflichen Mahlerey, Handrisse und dergleichen mit grossen Kosten und Fleisse samlet und in hohen Ehren gesetzt, als wie der löbliche Magistrat der Stadt Basel gethan hat», notierte 1679 der Nürnberger Kupferstecher Joachim von Sandrart, nachdem er die Amerbachsche Sammlung gesehen hatte.
Jahrhundertelang schlummerten die kunsthistorischen Schätze in einem Depot der Uni-Bibliothek. Erst nach der Kantonstrennung 1833 wurde ein Museumsneubau an der Augustinergasse ins Auge gefasst, der den Beständen eine würdige Bleibe bieten sollte (heute: Naturhistorisches Museum). Angesichts knapper staatlicher Mittel wurde 1841 ein privater Verein ins Leben gerufen, der sich mit einem Aufruf zur Zeichnung freiwilliger Beiträge an die Öffentlichkeit wandte. Und wieder liessen sich die begüterten Basler nicht zweimal bitten: Innert kürzester Frist zeichneten 455 Spender die Summe von 70 308 Franken, was einem Drittel der Gesamtkosten für den ersten Museumsneubau der Schweiz entsprach.
Aufgeschlossener Humanismus
Die charakterlichen Voraussetzungen, auf denen dieser Akt kollektiver Grosszügigkeit beruhte, beschrieb der spätere Leiter der Öffentlichen Kunstsammlung, Otto Fischer, einmal so: «Christliche Frömmigkeit und tiefe Vaterlandsliebe, historischer Sinn, wissenschaftliche Neigung, romantische Begeisterung der Jugend und nüchterne Sachlichkeit der Älteren verbanden sich dem altbaslerischen praktischen Geschäftsgeist, der scharfen Kritik und dem ausgeprägten Gemeinsinn der Stadtbürger zu einer Geisteshaltung, die nicht im höchsten Sinne schöpferisch war, aber mit Liebe und Treue die geistigen Güter der Vergangenheit pflegte und jenen aufgeschlossenen, klugen Humanismus schuf, der Basels vorzüglichste Tugend werden sollte.»
Zum edlen Stifter bringt es selbstredend nur, wer auch etwas zu verteilen hat. Als Handelsstadt mit internationalen Beziehungen verfügte Basel schon früh über einen Nährboden, auf dem privater Reichtum gedeihen konnte. Immer breitere Schichten wurden im Zuge der Industrialisierung von den Segnungen des sich ausbreitenden Wohlstands erfasst.
Vermutlich gibt es in der Schweiz keine andere Stadt, auf deren Territorium im Lauf der Zeit so viele verschiedene Industrien ansässig waren: Papierindustrie, Seidenbandfabrikation, Farbenindustrie, Chemie, Pharma und zuletzt Life Sciences. Mehr als alles andere ist es der florierenden städtischen Industrie zu verdanken, dass in der Region bis dato derart viele, zum Teil beachtliche Privatvermögen geäufnet werden konnten, und dies weit über das klassische Patriziat hinaus.
«Wenn man sich über den Reichtum und das Mäzenatentum der Basler unterhält, dann spricht man oft vom ‹Daig›», gibt Philipp Egger zu bedenken. «Aber es ist längst nicht mehr nur der ‹Daig›.»
Ganz anders liegen die Dinge in der Beamtenstadt Bern, die verglichen mit Basel zwar kaum über nennenswerte Industrien verfügt, mit 48,8 Stiftungen pro 10 000 Einwohner auf dem Papier aber trotzdem eine leicht höhere Stiftungsdichte aufweist. Diese statistische Häufung lässt sich im Fall von Bern vorab mit dem sogenannten Hauptstadtbonus erklären. Viele der in Bern domizilierten Stiftungen wie beispielsweise der Schweizerische Nationalfonds, die Stiftung für Konsumentenschutz oder Pro Helvetia wurden auf staatliche Initiative hin gegründet und sind aufgrund ihrer Ausrichtung auf die räumliche Nähe zum Politsystem angewiesen.
Während in Basel 84 Prozent der Stiftungen unter kantonaler Aufsicht stehen, weil ihr Stiftungszweck regional gebunden ist, verfolgt über die Hälfte der in der Bundesstadt angesiedelten Stiftungen einen nationalen oder internationalen Zweck und muss deshalb an die eidgenössische Stiftungsaufsicht im Departement des Innern rapportieren.
Gleiches gilt für Genf, wo überdurchschnittlich viele internationale Organisationen ihren Sitz haben. Auch in Genf liegt der Anteil der Stiftungen, die eidgenössisch kontrolliert werden, deutlich über 50 Prozent. Mit anderen Worten fliesst der Löwenanteil der Stiftungsausschüttungen in andere geographische Räume ab und kommt somit nicht der lokalen Bevölkerung zugute. «In Basel gibt es weniger Stiftungen, die sich national oder international engagieren. Die meisten sind für Basel tätig und aktiv. Das macht den Unterschied», bestätigt Professor von Schnurbein.
Distanz zur Eidgenossenschaft
Verantwortlich dafür seien die Grenzlage Basels und ein eher distanziertes Verhältnis zur Eidgenossenschaft, was schon früh zu einer vorsichtigen aus-senpolitischen Haltung und zur Erkenntnis geführt habe, sich im Zweifelsfall selbst helfen zu müssen. «Man orientiert sich nicht so sehr an grossen gesellschaftlichen Entwicklungen, die über Stadt und Region hinausgreifen. Man orientiert sich am Stadtgeschehen. Das ist bis heute so», sagt auch Stiftungsexperte Philipp Egger. Symptomatisch für diese Selbstbezogenheit sei der Slogan «Basel tickt anders». Tatsächlich fällt es nicht leicht, sich ein derartiges Bekenntnis in einer anderen Stadt vorzustellen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12