Was Naturschützer befürchten, bestätigt jetzt eine Analyse der Stromlobby: Mehr Strom aus Wasserkraft lässt sich nur gewinnen, wenn der Staat Abstriche am Naturschutz macht. Auch für andere erneuerbare Energie wird’s eng in der Schweiz.
Der Bundesrat will die Stromproduktion aus Wasserkraft um vier Milliarden Kilowattstunden pro Jahr steigern, um damit einen Teil des wegfallenden Atomstroms zu ersetzen. Das «Ausbauziel» für Wasserkraft soll sogar fünf Milliarden kWh betragen, fordert das Parlament nach dem Atomunfall von Fukushima. Das entspricht unter dem Strich einem Zuwachs von 14 Prozent gegenüber der mittleren Jahresproduktion von heute.
Diese Ziele sind anspruchsvoll, weil die konsequente Durchsetzung der heutigen Gewässerschutz-Gesetze zu einem fünf- bis zehnprozentigen Rückgang der nutzbaren Wasserkraft führt. Neu-, Aus- und Umbauten von Wasserkraftanlagen müssten also nicht nur 14 Prozent mehr Strom bringen, sondern auch die wegfallende Produktion von maximal zehn Prozent kompensieren. Umweltverbände fürchten deshalb Rückschritte beim Natur- und Gewässerschutz.
Mehr Nutzung, weniger Schutz
Ihre Befürchtung bestätigt jetzt eine Analyse von Roger Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes, der die Interessen der Stromproduzenten vertritt. Seine Folgerung: Das Ausbauziel von vier bis fünf Milliarden Kilowattstunden sei «ambitiös» und nur mit einer «Anpassung der Rahmenbedingungen» erreichbar, schreibt er im neusten «Bulletin» des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Unter den heutigen Bedingungen hingegen sei mit einer «Stagnation und längerfristig mit einem Rückgang der Produktion aus Wasserkraft zu rechnen».
Konkret nennt Pfammatter folgende Bedingungen, die geändert werden müssten, um mehr Strom aus der Kraft des Wassers heraus zu pressen: Erstens brauche es eine «neue Gewichtung bei der Interessenabwägung zwischen Schutz und Nutzung». Konkret: Beim Vollzug des Gewässerschutzes, insbesondere der Restwassermengen, müssten die Behörden «eher zu Gunsten der Nutzung» entscheiden und eine «massvolle Nutzung» der Wasserkraft auch in Landschaftsschutzgebieten zulassen. Konzessions- und Bewilligungsverfahren für neue Wasserkraftwerke seien zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dies wiederum setze eine «breite Akzeptanz und politischer Wille für die Erweiterung von bestehenden und den Bau von neuen Wasserkraftanlagen voraus».
Nicht nur ökologisch, auch ökonomisch brauche es Anpassungen. So fordert Pfammatter attraktivere Regeln, um Investitionen zur Effizienzsteigerung und für Ausbauten von Kraftwerken rentabler zu machen. Zudem sollten Subventionen, die heute primär kleine Wasserkraftwerke fördern, vermehrt in grössere Anlagen umgeleitet werden. Denn mit dem gleichen Geld lässt sich in einer Grossanlage mehr Strom mit weniger Naturbelastung Strom fördern.
Konflikte auch mit Wind- und Biomasse
Konflikte in der engen und dicht besiedelten Schweiz gibt es auch bei der Nutzung von andern erneuerbaren Energien: Windkraftwerke, die relativ billig Strom produzieren, kollidieren mit dem Landschaftsschutz; ihr Anteil an der Schweizer Stromproduktion, so zeigt die neuste Statistik, beträgt darum erst 0,12 Prozent. Holz- und andere Biomasse-Kraftwerke stossen auf Widerstand der örtlichen Bevölkerung, die Rauch und Gestank fürchtet.
Einzig die Nutzung der Solarkraft mittels Photovoltaik geniesst breite Akzeptanz. Denn Solarmodule lärmen nicht, stinken nicht und brauchen wenig Naturraum, weil sie sich in bestehende Gebäude integrieren lassen. Das Problem: Die riesige Menge an Sonnenenergie kommt unregelmässig und in stark verdünnter Form auf der Erde an. Deshalb ist ihre Ernte und Verstromung noch relativ teuer und ihr Anteil an der Stromproduktion mit 0,15 Prozent ebenfalls noch klein. Doch langfristig hat Sonnenenergie das grösste Potenzial, um Kohle, Erdöl, Erdgas oder Atomstrom zu ersetzen.