Die Uno fordert alternative Finanzierungen für Medikamente

Das Patent-System in der Pharmaindustrie funktioniert nur ungenügend, stellt ein Panel der Uno fest. Es fordert deshalb alternative Finanzierungsmodelle für die Forschung und Entwicklung von Medikamenten. Insbesondere von solchen, die für die Industrie finanziell unattraktiv sind.

Medikamente und eine Schweizer 200 Franken Banknote fotografiert am Donnerstag, 25. September 2014, in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

(Bild: KEYSTONE/Gaetan Bally)

Das Patent-System in der Pharmaindustrie funktioniert nur ungenügend, stellt ein Panel der Uno fest. Es fordert deshalb alternative Finanzierungsmodelle für die Forschung und Entwicklung von Medikamenten. Insbesondere von solchen, die für die Industrie finanziell unattraktiv sind.

Es brauche neue Finanzierungsmodelle, damit Medikamente für vernachlässigte Krankheiten entwickelt werden können. Experten der öffentlichen Gesundheit fordern dies schon seit Jahren. Das bestehende Patent-System funktioniere nämlich nicht. Nicht bei Krankheiten, die für die Pharmaindustrie uninteressant sind. Tuberkulose wäre so ein Beispiel.

Doch wie könnten solche Finanzierungsmodelle aussehen?

Eine Idee ist: Entwicklungskosten vom Preis trennen. Im Bereich der vernachlässigten oder sogenannten seltenen Krankheiten gibt es bereits entsprechende Initiativen – beispielsweise die «Drugs for Neglected Diseases Initiative» (DNDi), die ein patentfreies Malariamittel entwickelte.

Das reiche aber nicht. An einem High Level Panel der UNO sagte alt Bundesrätin und Co-Präsidentin Ruth Dreifuss: «Wir müssen mehr Mittel für die öffentlich-rechtliche Forschung haben, um Bereiche erforschen zu können, die für die Pharmaindustrie von geringem Interesse sind.»

Das Panel über den besseren Zugang zu Medikamenten hat diese Woche Vorschläge vorlegt, um das strukturelle Problem der Forschung zu lösen und einen besseren Zugang zu Medikamenten zu gewährleisten. Der Bericht ist zurzeit auch Thema an der Weltgesundheitsversammlung in Genf.

Das Panel war 2015 vom damaligen UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon geschaffen worden. Die Initiative dazu hatte das Uno-Entwicklungsprogramm ergriffen, nachdem die Diskussionen innerhalb der Weltgesundheitsorganisation (WHO) blockiert waren. Es gab «einen Streit zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen den Staaten mit einer grossen Pharmaindustrie und jenen, die das nicht haben», wie der Experte für Gesundheit und Entwicklung bei der zwischenstaatlichen Organisation South Center, German Velasquez, in Genf sagte.

Es sei ein globales Problem, sagt Ruth Dreifuss.

Der fehlende Zugang zu Medikamenten galt lange als Problem armer Länder. Ein Trugschluss: «Unser Bericht hat klar ergeben, dass es sich um ein globales Problem handelt», sagte Ruth Dreifuss. Es gebe auch in reichen Ländern Preisprobleme, die zu einer Rationierung von Medikamenten führten.

«Ich denke etwa an das Paradebeispiel Hepatitis C, das zum Ergebnis hat, dass sogar die Schweiz beschloss, mit einer Behandlung zuzuwarten, bis die Krankheit ausgebrochen ist.» In der Schweiz koste eine Behandlung mit 50’000 Franken gut die Hälfte des Preises in den USA von 84’000 Dollar.

29’000 Euro in Frankreich, 230 Dollar in Ägypten

Heute kann Hepatitis C geheilt werden. Der Wirkstoff heisst Sofosbuvir (Markenname Sovaldi) und wurde vom Pharmakonzern Gilead entwickelt. Viele Länder haben mit Gilead über den Preis für Sofosbuvir verhandelt. In Frankreich liegt er für die zwölfwöchige Behandlung derzeit bei 29’000 Euro, in Spanien bei 13’000 Euro.

Ägypten hat die Patentierung von Sofosbuvir verweigert. Dort produziert eine lokale Firma ein Generikum für 230 Dollar pro Behandlung. 10 Prozent der Bevölkerung Ägyptens leiden an Hepatitis C, weltweit sind es 150 Millionen Menschen. Wenn das Medikament überall so günstig wäre wie in Ägypten, könnte laut Velasquez jedes Land eine Kampagne führen, die Hepatitis C ausmerzen könnte. 

Das Panel schlägt eine Zwangslizenz vor, damit billigere Generika produziert werden können.

Das Panel hat in seinem Bericht mehrere Empfehlungen zusammengestellt. Eine erste Empfehlung lautet: Regierungen sollen die Flexibilisierungsregelungen respektieren, die im Fall von Problemen für die öffentlichen Gesundheit im Abkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) vorgesehen sind.

Demnach kann eine Regierung Zwangslizenzen bewilligen, um billigere Generika eines patentierten Medikaments zu produzieren und zu verkaufen, sofern die Generikafirma dem Patentinhaber eine Lizenzgebühr bezahlt. Besorgt erklärte sich das Panel darüber, dass Regierungen unzulässigem Druck ausgesetzt seien, auf Zwangslizenzen zu verzichten.

Wie sehr Industrieländer Präzedenzfälle fürchten, die das Patent-System in Frage stellen könnten, zeigte der Fall von Kolumbien. Im letzten Jahr wollte das Land eine Zwangslizenz wegen des hohen Preises des Novartis-Krebsmedikaments Glivec (Imatinib) erteilen.

