Die nächsten Tortenscheiben sind bedruckt

Spätestens seit der «Pappdeckel-Affäre» während der Art Basel kennt man «diezelle». Das Künstlerkollektiv plant nun seine nächste Aktion: Die Abteilung Kultur soll aus dem Präsidialdepartement ausgegliedert werden.

«Promenade politique» heisst sie. (Bild: Nils Fisch)

Spätestens seit der «Pappdeckel-Affäre» während der Art Basel kennt man «diezelle». Das Künstlerkollektiv plant nun seine nächste Aktion: Die Abteilung Kultur soll aus dem Präsidialdepartement ausgegliedert werden.

Es ist selten der Fall, dass eine Zelle ihre Existenz mittels Klingelschild so offen deklariert. Es ist morgens 8.30 Uhr, «diezelle» ist schon auf den Beinen und öffnet uns die Tür.

«Eine Treppe, acht Stufen», sagt Enrique Fontanilles. Keine Warnung, sondern eine lockere Information, die er uns mit auf den Weg gibt. Wir überqueren eine Dachterrasse und treten in einen loftartigen Anbau im Hinterhof der Spalenvorstadt 8 ein. Hier sitzt «diezelle», das vierköpfige «Kollektiv für angewandte Fiktion», zu dem nebst Fontanilles auch Alexandra Schüssler, Kurt Würmli und Renatus Zuercher gehören.

Ihr Atelier wirkt aufgeräumt – moderne Möbel, Computer, ein paar Kunstutensilien. Das sind offensichtlich keine Chaoten, die sich hier eingenistet haben. Keine Bierflaschen, kein Qualm, keine Waffen sichtbar; mal abgesehen von zwei, drei Stapeln Pappdeckel, die während der Art Basel zu einem Sondereinsatz der Basler Polizei geführt haben.

Zusammen mit jungen Kunstschaffenden wollte «diezelle» am 20. Juni 2014 auf dem Messeplatz an die Favela-Räumung vom Vorjahr erinnern. Doch ihr Plan einer Kunst-Performance im öffentlichen Raum wurde von einem grossen Polizeiaufgebot vereitelt, Performer wie auch Unbeteiligte zu Leibesvisitationen und Befragungen abgeführt.

Ein politischer Spaziergang

Während dieses Ereignis noch immer die Juristen beschäftigt, plant «diezelle» ihre nächste Aktion. Und wieder spielen Pappdeckel eine Rolle, kleiner sind sie diesmal, haben einen Durchmesser von 16 Zentimetern. «Tortenscheiben», korrigiert Renatus Zuercher. «Nicht, dass wir da pedantisch wären, aber eigentlich sind diese doch gefährlicher als Pappdeckel, oder nicht? Eine Scheibe kann zu Bruch gehen, sie klirrt…»

Tortenscheibe oder Pappdeckel – für die Öffentlichkeit nebensächlich. Wichtiger ist der Grund, warum sie erneut zum Einsatz kommen. Will «diezelle» diese etablieren, als Markenzeichen, als Protestsymbol? Nein, sagen sie. Der Bezug zu den Ereignissen während der Art Basel ist aber durch ihre erneute Verwendung offensichtlich. Diesmal dienen die Tortenböden einer Unterschriftensammlung. «Promenade politique – für ein unabhängiges Kunst- und Kulturdepartement Basel-Stadt» steht darauf gedruckt. Die Aktion findet am Freitagabend (12.9.) zwischen Spalentor und Lyss statt, und wird die sechste sein, seit es die Gruppe gibt.

«diezelle» hat «seriöse Zweifel», ob die Abteilung Kultur am richtigen Ort ist – Tür an Tür mit dem Standortmarketing. «Wir gehen davon aus, dass diese Abteilungen unterschiedliche Agenden verfolgen», sagt Zuercher.

Diese Vermischung wirft Fragen auf, findet diezelle.

Diese Vermischung wirft Fragen auf, findet diezelle. (Bild: Enrique Fontanilles)

Er vergleicht das Präsidialdepartement mit einem grossen Birchermüesli, weil da verschiedene Interessen unter einem Dach vereint seien. Ob Kunst deshalb ein sauberes Image haben müsse und Aktionen wie die ihren nicht zulässig sind, fragen sie sich. Oder inwiefern man Marktprinzipien folgen müsse, wenn man Kunst auf dem Messeplatz präsentieren will. Weiter sind sie besorgt darüber, aus den Medien zu erfahren, wie Guy Morin mit mächtigen Leihgebern der Museen essen gehe, die «Upper-Class-Kunst» hochhalte, sich aber mit keinem Wort für die jungen Künstlerinnen und Künstler einsetze, die von der Polizei auf dem Messeplatz festgehalten worden seien: «Man darf doch Kunst nicht nur als Handelsware betrachten.»

Man merkt, dass da eine gewisse Enttäuschung mitschwingt über das Schweigen des Präsidialdepartements zu den Ereignissen während der Art Basel. «Bis heute hat sich keiner von der Abteilung Kultur bei uns gemeldet, um mit uns über das, was passiert ist, zu reden», sagt Zuercher. An öffentlichen Veranstaltungen wie kürzlich der Kunstkredit-Vernissage nahmen Verantwortliche zwar in ihren Reden Bezug darauf – aber persönlicher Kontakt? Fehlanzeige. Dabei kenne man sich doch.

