«Die Kirchen sind aufeinander angewiesen»

Viele Katholiken und Reformierte würden gern gemeinsam das Abendmahl feiern. Doch die Kirchenoberen halten lieber Distanz. Der evangelische Theologe Professor Pierre Bühler erklärt, warum das so ist.

Hofft auf die Rücknahme von Luthers Exkommunikation – Theologe Pierre Bühler.

Viele Katholiken und Reformierte würden gern gemeinsam das Abendmahl feiern. Doch die Kirchenoberen halten lieber Distanz. Der evangelische Theologe Professor Pierre Bühler erklärt, warum das so ist, wie die Kirche den Mächtigen zuarbeitet und weshalb das Feiern wichtig ist.

Pierre Bühler, vor wenigen Tagen hat Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland EKD, gesagt, keine Kirche könne in «absoluter und letztgültiger Erkenntnis» von Gott sprechen. Wie beurteilen Sie die ökumenische Grosswetterlage?

Es gibt keine Kirche, die eine absolute Deutungsmacht für den christlichen Glauben beanspruchen kann. Das kann ich nur unterstreichen. Die Kirchen sind aufeinander angewiesen. Vor diesem Hintergrund ist es eine grosse Herausforderung, trotz des Verdikts der katholischen Kirche, die Reformationskirchen seien keine eigentlichen Kirchen, ökumenisch im Gespräch zu bleiben.

Welches sind die Hindernisse?

Nach dem Verständnis der katholischen Kirche braucht es für eine gemeinsame Abendmahlsfeier einen Priester, der von einem Bischof zum Priester geweiht worden ist. Demnach sind reformierte Pfarrer oder Pfarrerinnen für die katholische Kirche gar nicht geweiht. Sie dürfen darum aus katholischer Sicht auch nicht die Messe zelebrieren. Bei den Reformierten genügt die Beauftragung durch die Kirche und die Kirchgemeinde. Wie man sieht, ist das Amtsverständnis bei Katholiken und Reformierten nicht gleich. Ein weiteres Hindernis ist das katholische Verständnis der so genannten Realpräsenz Christi in der Eucharistie, also im Gottesdienst in Form von Brot und Wein. Für Reformierte hingegen ist Jesus Christus beim Abendmahl symbolhaft durch Brot und Wein anwesend. Fokussiert man auf diese beiden ökumenisch hinderlichen Punkte, bleibt das ökumenische Gespräch blockiert. Wir drehen uns im Kreis und kommen nicht weiter.

«Zum gemeinsamen Feiern brauchen wir die Einheit der Lehre nicht.»

Letztes Jahr sorgte das verhinderte ökumenische Abendmahl in Gfenn ZH für Aufsehen, bei dem zwei katholische Priester nach einer Intervention der Kirchenleitungen das Abendmahl dann doch nicht gemeinsam mit den reformierten Kollegen feierten . Die Mehrzahl der Gläubigen aber hätte längst schon kein Problem mehr damit. Wieso stehen die Kirchenleitungen so auf der Bremse?

Nach offizieller katholischer Lehre kann es kein gemeinsames Abendmahl geben, solange es keine Einheit in der Lehre gebe. Das hat zur Folge, dass reformierte und katholische Christen nicht zusammen Abendmahl oder Gottesdienst feiern können.

Welchen Stellenwert hat für Sie die Einheit der Kirchen?

Die Einheit der Kirchen ist für mich ein wichtiges Thema. Nach meinem Verständnis steht dabei das Anliegen im Zentrum, dass die Kirchen an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten und an einem Strick ziehen im Blick auf die heutige Welt und Gesellschaft mit ihren drängenden Herausforderungen. Das heisst, diese Aufgabe der Kirchen kann in Einheit, aber nicht in Einheitlichkeit angepackt werden. Die evangelische Kirche spricht darum von einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Es wäre zerstörerisch, diese Differenz, diese Verschiedenheit aufzugeben. Deshalb halte ich es für ein Armutszeugnis, wenn wir erst gemeinsam feiern können, wenn Einheit in der Lehre erreicht ist. Zum gemeinsamen Feiern brauchen wir diese Einheit nicht.

Inwiefern ist dieses Verständnis von Einheit akzentuiert evangelisch?

Nach dem Verständnis der evangelischen Kirchen trennt uns die Verschiedenheit der Kirchen nicht, sondern sie ist bereichernd. Wir verstehen Pluralität als gegenseitige Befruchtung. Die Aufgabe der Kirchen ist eine, sie wird aber in verschiedenen Gestalten und auf verschiedenen Wegen angegangen. Dabei geht es um die Frage, wie Christen heute Zeuge sein können und Zeichen setzen für die befreiende Kraft des Evangeliums.

Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, sieht hingegen die evangelisch-katholischen Amtsökumene in der schwierigsten Phase ihrer Geschichte. Darum will sich Locher auf die innerevangelische Ökumene konzentrieren. Ein logischer Schritt?

