«Die Polizei kann und sollte nicht alles verhindern»

Die Polizei könne nicht bei jedem unbewilligten Anlass der alternativen Szene einschreiten, sagt der Basler Polizeikommandant Gerhard Lips. Dafür gebe es heute zu viele solcher Veranstaltungen. Zudem wäre es nicht verhältnismässig.

Polizeikommandant Gerhard Lips beim Interview im Zug von Basel nach Zürich. (Bild: Monika Zech)

Die Polizei könne nicht bei jedem unbewilligten Anlass der alternativen Szene einschreiten, sagt der Basler Polizeikommandant Gerhard Lips. Dafür gebe es heute zu viele solcher Veranstaltungen. Zudem wäre es nicht verhältnismässig.

Herr Lips, in Zürich gibt es derzeit rund 25 sogenannt «besetzte» Liegenschaften. Wie viele sind es in Basel?

Als «besetzt» gelten hier momentan die Objekte Wasserstrasse und die Villa Rosenau, wobei der Begriff Besetzung nicht ganz korrekt ist. Eine Besetzung ist etwas Rechtswidriges; aber häufig läuft es so, dass eine Liegenschaft besetzt und danach die Besetzung toleriert wird, indem der Eigentümer die vorübergehende Nutzung zulässt. Gebrauchsleihvertrag ist der formelle Begriff dafür, und dann ist es eigentlich keine Besetzung mehr, sondern eine Zwischennutzung. Das gilt auch für die Objekte in Zürich.

In Zürich steht sogar der Eigentümer in der Pflicht, nebst dem Strafantrag eine rechtskräftige Abbruch- oder Baubwillligung vorzulegen, damit die Polizei eine besetzte Liegenschaft räumt.

Das ist auch in Basel so, die Polizei hilft dem Eigentümer, eine Liegenschaft oder ein Areal zu räumen, sofern gewisse Rahmenbedingungen gegeben sind.

Was für Rahmenbedingungen?

Das heisst: Primär muss der Eigentümer dafür sorgen, dass es nach der Räumung nicht gleich wieder zu einer Besetzung kommt. Weil der Staat nicht die Mittel hat, serienmässig immer wieder das gleiche Objekt zu räumen.

Ist Basel provinzieller als Zürich, dass hier wegen zwei Objekten eine solche Aufregung gemacht wird?

Für die Liegenschaft an der Wasserstrasse gibt es jetzt einen Nutzungsvertrag, ebenso für die Villa Rosenau. Letztere ist deshalb Thema geworden, weil dort gewaltbereite Linksaktivisten vermutet werden.

Gibt es denn Hinweise dafür?

Ja, die gibt es. Aber keine stichhaltigen Beweise, das ist das Problem.

Und wie beschafft man sich die Beweise?

Im üblichen Ermittlungsverfahren, im Detail kann ich die logischerweise nicht bekannt geben.

Kann man nicht beispielsweise eine Razzia in der Villa Rosenau machen?

Für eine Razzia braucht es strafprozessual entsprechende Grundlagen. Es braucht konkrete Hinweise auf gravierende Straftaten, ebenso auf Täter, die man namentlich dort vermutet. Solange man das nicht hat, ist kein Grund vorhanden für eine Razzia – im Sinne einer Hausdurchsuchung. Deshalb gibt die Staatsanwaltschaft auch den Auftrag dafür nicht.

Was sind gravierende Straftaten?

Gröbere Sachbeschädigung, schwere Körperverletzung, Sprengstoffanschlag – grosse Sachen.

Also Scheiben einschlagen und Sprayereien reichen nicht?

Nein, wenn dabei nur geringer Sachschaden entsteht, reicht das nicht.

In gewissen Medien wurde jedoch kolportiert, die Villa Rosenau sei ein «Hort krimineller Linksextremer», den man dem Erdboden gleichmachen müsse.

Das sind Mutmassungen. Ich fände es schlecht, wenn ich als Polizeikommandant Stellung beziehen würde zu Mutmassungen. Was wir wissen, ist, dass eine Handvoll Leute sich dort aufhält, aber nicht mit festem Wohnsitz. Das sind auch die, die gegenüber der IWB für Strom und Wasserrechnungen aufkommen. Ausserdem finden Veranstaltungen, Partys statt. Dann kommen Dutzende, Hunderte, ganz «normale» junge Leute. Weil es günstig ist, weil es etwas anderes ist als in den kommerziellen, eher teuren Clubs. Das ist für viele jungen Leute attraktiv.

Etwa, weil solche Partys Teil der Jugendkultur sind?

Ich würde sagen ja. Neben kommerziellen Angeboten hat es auch vor zwanzig, dreissig Jahren, als ich jung war, nicht kommerzielle Anlässe gegeben.

Wie alt sind Sie?

Ich bin jetzt 51. Und im Alter zwischen 16 und 25 konnten wir uns auch nicht leisten, in teure Discos zu gehen, weil wir einfach nicht das Geld dafür hatten. Oder wir haben uns dann mit einem Cola den ganzen Abend über Wasser gehalten. Damals gab es aber auch nur wenige andere Partymöglichkeiten. Heute ist das Angebot grösser, es gibt eine Art Subkultur. Die wird auch von den meisten Leuten nicht in Frage gestellt. In Frage gestellt wird sie dann, wenn Sie mit Gewalt in Verbindung gebracht wird.

Stimmt es denn, dass die Mehrheit die Subkultur nicht in Frage stellt? Momentan hat man das Gefühl, das Gegenteil sei der Fall. Man hört derzeit nur Stimmen, die von den Hausbesetzern von linksextremen Chaoten, Kriminellen und von rechtsfreiem Raum reden.

Die Frage ist, was meint die Mehrheit? Der schweigende Teil wird ja nicht abgebildet.