Sowohl Novartis als auch die Schweiz übten Druck aus, davon abzusehen. Am vehementesten reagierten die USA. Sie drohten Kolumbien, die 450-Millionen-Dollar-Hilfe für die Umsetzung des Friedensabkommen mit den Farc-Rebellen könnte gefährdet sein.

Die Kosten für Forschung und Entwicklung sollen transparent werden

Eine weitere Empfehlung des Panels ist es, ein rechtsverbindliches internationales Abkommen auszuhandeln, das – ergänzend zum Patent-System – die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln durch staatliche Gelder für jene Bereiche ermöglichen würde, welche die Pharmaindustrie wenig interessiert.

Das forderten Experten bereits 2006 und 2008. Die Industrieländer stellten sich jedoch dagegen. Das Panel schlägt vor, dass Regierungen als Vorbereitung für Verhandlungen über ein solches Abkommen zunächst über einen Kodex von Grundsätzen für die medizinische Forschung und Entwicklung beraten.

Weiter empfehlen die Experten des Panels mehr Transparenz bei der Preisgestaltung von Medikamenten. Von den Pharma-Unternehmen fordern die Experten, in ihren Geschäftsberichten über ihre Kosten für die Forschung und Entwicklung von Medikamenten informieren.

Novartis und Roche lassen in die Preisgestaltung blicken

Der Pharmakonzern Novartis etwa hat gemäss Geschäftsbericht 2016 insgesamt 9 Milliarden Dollar für die Forschung aufgewendet. Der Nettoumsatz betrug 48,5 Milliarden Dollar und der Reingewinn 6,7 Milliarden Dollar. Zudem engagiere sich Novartis «seit vielen Jahren für den Ausbau des Zugangs zu Arzneimitteln und für die Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten», sagt ein Sprecher auf Anfrage.

Bei der Preisgestaltung will Novartis aufzeigen, wie der Konzern den Wert seiner Medikamente bestimmt. Berücksichtigt werden der klinische Wert (medizinische Ergebnisse), der Wert für den Patienten (z.B. höhere Lebensqualität), der Wert für das Gesundheitssystem (Vermeidung anderer Kosten) sowie der Wert für die Gesellschaft (höhere Produktivität).

Der Preis sei nur eine Hürde für den Zugang zu Medikamenten «und oftmals nicht die wichtigste», sagt die Roche.

Die Pharmaindustrie würde Patienten gerne fragen, wie viel es ihnen wert sei, ein Jahr länger zu leben, um damit unabhängig vom Nutzen kaufkraftbestimmte Preise zu erreichen, meinte dazu ein Vertreter der Gesundheitsbehörden eines westlichen Landes.

Beim Pharmakonzern Roche hiess es, der Preis eines Medikaments sei nur eine Hürde für den Zugang zu Medikamenten «und oftmals nicht die wichtigste». Um diese Hürde zu reduzieren, berücksichtige der Konzern bei der Preisgestaltung die Kaufkraft des jeweiligen Landes.

Entscheidend für die Preisbildung sei der Nutzen eines Medikaments für die Patienten und die Gesellschaft. Für den Behördenvertreter dagegen versuchen Pharmaunternehmen mit ihren Preisen maximalen Profit im jeweiligen Markt zu generieren.

Bewegung in der Diskussion

Da die Positionen zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern polarisiert sind, wird es in nächster Zeit kaum zu Verhandlungen über eine internationale Konvention kommen. Dennoch gibt es Bewegung in der Diskussion um den Zugang zu Medikamenten.

Die Entwicklungsländer wollen nicht länger zuwarten, sagte Velasquez. Die 12 Staaten der Union Südamerikanischer Nationen Unasur beschlossen im Dezember, die Empfehlungen des Panels umzusetzen, die an Regierungen gerichtet sind. «Die Idee ist, den Bericht auf nationaler Ebene zu verabschieden», sagte Velasquez.

Wenn sich die Staaten zusammenschliessen, könnten die Pharmafirmen nicht in verschiedenen Ländern unterschiedliche Preise machen. Die Länder könnten von den Firmen zudem fordern, die Zusammensetzung der Preise und der Kosten für die Produktion transparent zu machen.

Die Hoffnung auf Wettbewerb unter Generika-Produzenten

Druck auf die Pharmaindustrie gibt es auch von der WHO, die eine Diskussion über faire Renditen von Investitionen fördern will, unter Einbezug von Investmentbankern. Die WHO hat inzwischen einen Generikum-Wirkstoff von Sofosbuvir präqualifiziert.

Der Wirkstoff entspricht demnach den Qualitätsstandards und kann von Generika-Produzenten in Entwicklungsländern bezogen werden, um Pillen herzustellen. «Wenn es einen Wettbewerb unter Generika-Produzenten gibt, fallen die Preise üblicherweise», sagte Suzanne Hill, Direktorin der WHO-Abteilung für unentbehrliche Medikamente.

Auch die WHO setzt sich dafür ein, dass die Firmen ihre Kosten für die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln transparent machen. «Heute besteht kein Bezug zwischen diesen Kosten und dem Preis von Medikamenten, denn die Preise sind so hoch», sagte Hill. Was den Aktienkurs einer Firma erhöhe, sei ein Blockbuster, das bedeute eine Milliarde Dollar im ersten Jahr, sagte Hill.

Ein Teil der Forschung und Entwicklung werde jedoch oft durch öffentliche Forschungsinstitute finanziert. Aber ohne Transparenz könne nicht über die Verknüpfung der Forschung mit dem Endpreis oder über deren Entkoppelung diskutiert werden. «Es braucht nachhaltige Preise für die Gesundheit und nachhaltige Geschäftsmodelle.»

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