Die Ideologen rüsten zum letzten Gefecht

Fukushima? Das ist schon lange her. Die Schweizer Atomlobby sammelt ihre Kräfte: Verloren, da sind sich die Atomfreunde sicher, verloren ist noch gar nichts.

Die Concorde? Aus dem Verkehr. Die Energiewende? Noch ziemlich weit entfernt.

Fukushima? Das ist schon lange her. Die Schweizer Atomlobby sammelt ihre Kräfte: Verloren, da sind sich die Atomfreunde sicher, verloren ist noch gar nichts.

Die Schamfrist dauerte etwas länger als ein Jahr. Im März 2011 explodierte Fukushima, im Mai 2011 verkündete Umweltministerin Doris Leuthard die Energiewende, und dann war es erst einmal still. Die Risse im Atomkraftwerk Mühleberg, die ewigen Pannen im benachbarten Fessenheim, die Katastrophe in Japan mit seiner weit entwickelten «Sicherheitskultur» und die damit mitgedachte Möglichkeit einer Katastrophe gleich hier bei uns: Die Befürworter von Atomstrom hatten im Jahr nach Fukushima kaum ­Argumente. Oder, genauer: Sie hatten zwar Argumente, aber sie behielten sie lieber für sich.

Aus dem Versteck gewagt

Es war ein alter Haudegen, einer der nicht mehr viel zu verlieren hat, der sich als Erster aus der Deckung wagte. In einem bemerkenswert offenen Interview mit der «Basler Zeitung» vom Mai dieses Jahres forderte Rolf Schweiger, alt Ständerat der FDP für den Kanton Zug und Präsident der atomfreundlichen Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves), einen «Nukleareinstieg». Er glaube an die Kernenergie und habe zwar Verständnis für die ­Sicherheitsbedenken, «aber in meiner Abwägung sind die Risiken nicht grös­ser als in anderen Bereichen». Er gab sich ziemlich überzeugt, dass er mit seiner Haltung nicht alleine dastehe. Sobald einer breiten Öffentlichkeit bewusst werde, was dieser Ausstieg tatsächlich bedeute, werde es auch wieder Mehrheiten für den Bau neuer Atomkraftwerke geben.

Ein Ereignis mittlerer Bedeutung

Das Interview mit Rolf Schweiger war das Signal für die alten Freunde der Atomenergie, aus ihren Verstecken zu kommen.
Und wie sie kamen. Die «Weltwoche» schrieb Fukushima zum «Ereignis mittlerer Bedeutung» herab und versicherte ihren Lesern diesen August, dass das «Ereignis» in Japan das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Atomenergie nur oberflächlich b­eschädigt habe: «Die AKW-Frage ist noch lange nicht entschieden. Die Debatte hat erst angefangen.»

Es folgte die SVP selber, die in ihrem neuen Energiepapier von Ende August den Bau von mehreren neuen Atomkraftwerken vorsieht und vor einem «planlosen, überstürzten» Atomausstieg warnt: «Das wäre ein fatales Experiment.»

Und schliesslich machte sich der Verein «Kettenreaktion» mit einem ganzseitigen Inserat gegen die «Energiewende» (konsequent in Anführungszeichen geschrieben) stark. Das Mantra der Manifest-Unterzeichner: «Wir sind überzeugt vom Nutzen der Kernenergie für Gesellschaft und Umwelt. Unsere Kernkraftwerke sind umweltfreundlich, sicher und wirtschaftlich.»

Kampf gegen die Atomlobby

Die zwei Männer am Kopfende des langen Tisches im Vorzimmer des Nationalrats, die sehr angeregt über eine ziemlich unübersichtliche Powerpoint-Tabelle diskutieren, kennen ihre Gegner und deren neu entfachten Mut. Die beiden SP-Nationalräte Roger Nordmann und Beat Jans gehören in der SP und auch innerhalb jener Parteien, die sich immer noch für die Energiewende aussprechen, zu den führenden Köpfen. Gemeinsam mit ihrem Parteikol­legen Eric Nussbaumer kämpfen sie dafür, dass die Koalition für einen Atomausstieg nicht zu bröckeln beginnt. Auch dann nicht, wenn Bundesrätin Leuthard Ende September zum ersten Mal konkrete Zahlen präsentiert, wenn klar wird, wie teuer die Schweiz der Ausstieg aus der Atomenergie tatsächlich zu stehen kommt.

Nordmann und Jans reden an diesem Morgen in der Herbstsession wild durcheinander, sie scheinen etwas aufgeregt. Eine neue Studie von Finanz­experte Kaspar Müller hat kürzlich aufgezeigt, dass der Strom aus AKW heute schon mehr kosten müsste, die Preise für Solarstrom entwickeln sich sehr gut (das war die Powerpoint-Präsentation), die Koalition hat bis jetzt gehalten. «Es läuft gut für uns», sagt der Nationalrat aus der Waadt. Die BDP sei immer noch gut dabei, die CVP ebenso. Doris Leuthard mache einen nüchternen und guten Job, die Entwicklungen seien nicht mehr aufzuhalten. «Es wird nie mehr ein neues AKW in der Schweiz gebaut, dafür wird es keine Mehrheiten geben», sagt Nordmann. «Die einzige Gefahr ist, dass die Atomlobby die Energiewende verzögert, sie lähmt.»

Widerstand bis zum Letzten

Jans hört seinem Kollegen zu, nickt, und sagt: «Nur noch Ideologen halten an Atomkraftwerken fest.» Und es gehe heute eben nicht mehr um Ideo­logie, sondern um die möglichst lebensnahe, möglichst realistische Umsetzung der Ziele des Bundesrats. Um die Eliminierung des Deckels bei der kostendeckenden Einspeisevergütung, um mehr Effizienz beispielsweise. Darum haben Jans, Nordmann und auch Nussbaumer keine Angst vor einer Volksabstimmung, die in einem Jahr, in zwei Jahren die gefühlte Mehrheit zu einer Tatsache werden lassen soll.

Es ist dies das Horrorszenario von Hans Rudolf Lutz. 79 Jahre alt, Präsident des Vereins «Kettenreaktion», erster Direktor des AKW Mühleberg und bitterlich entschlossen, die «Energiewende» zu verhindern. Er freut sich auf die Abstimmung. «Die Schweizer sind nicht so blöd, wie das manche denken. Schauen Sie sich doch auf der Welt um, ausser Deutschland ist niemand ausgestiegen!», sagt er am Telefon und kündet Widerstand an, bis zum Letzten, wenn es sein muss:

Herr Lutz, warum tun Sie sich das an? In Ihrem Alter?

Aha, auch Sie zeichen das Bild vom wohlverdienten Ruhestand. Aber so bin ich nicht.

Wie denn?

Ich bin eher die Kategorie Adrian von Bubenberg. Kennen Sie Adrian von Bubenberg?

In der Primarschule mussten wir den «Ring i der Chetti» lesen.

Dann wissen Sie auch, was Adrian von Bubenberg bei der Verteidigung von Murten gesagt hat. Solange er noch einen Tropfen Blut in den Adern habe, hat er gesagt, solange werde er nicht nachgeben. Das ist mal ein Motto! Und es ist auch mein Motto.

Quellen

Interview mit Rolf Schweiger in der «Basler Zeitung»

Die «NZZ am Sonntag» über Hans Rudolf Lutz

Das Manifest des Vereins «Kettenreaktion»

Studie von Finanzexperte Kaspar Müller

Das Energiepapier der SVP

Ein Porträt von Doris Leuthard in der «Zeit»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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