Die Sarasins – Aufstieg einer Dynastie

Vor fast 400 Jahren erlangte in Basel ein Einwanderer das Bürgerrecht: Gedeon Sarasin. Dessen Nachkommen wurden als Fabrikanten, Händler und Bankiers berühmt. Die bewegte Geschichte einer Flüchtlings- und Unternehmerfamilie.

Vor fast 400 Jahren erlangte in Basel ein Einwanderer das Bürgerrecht: Gedeon Sarasin. Dessen Nachkommen wurden als Fabrikanten, Händler und Bankiers berühmt. Die bewegte Geschichte einer Flüchtlings- und Unternehmerfamilie.

Burckhardt, Koechlin, Merian, Stähelin, Vischer, Wackernagel – alles Namen grosser Basler Patrizier­fami­lien. Nicht fehlen darf natürlich: Sarasin. Wer diesen Namen heute hört, denkt an die Privatbank, die kürzlich mehrheitlich an die Genfer Safra-Gruppe übergegangen ist. Längst gehört die Dynastie Sarasin zum Basler «Daig». Doch die Wurzeln dieser heute als urbaslerisch wahrgenommenen Familie reichen zurück nach Frankreich – zu den Hugenotten.

Im 16. Jahrhundert hatte Gedeon Sarasins Vater Régnault seine Heimat im lothringischen Pont-à-Mousson während der Wirren der Gegenreformation verlassen müssen. Grund: Der Mann reformierten Glaubens weigerte sich, in die Kirche zu gehen und «der reinen Lehre Christi» zu folgen. Als die Verhältnisse für Reformierte in Metz auch für Sohn Gedeon unhaltbar wurden, sah auch er sich zum Auswandern gezwungen. Sein Weg: Frankenthal, Strassburg, Mariakirch, Colmar. Sein Ziel: die Stadt Basel, die zu jener Zeit ein Verkehrszentrum ersten Ranges mit regem Handel und Gewerbe war. Im Jahr 1628 wurde der Flüchtling Basler Bürger. Aus armer Familie stammte der gläubige Hugenotte nicht. Schon der Stammherr Régnault hatte in Metz Magistratsämter inne und gehörte dem Patriziatsadel an.

Mit halboffenen Armen empfangen

Zur Zeit, als Gedeon Sarasin als Glaubensflüchtling nach Basel kam, sah die Asylpolitik in der Alten Eid­genos­sen­schaft in wesentlichen Aspekten nicht anders aus als heute. Die Behörden nahmen die — hugenottischen — Flücht­linge auf, gaben ihnen Verpflegung und Unterkunft, aber sie stellten ihnen auch Reisepässe aus und drängten sie dazu, weiterzureisen. Die Alte Eidgenossenschaft war damals über weite Landstriche arm; die Landwirtschaft musste die eigenen Leute er­nähren. So gab es also schon damals Klagen über Asylrechtsmissbrauch. Dis­kutiert wurde, was echte und was unechte «Exulanten» seien.

Im boomenden Basel dagegen konnten viele eingewanderte Händler das Bürgerrecht erwerben. Von hier aus führten sie ihre Transport-, Handels- und Geldgeschäfte weiter. Sie waren in der Stadt willkommen, da sie lukrative Gewerbe und wichtige Handelsbeziehungen mitbrachten und die Stadt damit wirtschaftlich belebten.

Öffentliche Ämter konnten Einwanderer im Jahr ihrer Aufnahme in das Basler Bürgerrecht nicht bekleiden. Schon ab der dritten Sarasin-Generation jedoch finden wir ihre Sprösslinge im Grossen Rat, im Kleinen Rat, im Dreizehnerrat, in Kirchenämtern, als Richter. Und sie werden auch bald «zünftig», also angesehene Zunftmitglieder.

Ursprünglich war der Handel das Kerngeschäft der Sarasins – so wie auch vieler anderer Hugenotten. Pariser­­tuche und Seidenstoffe aus ­Savoyen transportierten sie hauptsächlich nach Deutschland und verkauften sie dort. Basel war für dieses Geschäft natürlich ein idealer Ausgangspunkt. Der Besuch von Messen im umliegenden Ausland war für die Händler von grosser kommerzieller Bedeutung. In der Regel waren es die Patrons selber, welche die Messefahrt nach Strassburg oder Frankfurt unternahmen. Mehrere Händler taten sich zusammen und bildeten einen eigentlichen Konvoi.

Solche Reisen waren nicht unge­fährlich. Während des Dreissigjährigen Krieges wurde ein Pferdekonvoi von Basler und St. Galler Messefahrern im hohen Schwarzwald von marodierenden kaiserlichen Soldaten und ansässigen Bauern überfallen. Sie raubten die Händler aus: sechs von ihnen wurden ermordet, darunter auch ein Sarasin.

Bereits die älteren Sarasins hatten in Frankreich Tuchhandel betrieben. Sie wurden damals oft auch «Sarazin» geschrieben. Im Mittelalter waren damit Sarazenen gemeint – und einer Fa­mi­lien­geschichte zufolge war der Urstammvater der Familie Sarasin tatsächlich ein Sarazene, ein Muslim also.

