Am Leonhards-Gymnasium in Basel wird die Uniform der «Dummen und Faulen» womöglich verboten. Das wäre alles andere als klug, wie ein Blick in den Urschlund des Trainerhosen-Looks deutlich macht. Ein Korrespondentenbericht aus Polen.
Am Basler Leonhards-Gymnasium soll den Schülerinnen und Schülern das Tragen von Trainerhosen verboten werden. Wie die «bz Basel» berichtet, sorgt der «aus Osteuropa importierte Stil» für Ärger unter den Lehrpersonen. Die Kluft werde noch immer «mit den Faulen und Dummen» in Verbindung gebracht. Vor diesem Signal, das ein Trainerhöseler eben aussendet, sollte man die Jugend doch schützen, glauben manche Lehrer. Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus der Schülerschaft nimmt sich deshalb des Problems an.
So es denn ein Problem ist. Die TagesWoche verfügt (natürlich!) über einen Mode- und Textilkorrespondenten, der sich gegenwärtig im Süden Polens, genauer in Krakau, aufhält. Das ist nicht zwingend Osteuropa, aber mit Sicherheit östlich der Schweiz und somit hautnah am Urschlund der vermeintlich miesen Kleidersitte. Was der Experte vor Ort beobachtet, wirft ein völlig neues Licht auf die drängenden Fragen: Zeugen Trainerhosen wirklich von schlechtem Stil? Und: Wird diese Hose bevorzugt von bildungsfernen Schichten getragen?
Camouflage ist Trumpf
Nun, sollte der Wind je aus dieser Ecke geblasen haben: Er hat gedreht. Wer hier provozieren will, trägt aktuell Camouflage. Mann gerne in Vollmontur, also Jacke wie Hose, Frau bevorzugt hüftaufwärts, dafür garniert mit Tasche und Clutch im Militärfarbenlook.
Verzweifelte Versuche der kritischen linken Kunstszene, den Adiletten-Schlabberlook weiterhin mit den Vorstadt-Losern zu überblenden, sind nur noch Ausdruck überheblicher Kulturonanie. Mit der Realität haben diese Bilder wenig zu tun:
Der Ausflug der polnischen Schriftstellerin Dorota Masłowska in die Popkultur lässt es bereits vermuten: Die Trainerhose hat hier mit ironischem Wimpernschlag die Seiten gewechselt und ziert jetzt die schlaksigen Stelzen veganer Krakau-Hipster. So lässt sich beispielsweise der stadtbekannte Theaterkritiker und Universitätsdozent M.S. vorzugsweise in Trainerhosen blicken. Ob vor brechend vollem Auditorium oder im Theaterfoyer, spielt dabei keine Rolle.
Gerne blickt er triumphierend an sich herunter und sagt: «Assi oder? Aber ich darf das. Ich habe einen Doktortitel.»
Trainerhose: Die Captatio benevolentiae des 21. Jahrhunderts
M.S. bedient sich einer einfachen Strategie, die auch bei den mutmasslich schmuddeligen Leonhard-Kids zur Anwendung gelangen mag. Äusserlich tief stapeln, geistig nach den Sternen greifen. Wer im stilistischen Tiefflug erst einmal das Mitleid seiner Mitmenschen erregt hat, provoziert mit klugen Aussagen einen grösseren Knalleffekt. Ein uraltes Manöver, das als Captatio benevolentiae (zu Deutsch: Erheischen des Wohlwollens) schon in der antiken Dichtung zum Einsatz kam.
Zurück zu M.S.
Als Repräsentant der jungen polnischen Intelligenzija zeugt der Mut zum Untergriff in die Klamottenkiste von einer Selbstironie, die in Zeiten zunehmender Eliteskepsis im populistisch geprägten Polen nur zu bewundern ist. Darum ist der Versuch, durch den Volks-Look Hierarchien einzuebnen, natürlich auch eine Abwehrstrategie mit dem Ziel, sich bloss nicht als Vertreter ebendieser Eliten erkennen zu geben.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Trainerhose einst zum Schutzschild der Kosmopoliten vor dem beisswütigen, rassistisch-homophoben und stockkonservativen Pöbel werden würde?
Im Osten machen sie die Trainerhose gerade «great again». Dem Trend nicht zu folgen wäre für die Schweiz fatal.
Die Maskerade misslingt allerdings. Die Trennung der Schichten bleibt. Während draussen die echten Prolls inzwischen in Tarnfarben durch den Stadtdschungel schleichen, verkleiden sich die Eliten hinter den Fassaden der Denkfabriken als die imaginierten Prolls des Westens. Und fliegen selbstverständlich auf. Schon husten es die «Faulen und Dummen» auf der Strasse: «Haste Abi in der Tasche, trägste Adidas, du Flasche.»
Die Trainerhose ist also alles in allem als mehrfach codierte Garderobe zu betrachten. Sie ist gleichzeitig Ausdruck kritischer Selbstreflexion, ein Signal gesellschaftlicher Solidarität und – last but not least – die einfachste Möglichkeit, unkontrollierbare jungmännliche Erektionen zu kaschieren. Genau so wird sie hier «im Osten» getragen, und das sollte auch bei uns in Basel wertgeschätzt werden und in Würde erlaubt sein.
Und dann noch dies: Im Osten machen sie die Trainerhose gerade «great again». Dem Trend nicht zu folgen wäre für die Schweiz fatal. Denn in Zeiten wie diesen auf dem Fortschrittlichkeits-Index hinter Polen zu rangieren, zeugt in der Tat von schlechtem Stil.
Was glauben Sie, in welcher Kluft diese Zeilen verfasst wurden? Genau. (Bild: Daniel Faulhaber)
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Auch das noch – die TagesWoche-Rubrik fürs Schöne, Schräge und Fiese. Immer mit einem 😉 zu verstehen.