«All unsere Fragen würden wir nun gerne mit der Bevölkerung diskutieren», sagt Zuercher. Wer will, darf dann auf einer Tortenscheibe mittels Unterschrift seine Sympathie mit der Idee einer Abspaltung der Abteilung Kultur vom Präsidialdepartement bekunden. Als Initiative eingereicht würde das Anliegen aber nicht, sagt Fontanilles: «Wir gehen nicht mit einer klaren politischen Intention an die Sache ran. Es geht uns darum, zum Denken anzuregen.»

Aktive Zelle

Sie mischen sich gerne ein. Hinterfragen. «Stören», sagt Zuercher. Also hat sie doch etwas Revolutionäres, diese Zelle? «Wir gehen eher von der Zelle als dem kleinsten Teilchen aus; sie kann sich vermehren, meist in gutartiger Absicht», sagt Fontanilles. Überlegt kurz, und sagt dann: «Wobei uns die politische Konnotation auch nicht stört.»

«diezelle» ist schon seit ein paar Jahren aktiv. Mal offensiver, mal versteckter. Mal direkter, mal feiner. An der letzten Museumsnacht im Januar etwa richtete sie in den Ausstellungsräumen der Plakatsammlung das «Hotel Lyss» ein – zur «Entschleunigung», wie sie propagierte. Für all jene, die nach einer kulturell übervollen Nacht an Reizüberflutung leiden.

Dass dies ausgerechnet auf der Lyss geschah, kommt nicht von ungefähr. Denn Alexandra Schüssler waltet als Kuratorin des Ausstellungsraumes der Schule für Gestaltung, Kurt Würmli ist der Konservator der Plakatsammlung. Würmli, Fontanilles und Zuercher kennen sich schon «seit Ewigkeiten». Alle entstammen sie der Basler Kunstszene und unterrichten inzwischen an der Schule für Gestaltung (SfG) – ebenso wie die Kulturanthropologin und Künstlerin Schüssler. Daraus ergab sich im Zuge der Aktion während der Art Basel auch der Verdacht, die Aktion sei eine Aktion der Schule. «Was nicht stimmt», betont Fontanilles, der heute kurz vor seiner Pensionierung als Vizedirektor der SfG steht und sich darauf freut, künftig mehr Zeit für seine eigene Kunst zu haben.

Angefangen hatte ihre Kooperation vor rund sechs Jahren, damals noch ohne Namen. Fontanilles war soeben aus Genf zurückgekehrt, wo er zehn Jahre lang an der École supérieure des beaux-arts unterrichtet hatte. Zusammen mit Zuercher, Würmli und später auch Schüssler nahm er als Künstler Aufträge an – von Stiftungen zum Beispiel, von Museen, einmal sogar von der Welthandelsorganisation WTO. Bald gab sich das Quartett seinen Namen und nistete sich in dem Hinterhof der Spalenvorstadt ein, um von dort aus seine Aktionen zu planen.

Verkehrte Rollen

2013 pflanzte sich «diezelle» in eine Genfer Vernissage ein. Sie irritierte die geladenen Gäste der Fotoschau «Falsefakes – Vraifauxsemblants». Die Basler Künstlerin Vanessa Lopez gab sich als Femen-Aktivistin aus, störte mit ihrem Nacktauftritt die Eröffnungsreden. Fontanilles und Zuercher schritten ein und führten sie demonstrativ ab. Ein fotografisches Plakat der Verhaftung hatten sie bereits vorproduziert – ein gelungener Coup, sie waren schneller als die Medien.

Der Museumsdirektor vor Ort war als Einziger eingeweiht, die restlichen Tausend Gäste hingegen überrascht, von den echten Security bis zu den Rednern, darunter etwa der Genfer Stadtpräsident. «Wir haben sie festgenommen und abgeführt», sagt Fontanilles, und Zuercher korrigiert ihn ironisch: «Wir haben sie angehalten.»

Eine Anspielung auf die Terminologie der Basler Polizeiverantwortlichen Gerhard Lips und Baschi Dürr, die im Zusammenhang mit dem Art-Basel-Einsatz und den Transporten ins Untersuchungsgefängnis Waaghof bis heute nicht von Festnahmen sprechen wollen, sondern lediglich von Personenkontrollen. «Nie hätte ich einen solchen Polizeieinsatz in Basel erwartet», sagt Zuercher, noch immer perplex darüber, was ihnen widerfahren ist. «Vor unserem Genfer Auftritt waren wir weitaus nervöser.» 

In der Stadt am Lac Léman, so das vergleichende Resumé der Künstler, sei man offenbar kunstaffiner, offener, toleranter.

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Spale Nacht
, 12. September. 18.30 bis 22 Uhr. «diezelle» wurde vom Verein ZwischenZeit eingeladen, eine Aktion durchzuführen.

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