Der 1649 geborene Hans Franz Sarasin begründete dann zwischen 1680 und 1690 die erste Bandfabrikation Basels. Die Bandfabrikation bildete im 17. Jahrhundert einen wichtigen Wirtschaftszweig. Sie ist eine Technik zur Herstellung von Bändern und anderen schmalen Textilien mit beidseitig festen Kanten. Textile Bänder fanden für technische Zwecke Verwendung und wurden für Zieranwendungen benutzt.

Clevere Warenkrämer

Dieses prosperierende Gewerbe blieb während mehrerer Generationen in den Händen der Familie Sarasin. Das Blaue und das Weisse Haus an der Martinsgasse zeugen noch heute vom damit früh erworbenen Reichtum der Familie. Die beiden Brüder Lukas und Jakob hatten sie in den Jahren 1763 bis 1775 erbauen lassen. Am Anfang der erfolgreichen Tätigkeiten der nunmehr 13 Sarasin-Generationen stand also der Zwischenhandel. Die Sarasins waren die be­rühmtesten «Basler Waren­krämer».

Das Geschäftsfeld erweiterte sich aber rasch. Neben der Bandfabrikation beteiligte sich Hans Franz Sarasin bereits 1660 an Firmen, die im Verlagssystem und in Manufakturen wollene und seidene Strümpfe produzierten: die «Strümpf-Fabrique». Später kam eine «Floretbandfabrique» dazu. Diese Firma Leisler, Sarasin & Leisler machte aber auch Geldgeschäfte. Sie finanzierte unter anderem einen grossen Teil der Kriegskontribution, die das Herzogtum Württemberg an Frankreich bezahlen musste — der erstmalige Auftritt der Sarasins als «Banquiers».

Hans Joneli stellt in seiner Chronik «Gedeon Sarasin und seine Nachkommen» eine Statistik der Berufsabtei­lungen und -arten auf. In den ersten zehn Generationen waren 31 Prozent der ­Sarasins als Bandfabrikanten tätig; 27 Prozent als Handelsleute. Unter den übrigen finden sich wenig zahlreich und gleichmässig verteilt: Gutsbesitzer, Tabakfabrikanten, Architekten, Baumwollfabrikanten, Bankiers, Lohnherren, Ärzte, Lehrer, Pfarrer, Gelehrte, Kunstmaler, Rentner, Lehrlinge und Bankiers.

Die aus Frankreich stammende Sarasin-Dynastie war geprägt durch den reformierten Glauben, der sie aus der einstigen Heimat getrieben hatte. Offensichtlich führten die calvinistischen Tugenden zum Erfolg. Ernst Sarasin beschreibt diese im Vorwort der Familienchronik von Hans Joneli so: «Eine Besonderheit der Puritaner war äus­serste Einfachheit in ihrer Lebenshaltung: die Sparsamkeit trieben viele bis in die unwahrscheinlichsten Kleinigkeiten direkt als Sport. Diese Züge finden wir wieder in den Refugianten aus Frankreich, und in manchen Hugenottengeschlechtern in Basel und anderwärts haben sie sich bis auf den heutigen Tag unverkennbar erhalten.» Die Kerntugend eines Privatbankiers, die Diskretion, geht damit Hand in Hand.

Schwarzes Schaf in der Familie

Einen einzigen Hinweis auf ein schwarzes Schaf im weit verzweigten Clan liess sich finden. Von mehr als einem Skandälchen ist jedoch nicht zu berichten. Und das liegt schon weit zurück. Über den 1742 geborenen Jakob Sarasin wird in einer Chronik berichtet: «Jakob befand sich allerdings mit den Traditionen der ­Familie im Widerspruch, wenn er als Schöngeist und Freund so vieler Dichter und Gelehrter Einnahmen und Ausgaben nicht in das rechte Verhältnis brachte und statt Reichtümer zu sammeln, mit vornehmer Generosität Freunde und allerlei Unternehmungen mit seinem Vermögen unterstützte.» Zu diesen Freunden gehörte etwa der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi.

Wenn es darum geht, eine Dynastie zu festigen und für die Zukunft fit zu machen, kommt der richtigen Wahl der Ehepartnerin eine wichtige Rolle zu. Es genügt, aus der Chronik einige Doppelnamen zu lesen, und man stellt fest, dass sich in Sachen strategische Heiratspolitik die Sarasins wie Adlige ­verhielten: Peter Sarasin-Du Fay, Peter Sarasin-Burckhardt, Hans Franz Sarasin-Burckhardt, Jakob Sarasin-Battier, Benedikt Sarasin-Sarasin, Ludwig August Sara­sin-Merian, Karl Sarasin-Vischer, Wilhelm Emanuel Sarasin-­Iselin, Jakob ­Albert Sarasin-Geigy, ­Gedeon Karl ­Sarasin-Speiser — alle Zutaten des Basler «Daigs» sind hier versammelt.

