Mit einem Campus der Künste will die Hochschule für Gestaltung und Kunst im internationalen Wettbewerb an Attraktivität gewinnen. Sie wählt dafür den Weg in die Peripherie – zum Basler Dreispitz.
Der Juli ist da, Sommerpause wohin man schaut. Doch statt erholsam und still geht es in einigen Basler Schulen hektisch zu und her. Innerhalb der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) wird gezügelt. Zahlreiche Institute der Hochschule für Gestaltung und Kunst, kurz HGK, räumen ihre langjährigen Standorten und rücken näher zusammen: Auf dem Dreispitz, wo sich in den letzten Jahren immer mehr Kulturbetriebe und -produzenten angesiedelt haben, entsteht das neue Stadtquartier namens Kunstfreilager.
Eines der Herzstücke ist jenes langgezogene Gebäude, das vor knapp 100 Jahren als Zollfreilager in Betrieb genommen wurde. Denkmalgeschützte Substanz, neue Nutzung, neuer Anstrich. Das riecht man, wenn man durch die von durchlässigen Glasfassaden bestimmten Gänge schreitet. Noch sind Semesterferien, noch haben erst wenige Studierende den Wechsel vollzogen. Ab September aber soll es brummen. 700 Studierende, 200 Dozierende werden sich hier einfinden. Manche müssen sich dann noch mit Zwischenlösungen begnügen, wie die Bildhauer, deren Pavillon sich noch als Rohbau präsentiert.
Ein Zentrum für Kreativwirtschaft
Es ist ein einschneidender Prozess für die HGK, die hier den «Campus der Künste» ausgerufen hat. Zehn Institute der Fachhochschule Nordwestschweiz, darunter das neu gegründete Institut Ästhetische Praxis und Theorie, gilt es erstmals auch geografisch unter einem Dach zu vereinen: Neben dem langgezogenen Ateliergebäude, wo künftig Modedesigner oder Maler ausgebildet werden, wurde vor wenigen Tagen ein Hochhaus (Morger & Dettli Architekten AG) vom Baugerüst befreit. Der gläserne Korpus spiegelt den Aufbruch, der rund um den neuen Platz auszumachen ist. Denn nicht nur die Fachhochschule baut hier ihre Zukunft. Auch das Haus der Elektronischen Künste (HeK) und die iaab-Ateliers werden neu gebaut, dahinter schiesst ein Neubau von Herzog & de Meuron in die Höhe. Die Basler Stararchitekten wollen darin nebst Wohnraum auch Platz für ihre (Erfolgs-)Modelle schaffen. Ein Schaulager ihrer Architektur, quasi.
Am anderen Ende des Freilager-Platzes liegt das Transitlager, das vom dänischen Architekturbüro BIG in eine Mischnutzung umgewandelt wird: Mehr als 100 Wohnungen, darunter viele Lofts, sollen hier ab 2016 bezugsbereit sein, zuvor schon will man Gewerbeflächen vermieten. Wer die Projektwebseite des Transitlagers besucht, erkennt, dass man Kreativwirtschafter als Mieter anpeilt. Arbeiten und Wohnen unter einem Dach, für Typen wie Roni Rännvelo. Erfolgreiche Absolventen der Kunsthochschule sollen sich – so die Hoffnung – auf der anderen Platzseite niederlassen. Sieht alles glänzend aus, urban, chic – und im Falle des Promoauftritts des Transitlagers auch ein bisschen cheesy.
Im internationalen Wettbewerb
Was hier im Süden Basels angestrebt wird, kann man in Zürich-West schon fortgeschrittener betrachten: die Verwandlung eines gewerbelastigen Industriequartiers in ein hippes Trendquartier für jung(geblieben)e kulturaffine Menschen. Und wie in Basel wird auch in Zürich eine Hochschule zentralisiert. Aufs neue Semester hin quartieren sich Institute der Hochschule der Künste auf dem Toni-Areal ein. Bis Ende der 1990er-Jahre hatte die Toni-Molkerei hier ihre Produktion, danach wurden die leeren Gebäude zwischengenutzt (Dachkantine, Rohstofflager). Hier werden nun Studierende zusammengeführt, die zuvor auf 35 Standorte in Zürich und Winterthur verteilt waren.
Basel will da nicht hinten anstehen, lässt HGK-Direktorin Kirsten Langkilde durchblicken. Während der Art-Woche hat sie zu einem Medienrundgang im Kunstfreilager eingeladen, im Wissen, dass dann zahlreiche Fachjournalisten in der Stadt sind. Und in der Hoffnung, dass der Basler Campus der Künste international Beachtung findet. Denn der Wettbewerb macht nicht vor den Landesgrenzen halt. «Wir sind künftig eine der leistungsstärksten Hochschulen Europas» sagt Langkilde und erwähnt stolz die enorme Glasfaserpower, mit der der Campus ausgerüstet worden sei.
