Die perfekte Schule

Im Schulhaus St. Johann ist Integration längst Teil des Alltags.

Gutes Klima für das Zusammen­leben: Grösste Sorge im Schulhaus St. Johann ist nicht die Integration, sondern die Frage, ob der Schulhausumbau rechtzeitig fertig wird. (Bild: Livio Marc Stöckli)

Im Schulhaus St. Johann ist Integration längst Teil des Alltags.

Die zehnjährige Aicha ist an diesem Freitag kurz nach Unterrichts­beginn um 8 Uhr früh noch ein wenig müde. Sie gähnt, entdeckt, dass sie von uns fotografiert wird, blickt weg, sucht wieder den Kontakt zur Kamera und schaut schliesslich grinsend in ihr Schulheft.

Wie die meisten Mitschülerinnen und Mitschüler hat Aicha keine Schweizer Wurzeln, ihr Vater kommt aus Senegal. Andere Kinder der Klasse 4b des Schulhauses St. Johann stammen ursprünglich aus Albanien, Thailand, der Türkei, Sri Lanka, Portugal, Italien, Dänemark, Österreich oder aus Frankreich. Zusammen mit ihren Schulkollegen sitzt Aicha im Kreis, trägt das Gedicht «Die Tulpe» von Josef Guggenmos vor, konjugiert singend Verben, liest fehlerlos etwas vor, rechnet – sie macht, was Kinder halt so machen in der Schule.

Mehrere Schritte voraus

Die Schüler der Klasse 4b sind an diesem Morgen engagiert. Sie buhlen darum, der Lehrerin Jasmin Paulussen eine Frage beantworten zu dürfen. Meistens sprechen die Kinder Hochdeutsch, Schweizerdeutsch beherrschen aber alle.

Das Schulhaus St. Johann ist für das Erziehungsdepartement (ED) ein Vorzeigeschulhaus. Darum hat Volksschulleiter Pierre Felder uns wohl auch vorgeschlagen, dieses Schulhaus im unteren St. Johann zu besuchen. Hier funktioniert die Integration bestens. Einen Besuch in Schulen mit einem höheren Ausländeranteil, etwa die Schulhäuser Bläsi oder Kleinhüningen, liess das Erziehungsdepartement nicht zu.

Dass das Schulhaus St. Johann eine Vorbildrolle einnimmt, hat nicht zuletzt mit dem Engagement und dem Spürsinn der Lehrerinnen und Lehrer zu tun. Sie waren immer mehrere Schritte voraus. Es blieb ihnen auch nicht viel anderes übrig, betrug der Aus­länderanteil in diesem Schulhaus doch einst 8o Prozent. Einführungs- und Kleinklassen schaffte man hier schon vor 20 Jahren ab. In manchen anderen Basler Schulhäusern geschieht dies erst noch im Zusammenhang mit der Reform.

Stadtentwicklung zeigt Spuren

Die Lehrer des Schulhauses St. Johann realisierten früh, dass die konsequente Teilung von guten und schlechten Schülern kontraproduktiv für die Integration ist. Die heilpädagogische Unterstützung soll vielmehr allen Kindern zugute kommen. So werden für die Sprachförderung heute Kinder aus zwei oder drei Parallelklassen und unterschiedlichen Stärken zusammengeführt, und die Lehrpersonen gehen individuell auf deren Bedürfnisse ein. «Die Sprachförderung muss für alle möglich sein. Nicht nur Migranten, auch Schülerinnen und Schüler, die perfekt Deutsch sprechen, können sich weiterent­wickeln und gefördert werden», sagt Schulleiterin Nadine Bühlmann.»

Die von den Stadtplanern vorangetriebene Aufwertung des Quartiers St. Johann hat nicht nur markante Neubauten, sondern auch ihre Spuren in der Durchmischung der Klassen hinterlassen. Der Anteil der Kinder mit Deutsch als Erstsprache beträgt in dieser Schule mittlerweile 50 bis 60 Prozent.
«Das Quartier und die Bevölkerung haben sich verändert. Wir sind bunter geworden. In den 1990er-Jahren hatten wir noch viele Schüler aus der Türkei oder Albanien – heute kommen sie aus den verschiedensten Ländern», sagt Bühlmann.

Die von SP-Grossrätin Sybille Benz vorgeschlagene Idee einer 30-Prozent-Quote von Schweizerdeutsch sprechenden Schülern war ebenfalls in ihrem Lehrerzimmer ein Thema. Die Einführung einer solchen Quote habe man sich damals vor 20 Jahren ebenfalls überlegt, so Bühlmann, man sei aber zum Schluss gekommen, dass die Schüler in ihrem Quartier zur Schule gehen müssten. «Die Ideen der Politiker lassen sich meistens nicht praktisch umsetzen. Wir haben uns bei der ganzen Quotendiskussion ein wenig in die 1990er-Jahre zurückversetzt gefühlt, zumal wir das ganze Thema Integra­tion bereits hinter uns haben.» Bühlmanns grösste Sorge ist derzeit, ob der wegen der Harmos-Reform nötige Schulhausumbau rechtzeitig fertig wird. Nicht die Integration.

«Ausgezeichnete Lehrkräfte»

Der gute Ruf und der inzwischen tiefere Anteil Fremdsprachiger im Schulhaus St. Johann hat auch eine Kehrseite. Manche Eltern schicken ihre Kinder lieber in diese Schule als ins Volta-Schulhaus an der Wasserstrasse. Derzeit wehren sich drei Elternpaare mit einer Einsprache beim Erziehungsdepartement gegen die Einteilung ihrer Kinder ins Volta-Schulhaus. Nadine Bühlmann kann das nicht nachvollziehen. Die Befürchtungen der ­Eltern seien unbegründet, sagt sie: «Wir arbeiten sehr eng mit dem Schulhaus Volta zusammen und haben das gleiche Schulentwicklungsmodell als Grundlage.»

Gleicher Meinung ist Nicola Baier, Vizepräsident des Neutralen Quartiervereins St. Johann und bei den letzten Wahlen Grossratskandidat der SVP. Er schickte seine heute 13-jährige Tochter ins Schulhaus Volta und sagt: «Ich kann mir vorstellen, dass der Anteil fremdsprachiger Kinder gewissen ­Eltern Sorgen bereitet. Wir hatten aber keine Schwierigkeiten damit, denn wir hatten ausgezeichnete Lehrkräfte.»

Baier findet, man könne noch so viele Schweizer Kinder in einer Klasse haben, wenn aber die Lehrpersonen schlecht seien, bringe auch ein geringer Ausländeranteil nicht viel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.06.13

Nächster Artikel