Ist es die Mehrheit, die schweigt?

Das ist schwierig zu beurteilen. Wir in der Verwaltung, aber auch die in der Politik oder in den Medien haben oft eine verzerrte Optik, weil man sich nur mit denen auseinandersetzt, die sich melden. Mit den Schweigenden, ob nun Mehrheit oder Minderheit, hat man nichts zu tun. Deshalb ist es schwierig, die Stimmung wirklich einzuschätzen. Aber für mich ist das gar nicht unbedingt massgebend, ich habe einen gesetzlichen Auftrag, dieser Auftrag bewegt sich im politischen Umfeld. Und die Politik im Kanton Basel-Stadt sagt klar: Wie wollen diese alternative Lebens- und Kulturform zulassen. Allerdings in einem legalen Rahmen. Aber hier beginnt die Gratwanderung: Was ist der legale Rahmen? Man weiss ja, dass einige Leute für ihre alternativen Angebote ganz bewusst keine Bewilligung einholen. Weil das Teil des Kicks der Veranstaltung ist. Wenn nun jemand als Besucher an eine solche Veranstaltung gilt das Prinzip «Mitgegangen mitgehangen»? Macht er sich damit mitverantwortlich für den Verlauf der Veranstaltung, für das was allenfalls passiert, oder kann er sagen: Ich bin nur hingegangen, um mich zu vergnügen und nicht wegen des Krawalls?

Wie beantworten Sie das?

Da ist erfahrungsgemäss beides möglich. Es gibt sehr viele solche Veranstaltungen, die unproblematisch ablaufen. Von denen spricht auch niemand. Und dann gibts solche im Graubereich. Bei denen die Polizei wegen Lärmklagen einschreitet; über diese berichtet auch niemand. Weil sie problemlos ausgehen und der Lärm abgestellt werden konnte. Und dann gibt es die, bei denen es zu Übergriffen und Sachbeschädigungen kommt. Nun kann man sich natürlich fragen, ob bei dieser dritten Kategorie die Polizei nicht viel schneller eingreifen müsste. Dazu sage ich: Das ist heute nicht mehr realistisch.

Weshalb nicht?

Es finden zu viele solcher Anlässe statt, vor allem im Sommer. Und die Polizei kann und sollte nicht jedesmal und von Anfang an immer gleich einschreiten und alles verhindern. Es wäre nicht verhältnismässig. Ich glaube auch, dass Polizisten das in aller Regel auch vernünftig und mit Augenmass handhaben.

Das tönte aber anders von Heinz Salvisberg, dem Vizepräsidenten des Polizeibeamtenverbands. Er äusserte sich als Stimme der Basis sehr wütend über die Doktrin der rot-grünen Regierung, die alles Illegale legalisiere und die Polizei in ihrer Arbeit behindere. Polizisten sind politisch tendenziell wohl eher auf der rechten Seite. Sie sind deren Chef, haben Sie Rückhalt bei Ihren Leuten?

Grundsätzlich ja, in einzelnen Fragen gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich kann gut damit leben, dass ein Polizist aus seiner persönlichen Optik heraus seine Arbeit anders beurteilt. Auch, wenn das der Verband, der einen Teil der Polizisten repräsentiert, öffentlich macht. Das gehört zur Realität. Mit dieser Realität muss man in meiner Stellung leben können. Es ist letztlich das Gleiche wie im Gesundheitsbereich, wo Ärzte und Pflegepersonal sich auch öffentlich gegen Spitalauslagerung äusserten, weil sie Lohn- und Stellenabbau befürchten. Oder Lehrer gegen Harmos. Das ist ein ähnlicher Konflikt.

Spielt die Politik die Vorfälle in Basel herunter, wie der Vorwurf lautet?

Nein, die Haltung der Gesamtregierung ist klar und unmissverständlich. Ob man damit einverstanden ist, ist eine andere Frage. Die Haltung müssen wir als Polizisten jedoch umsetzen. Das ist ihre Aufgabe. Polizisten machen eigentlich nichts anderes in der Praxis; in den allermeisten Fällen, die nie zur Diskussion stehen, handeln Polizisten genau innerhalb dieser Rahmenbedingungen. Sie haben aber einen gewissen Handlungsspielraum. Auch bei Partys, bei denen es Lärmklagen gibt. Ohne Rücksprache mit Politikern geht der Polizist hin und handelt nach seinem Ermessen. Er macht das, was er für vernünftig hält. Er hat diese Kompetenzen. Nur in einzelnen wenigen Fällen kommt es zur Grundsatzdiskussion.

Und genau darum geht es beim Thema Voltaplatz. Der Vorwurf lautet: Die Polizei wird im Stich gelassen, sie hätte schon lange gerne geräumt, sei aber von der Politik zurückgepfiffen worden.

Tatsächlich hatten wir, die Polizeileitung, damals die Meinung vertreten: Räumen – nach dem Motto: Wehret den Anfängen. Wir waren geprägt vom Ereignis im alten Kinderspital. Dann hiess es vom Baudepartement aber: Nein, wir räumen nicht. Im Gesamten betrachtet gab es auch keine wirklich grossen Probleme. Zwischen Mai und Oktober etwa 40 bis 50 Lärmklagen, denen wir nachgegangen sind. Klar, nach der Gewalteskalation fühlen sich die, die im Nachhinein immer gescheiter sind, nun bestätigt und sagen, wir haben es immer schon gewusst. Aber was passiert wäre, wenn wir geräumt hätten, kann niemand sagen. Möglicherweise wäre an einem anderen Ort etwas aufgebaut worden, möglicherweise hätte es eine Demo gegeben, möglicherweise wochenlange Randale. Aus früheren Jahren kennen wir genügend solcher Beispiele.

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