Diktatur der Idioten

Ob es nun militante Anarchos, gierige Manager, randalierende Ultras oder renitente Asylbewerber sind: Unsere Gesellschaft wird von aggressiven Minderheiten dominiert. Die Politik reagiert ohnmächtig – und mit immer mehr Repression.

Die Minderheit bestimmt mit ihrem aggressiven Auftreten den politischen Diskurs – und damit die Gesellschaft. (Bild: Nils Fisch)

Ob es nun militante Anarchos, gierige Manager, randalierende Ultras oder renitente Asylbewerber sind: Unsere Gesellschaft wird von aggressiven Minderheiten dominiert. Die Politik reagiert ohnmächtig – und mit immer mehr Repression.

Eine Minderheit von tumben, militanten Anarchos in Ralph-Lauren-Jäckchen liefert sich in Bern eine Strassenschlacht mit der Polizei, schlägt Scheiben zu Bruch, plündert Geschäfte. Die Idioten in Kapuzenpullovern bestimmen den Diskurs über «Tanz dich frei», haben mit ihren Steinen und Petarden die friedlich feierende Mehrheit der Jugendlichen in ihre Geiselhaft genommen. Oder wie es Christoph Lenz in einem lesenswerten Kommentar im «Bund» schreibt: «Am Samstag hat eine im Kern sympathische Jugendbewegung ihre Unschuld verloren, auf hässlichste Art und Weise.»

Die militante Minderheit bestimmt nicht nur die Art und Weise, wie über die eigentliche Bewegung geredet wird, sie bestimmt auch die Reaktion darauf. Noch bevor die letzten Scherben in Bern zusammengekehrt waren, standen schon die ersten Rücktrittsforderungen im Raum. Die Berner Regierung traf sich zu einer Sondersitzung, die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eröffnet und klar ist zu Wochenbeginn: Eine Veranstaltung wie «Tanz dich frei» wird es in dieser Art nicht mehr geben.

Gewalttätig, aggressiv

Die Idioten der Berner Samstagnacht sind nur die letzten in einer ganzen Reihe, die mit ihrem gewalttätigen, aggressiven Verhalten den politischen Diskurs und damit über die restliche Gesellschaft bestimmen.

Die beste Analogie dazu findet sich im Fussball. Seit Jahren bestimmen dort ein paar wenige aggressive Krawallmacher, wie mit allen Fans umgegangen wird. Die Ausschreitungen vom Cupfinal am Pfingstmontag boten den Behörden einmal mehr den geeigneten Anlass, die Kollektivstrafe namens «Hooligan-Konkordat» mit der Minderheit von Idioten zu rechtfertigen.

Im Ausländerbereich, in der Wirtschaft

Dieser Mechanismus ist allerdings nicht auf gewalttätige Anarchos oder Nachwuchs-Ultras beschränkt. In der Ausländerfrage bestimmt eine Minderheit von renitenten Asylbewerbern mit ihrem Verhalten die Behandlung der Mehrheit der Flüchtlinge. Kurz vor der Abstimmung über das verschärfte Asylgesetz stellt das auch die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen (EKR) fest: «Die EKR beobachtet seit längerem die politische Debatte über die stetigen Verschärfungen im Asylgesetz. Diese ist geprägt von einer Konzentration auf den sogenannten ‚Asylmissbrauch‘, von einer Fokussierung auf ‚Renitente‘.»

Die im Moment laufende Debatte über Verteilungsgerechtigkeit läuft nach dem gleichen Muster. Es ist eine kleine Gruppe von raffgierigen Managern, die eine Mehrheit der Gesellschaft dazu drängt, unser gesamtes Wirtschaftssystem infrage zu stellen. Mit ihren unverschämten Boni und ihrer arroganten Art bestimmen diese Manager das Image einer in weiten Teilen gut funktionierenden und Wohlstand generierenden Wirtschaft. Sie sind schuld daran, wenn das Wort «Unternehmer» einem Schimpfwort gleichgesetzt wird, wie GC-Präsident André Dosé im Interview mit der TagesWoche sagte.

Der Unterschied zu früher ist die medial grössere Öffentlichkeit. Es bleibt keine Zeit mehr für Analyse, für einen ruhigen Gedanken.

Es würde zu weit gehen, zu behaupten, das sei eine total neue Entwicklung. Bei umwälzenden Veränderungen in der Gesellschaft waren es immer Minderheiten, die mehr oder minder radikal, mehr oder minder blutig, die Mehrheit auf ihre Seite zwangen. Der Unterschied zu früher ist die medial grössere Öffentlichkeit dieser Ereignisse und der damit einhergehende Druck auf die Entscheidungsträger. Es bleibt keine Zeit mehr für Analyse, für einen ruhigen Gedanken. Die Medien als «Echokammer der Massenhysterie», wie das der «Guardian» nach dem Mord an einem Soldaten in Woolwich genannt hat, drängen die Politik zu immer schnelleren und unüberlegteren Reaktionen: Möge nur etwas passieren, sofort, egal was.

Hyperventilierende Medien

Unsere mangelnde Frustrationstoleranz, gepaart mit hyperventilierenden Medien, ist schuld daran, warum wir trotz einer bürgerlichen Mehrheit immer etatistischer werden. Der Staat soll sich mit den Idioten beschäftigen, sie entfernen, sie unsichtbar und uns wieder sicher machen. Der Staat und die ihn repräsentierenden Politiker reagieren auf die Forderung nur konsequent: mit mehr Repression. Mit mehr Repression für alle. Der Zeitgeist erlaubt diese Repression und fördert sie.

Verschärfte Hooligan-Konkordate, verschärfte Asylgesetze, verschärfte Überwachung des öffentlichen Raumes und des Internets, verschärfte Regeln für die Wirtschaft – die Gesellschaft beschränkt ihre eigene persönliche Freiheit ohne zu zögern und mit grosser Mehrheit. Aufgeschreckt und eingeschüchtert durch die medial in Übergrösse aufgeblasene Macht der militanten Idioten vergisst der Rest der aufgeklärten Gesellschaft ihren Kern und ihr Selbstverständnis. Sie vergisst ihre Vernunft.

Quellen

Kommentar im «Blick».

Kommentar im «Bund».

Medienmitteilung der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen.

Artikel zum Mord in Woolwich im «Guardian».

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