Die Kunstwelt ist globalisiert, die HGK stellt sich der Herausforderung. «Wir wollen den talentierten Leuten helfen, ihr Können zu materialisieren», sagt Langkilde selbstbewusst und werbewirksam. Man will mit der Zeit gehen, Schlagworte wie «Digital Campus» oder «Media Lab» unterstreichen das.
Und auch vor dem Personalbereich macht der internationale Wettbewerb nicht halt: Im Frühling wurde der Basler Künstler René Pulfer von der Spanierin Chus Martinez als Leiter des Instituts Kunst abgelöst. Sie twittert auf Spanisch und Englisch, bewegt sich leichtfüssig in der internationalen Szene.
Doch so modern der Anstrich, den man sich gibt, auch scheinen soll: Der Dreispitz muss nun mit Inhalten gefüllt werden. Und mit Leben. Das verlief bisher nicht ganz so reibungslos, ging doch die Zentralisierung nicht ohne Geburtswehen über die Bühne. Vom ersten Planungsmoment bis zur konkreten Umsetzung wurde der Direktionssessel der HGK bereits zweimal neu besetzt, Langkilde ist bereits die dritte auf dem Hochstuhl der Hochschule. Kleine Machtkämpfe unter Instituten mussten ausgefochten, Ansprüche und Wünsche ausformuliert und mitunter zurückgestellt werden. 70 Dozierende und Studis dachten sich in unterschiedlichen Konstellationen aus, wie die neue Hochschule aussehen, welche Rolle sie einnehmen sollte – von der neu konsolidierten Forschung, die über einzelne Sparten hinausgeht (Zauberwort: «interdisziplinär») bis zum Austausch mit den umliegenden Betrieben, vom HeK über Radio X bis zum Künstleraustauschprogramm iaab und dem Architekturschaulager von Herzog & de Meuron.
Leben und Essen auf dem Campus
Viele neue Impulse erhofft sich die Leitung vom Zusammenzug und verdrängt dabei ein bisschen, dass der Baulärm immer wieder auch von Misstönen begleitet wurde. Man vermied so gut es ging, dass diese nach aussen drangen. Der Umzug an die Peripherie aber wurde nicht von allen begrüsst: Manche Studierende müssen auf Privilegien verzichten, auf die Patina alter Schulhäuser, auf eigene Atelierplätze, auf individuellere Rückzugsmöglichkeiten, auf gewachsenen Charme.
So, wie ihn etwa die bildenden Künstler in den letzten 25 Jahren im alten Baerwart-Schulhaus angetroffen haben, idyllisch am Kleinbasler Rheinufer gelegen (wir haben ausführlich darüber berichtet). Manche tauschen auch ein Studium an zentraler Lage ein: Das Hyperwerk gibt Räumlichkeiten am historischen Totentanz auf, das Institut Mode im Hauptbau der Kaserne.
Für knurrende Mägen sorgte eine Zeit lang die Erkenntnis, dass im modernen Campus zwar an schnelles LAN, aber nicht an eine Kochgelegenheit gedacht worden war. Das Bedauern verfehlte seine Wirkung nicht, von Studierenden wurde die Projektgruppe «Der Campus und sein Leben» initiiert, um Probleme und Möglichkeiten rund um das Thema Verpflegung auszuloten. Als Resultat entstehen kleine Verpflegungsstände, einige davon sind bereits jetzt vor Ort.
Eine Diskrepanz dürfte sich auch in der von der Christoph-Merian-Stiftung so stark herbeigesehnten Quartierdurchmischung offenbaren. Denn geschenkt sind die Liegenschaftspreise nicht. Es muss sich noch zeigen, wo die Vermischung von Studis und Anwohnern endet und wo Nachbarschaftskonflikte anfangen. Wir erinnern an die Probleme bei der Transformation des nt/Areals in die Erlenmatt, wo Nachtleben und Nachtruhe aneinandergerieten. Sowohl die HGK wie das HeK erwähnen, dass Veranstaltungen wie etwa Konzerte auf dem Freilagerplatz von ihnen gewünscht wären. Wie das die Mieter der teuren Lofts im Transitlager sehen, ob sie diese ab und an mitgeniessen oder lieber ihre Ruhe verteidigen, muss sich weisen.
Seit Ende Januar 2014
Direktion und Stab / Büro für Kommunikationsdesign
Institut Kunst (bisher: Offenburgerstrasse 1)
Mitte Juni bis Anfang Juli
2014 Institut Lehrberufe für Gestaltung und Kunst (bisher: Gründenstrasse 40, Muttenz)
Institut Industrial Design (bisher: Bahnhofstrasse 201, Aarau)
Institut Innenarchitektur und Szenografie (bisher: Spitalstrasse 8)
Institut HyperWerk (bisher: Totentanz)
Anfang August
Institut Experimentelle Design- und Medienkulturen (bisher: Steinentorstrasse 30)
Institut Integrative Gestaltung / Masterstudio Design (bisher: Steinentorstrasse 30)
Institut Ästhetische Praxis und Theorie (bisher: Florenz-Strasse 9)
Institut Mode-Design (bisher: Kaserne Basel)
Institut Visuelle Kommunikation (bisher: Vogelsangstrasse 15)