Ich halte die Meinung des Kirchenbund-Präsidenten für einen unnötigen Rückzug, weil man mit dem Verzicht auf die evangelisch-katholische Ökumene die progressiven Kräfte in der katholischen Kirche ein Stück weit allein lässt. Das ist kein gutes Zeichen. Zudem dominieren die evangelikalen Freikirchen die inner-evangelische Diskussion um die Ökumene. Diese Stimmen sind für das ökumenische Gespräch aber nicht entscheidend.

Wie auf katholischer Seite die Kreise um den konservativen Churer Bischof Vitus Huonder mit einer Art Alleinvertretungsanspruch im Blick auf die Wahrheit fundamentalistisch auftreten, so agieren evangelikale Freikirchen analog bei den Reformierten. Ist eine Vertiefung der innerevangelischen Ökumene nicht sinnvoll?

Selbstverständlich ist die Berechtigung für den innerprotestantischen Dialog evident. Das gleiche gilt für den innerkatholischen Dialog. Aber dass der Kirchenbund-Präsident sagt, wir kommen im Moment im evangelisch-katholischen Dialog nicht weiter. also konzentrieren wir uns auf den innerprotestantischen Dialog, finde ich eine falsche Haltung. Besser wäre es meiner Meinung nach, beide Ebenen des ökumenischen Gesprächs zu pflegen. Kurz: das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Wird sich unter dem neuen Papst in Sachen Ökumene etwas verändern?

Ich hoffe ernsthaft, dass Franziskus die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) progressiv deutet und die ansatzweise Anerkennung anderer Kirchen vertieft und anknüpft an der Haltung, welche nicht-katholische Kirchen nicht einfach in den Schoss der römischen-katholischen Kirche zurückholen will. Papst Franziskus hat ein Gespür für Zeichen, und nachdem wir schon viele gute ökumenische Texte haben, braucht es jetzt Zeichen wie sie die Propheten im Alten Testament Zeichen gesetzt haben gerade in gesellschaftlichen Umbruchsituationen. Der Prophet Jeremias zum Beispiel ist mit einem Joch auf den Schultern durch die Strassen gezogen als Zeichen des Protests gegen die Unterjochung der Menschen. Franziskus hat als erstes die gestrandeten Flüchtlinge auf Lampedusa besucht und damit ein Zeichen gegen die Festungspolitik Europas gesetzt. Ein evangelischer Wunschtraum für ein starkes ökumenisches Zeichen wäre zudem, wenn der Papst 2017 im Jahr des Reformationsjubiläums die Exkommunikation des Reformators Martin Luther zurücknehmen würde.

Die reformierte Kirche führte ein Monitoring durch bei der Ausschaffung von Asylsuchenden. Sie hat die Seite gewechselt und arbeitet den Regierenden zu.

Wie konkret kann die ökumenisch offene Haltung von Papst Franziskus auf fruchtbaren Boden fallen, wenn man bedenkt, dass über ein Drittel der Schweizer Bevölkerung den Unterschied zwischen reformiert und katholisch nicht mehr kennt?

Das halte ich für ein verheerendes religionssoziologisches Faktum. Gegensteuer könnte die Erwachsenenbildung geben, indem sie stärker thematisiert, was die Konfessionen unterscheidet und erklärt, wie diese Unterschiede historisch entstanden sind und wie sich die evangelischen und katholischen Gedankengebäude entwickelt haben. Auf dieser Grundlage kann man in Gesprächsgruppen überlegen, wo und wie befruchtende Möglichkeiten des ökumenischen Miteinanders liegen.

Und wie könnte ein ökumenisches Zeichen konkret aussehen?

Neben dieser eher theologischen Ebene können sich solche Gesprächskreise fragen, welches die umstrittensten Themen in der Gesellschaft sind und in diesem Bereich ein ökumenisches Zeichen setzen, indem sie zum Beispiel etwa eine Asylunterkunft besuchen oder sich sonst wie um Flüchtlinge kümmern. Gerade in diesem Bereich sind die Kirchen, vor allem die reformierte, im Moment sehr zurückhaltend. Sie steht heute nicht mehr auf der Seite der Flüchtlinge. Stattdessen führte sie ein Monitoring durch bei der Ausschaffung von Asylsuchenden. Die Kirchenleitung hat die Seite gewechselt und arbeitet den Regierenden zu.

Da gibt es nicht mehr viel zu feiern…

… das Feiern darf man auf keinen Fall vergessen. Befreiungstheologen in Lateinamerika haben immer betont: Solange wir nicht feiern, ist etwas vom Gemeinsam-unterwegs-Sein noch nicht zum Ausdruck gebracht. Hier könnte sich eine gemeinsame Abendmahlsfeier anbieten oder aber man verzichtet bewusst auf eine ökumenische Feier und erläutert öffentlich den Grund für den Verzicht. Es wäre auch schon ein Zeichen, wenn feiernd auf ein gesellschaftliches und religiöses Problem aufmerksam gemacht würde.

Dr. Dr. h.c. Pierre Bühler ist reformierter Pfarrer und seit 1982 Professor für Systematische Theologie, zunächst an der Universität Neuchâtel, ab 1997 an der Universität Zürich. Dort steht der 63jährige seit 2012 dem Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie vor. 1996 ernannte die Faculté libre de théologie protestante in Montpellier Bühler zum Ehrendoktor.

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