«Diejenigen, die das Geld am dringendsten bräuchten, profitieren am wenigsten»

Die CVP will mit einer Initiative Familien entlasten. Der Soziologe Klaus Preisner findet diese Idee gut, die Mittel seien allerdings falsch. Die Schweizer Familienpolitik stehe im internationalen Vergleich weit abgeschlagen da.

Die CVP-Initiative führt zu einer weiteren Ungleichverteilung, sagt Soziologe Klaus Preisner. (Bild: Nils Fisch)

Die CVP will mit einer Initiative Familien entlasten. Der Soziologe Klaus Preisner findet diese Idee gut, die Mittel seien allerdings falsch. Die Schweizer Familienpolitik stehe im internationalen Vergleich weit abgeschlagen da.

Klaus Preisner (37) ist Oberassistent am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Familie und Wohlfahrtsstaat.

Herr Preisner, was beschäftigt Familien in der Schweiz am meisten?

Kurz gesagt: Zeit und Geld.

Schauen wir zuerst aufs Geld: Was kann der Staat tun, um Familien finanziell zu entlasten?

Da gibt es zwei Aspekte: Erstens kann der Staat die Rahmenbedingungen für Familien verbessern und damit die Kosten von Kindern auffangen. Zum Beispiel, indem er externe Familienbetreuung subventioniert. Zweitens kann er direkte Zahlungen vergeben oder Familien steuerlich entlasten.

Die CVP will Familien mit einer Initiative steuerlich entlasten. Ist das sinnvoll?

Die Idee, Familien finanziell zu entlasten, ist gut. Weniger sinnvoll scheint mir, dass damit keine effiziente Verteilung an einkommensschwache Haushalte stattfindet.

Was ist an der CVP-Initiative nicht effizient?

Bei der gegenwärtigen Ausgestaltung scheinen diejenigen am meisten zu profitieren, die es am wenigsten nötig hätten. Die steuerliche Entlastung fällt dort am höchsten aus, wo die Einkommen am grössten sind.

«Die CVP-Initiative führt zu einer weiteren Ungleichverteilung.»

Familien mit geringen Einkommen sind in einer anderen Steuerklasse und können so in den meisten Fällen weniger über die Steuer absetzen – sie profitieren somit weniger von der Initiative, bräuchten das Geld aber am dringendsten. Im Grunde führt es zu einer weiteren Ungleichverteilung der Vermögen, zumindest würden die Gelder nicht effizient eingesetzt werden.

«Forum» des Schweizer Radios, 19.2.2015: Wer profitiert von der Familieninitiative?

Wie müsste man denn effizient entlasten?

Wir müssten uns grundsätzlich fragen: Wem wollen wir helfen? Was ist das Ziel einer sinnvollen Familienpolitik? Ein Ziel könnte beispielsweise sein, das Armutsrisiko für Familien zu verringern. Oder Familien, die in eine Notlage geraten, zu helfen.

Wie könnte man diese Ziele politisch umsetzen?

Über Steuerabzüge ist das schwierig. Ein Weg ist, das ganze Umfeld strukturell zu unterstützen. Das geht über Ausbildungen, Anbindung an den Arbeitsmarkt, Vereinbarkeit von Familie und Arbeit. Konkret: Indem man das Angebot an Kindertagesstätten ausbaut, Tagesschulen einrichtet oder eine längere Elternzeit finanziert. Darüber hinaus sollten Familien mit geringen und moderaten Einkommen gezielt unterstützt werden.

Sie meinen grundsätzlich über Kinderzulagen?

Die Kinderzulagen funktionieren nach dem Giesskannen-Prinzip – es wird unabhängig vom Einkommen flächendeckend an Eltern verteilt. Ein kleiner Betrag wird also an sehr viele Personen verteilt. Für Eltern mit hohem Einkommen ist das ein Tropfen auf den heissen Stein, für Eltern am Existenzminimum ist es hingegen teilweise lebensnotwendig. Der Staat zahlt insgesamt eine sehr hohe Summe, erzielt damit aber nur einen geringen Effekt.

«Die Kinderzulagen in der heutigen Form sind kein effizientes Mittel zur finanziellen Entlastung von Familien.»

Sinnvoller wäre, einen höheren Betrag gezielt an wenige Empfänger zu bezahlen. Die Kinderzulagen in der heutigen Form sind deswegen kein effizientes Mittel zur finanziellen Entlastung von Familien. Grundsätzlich sind gezielte Kinder- oder Familienzulagen jedoch eine Möglichkeit.

Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich in puncto Familienfreundlichkeit?

Beim Thema Elternzeit ist die Schweiz im internationalen Vergleich noch weit abgeschlagen. Ein Vater erhält gerade mal einen Tag, wenn sein Kind auf die Welt kommt. In Deutschland können sich Mutter und Vater bis 14 Monate gemeinsam an Elternzeit aufteilen. Die Schweiz steht wirtschaftlich gut da. Gemessen an den Möglichkeiten, die das Land hat, könnte man also mehr daraus machen. In anderen Bereichen hat sich in den letzten Jahren hingegen einiges getan, etwa beim Ausbau der familienexternen Kinderbetreuung.

In ländlichen Regionen, zum Beispiel im Oberbaselbiet, sind die Betreuungsangebote noch wenig fortgeschritten.

Dafür konnte das Angebot in den Städten deutlich ausgebaut werden. Die Nachfrage beispielsweise in Zürich ist trotz Ausbau noch sehr gross – dies gilt insbesondere für subventionierte Plätze. Der Ausbau sollte jedoch Stück für Stück erfolgen, zu viel Aktionismus kann die Qualität der Betreuung gefährden.

Kommen wir zurück zur CVP-Initiative. Befürworter argumentieren, wenn man Familienzulagen von der Steuer befreit, könnte auch die Geburtenrate steigen. Stimmt das?

Der Effekt von solchen finanziellen Anreizen auf die Geburtenrate ist äusserst gering – wenn überhaupt messbar. Paare revidieren selten ihre Entscheidung für oder gegen Kinder, wenn sich die ökonomischen Faktoren geringfügig ändern.

Ist die Geburtenrate über andere Faktoren steuerbar?

Der internationale Vergleich zeigt: Wenn die Rahmenbedingungen für Familien – etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – besser sind, erhöht sich die Geburtenrate tendenziell. Grosse Effekte sind jedoch auch hier nicht zu erwarten. Allerdings kann das Leben von Eltern und Kindern so erheblich erleichtert werden – und das ist doch auch ein grosser Erfolg.

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SF-«Arena» zum Thema Familieninitiative, 13.2.2015:

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