Spielten die Frauen auch im Geschäftsleben eine Rolle? Dafür haben Historiker nur wenige Indizien gefunden, die jedoch darauf hinweisen, dass die damaligen Händlerfrauen in den Geschäften ihrer Männer aktiv mithalfen. So sagte etwa der Geistliche bei der Be­erdigung von Anton Winkelblech-Fäsch im Jahre 1720 Folgendes: «Mit seiner nun hochbetrübten Frau Wittib hat er über 27 Jahr eine liebreiche und vergnügte Ehe besessen, immassen er an der­selbigen sowohl in seinen Handels- als Hauss-Geschäften eine sehr getreue Gehilfin gehabt.»

Das Bankgeschäft wird zentral

Im 20. Jahrhundert wurde das Geld­geschäft schliesslich zum wichtigsten Tätigkeitsfeld. Im Jahr 1900 übernahm Alfred Sarasin-Iselin, der schon zuvor Teilhaber gewesen war, das Ruder des 1841 von Johannes Riggenbach gegründeten Geldinstituts. Unter seiner Führung entwickelte sich die Bank ­Sarasin & Cie zu einer der re­nom­mier­testen Schweizer Privatbanken. Alfred Sara­sin-Iselin, Musterbeispiel eines Patrons, war auch an vielen anderen Fronten tätig: Mitgründer der Schweizerischen Bankiervereinigung, Präsident des Bank­rates der Nationalbank, Förderer der Elektrizitätswirtschaft und des Eisenbahnbaus, Politiker.

Alfred Sarasin-Iselin führte die Bank mit dem Eichbaum während Jahrzehnten erfolgreich – «in der Vermögens­verwaltung festen Prinzipien folgend», wie Thomas Vonaesch, Leiter Private Banking Basel der Bank Sarasin, im Geld-Magazin «Private» schreibt. Gemeint ist wohl in erster Linie die Diskretion. 1987 wurde die Privatbank in die Rechtsform einer Kommanditgesellschaft überführt. Die teilhabenden Bankiers hafteten dabei weiterhin mit ihrem persönlichen Vermögen.

Ende 2006 erwarb die holländische Rabobank zusätzliche Anteile und hielt damit 46 Prozent des Aktienkapitals und 69 Prozent der Stimmrechte. Kommentar des Wirtschaftsmagazins «Bilanz»: «Fast ging dabei unter, dass sich mit diesem Schnitt die Gründerfamilie verabschiedete.» Wie konnte es geschehen, dass sich fast die gesamte Familie vom eigenen Unternehmen trennte? Nochmals die «Bilanz»: «445 Millionen Franken, heisst die Antwort. So viel lösten die zwölf Teilhaber», mehrheitlich Angehörige der weit verzweigten Familie Sarasin.

Das Ende der Bankgeschichte

Als sich im Jahr 2007 An­dreas Sarasin aus der Geschäftsleitung der Bank zurückzog, blieben Eric und Yves Sarasin als letzte Angehörige des Sarasin-Clans dabei — in fünfter Banker-Generation. Seit 2009 zieht er mit der Vertretung der Bank Sarasin in Warschau polnische Privatvermögen an. Am 25. November 2011 schliesslich wurde bekannt, dass die Genfer Safra-Gruppe die Mehrheit an der Bank Sarasin erworben hat. Somit ist die 160-jährige Bankgeschichte der Sarasins am Ende. Geblieben ist immerhin noch der gute alte Name: «Sarasin & Cie AG».

Viele der heutigen Sarasin-Sprösslinge haben sich sowieso längst vom Bank­geschäft verabschiedet. Beim Googeln des klangvollen Namens findet man: die Irma Sarasin-Imfeld-Stiftung, den Genfer Filmemacher Jacques Sarasin, den Geschichtsprofessor ­Phi­lipp Sarasin, die Antoinette Sarasin Weight & Vitality Concepts, das Sa­rasin-Swiss-Open-Tennisturnier, die Fritz Sarasin-Stiftung, die Puppenspielerin Barbara Sarasin-Reich, Charles Eric Sarasin, Internal Auditor bei Georg Fischer und die Schauspielerin Stephanie Sarasin.

Zu Ende ist die Ära eines einst homo­genen Familienclans, der im Handel, in der Textilbranche und im Bankenwesen Geschichte schrieb und dessen Migrationsspuren mit der Zeit verblassten. Den heutigen Sarasins geht es nicht anders als den Hubers und Meiers: Sie behaupten sich in einer komplexer gewordenen Gesellschaft in diversen Berufen und Bereichen.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11

Korrigendum: In der Erstfassung dieses Artikels hat die TagesWoche geschrieben, dass sich Andreas und Eric Sarasin im Jahr 2007 aus der Geschäftsleitung der Bank zurückgezogen hätten. Das ist falsch. Nur Andreas Sarasin hat sich aus der GL zurückgezogen – nicht aber Eric Sarasin. Er ist nach wie vor in der GL tätig und zuständig für den Bereich Private Banking. Wir bedauern den Fehler. Die Redaktion

Nächster Artikel