Doppelte Zugehörigkeit? Passt schon

Die aufgeregte Debatte um den Albaner-Adler an der WM hat ihr Gutes: Die Schweiz wird sich einmal mehr bewusst, wie bunt und vielfältig nicht nur ihre nationale Equipe zusammengesetzt ist.

Auf der linken Ferse die Schweiz, rechts der Kosovo: Xherdan Shaqiris Fussballschuhe.

Es fällt schwer, den wirklich wichtigen Vorgängen in der Welt, insbesondere den Wahlergebnissen in der Türkei, Trumps Kinderkäfigen an der mexikanischen Grenze, dem Krieg in Jemen und dem europäischen Gipfel zur Flüchtlingspolitik die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, während in Russland Fussball gespielt wird.

In allen Blättern und auf allen Kanälen rollt uns der Ball entgegen. Medienarbeiter sind nicht weniger im Einsatz als die Heroen auf dem Rasen. Das gilt ansatzweise auch für das Team der TagesWoche.

Der Mannschaftskapitän macht mit

Die exaltierte Aufmerksamkeit, die einer Fussball-WM ohnehin schon entgegengebracht wird, hat wegen der umstrittenen Geste zweier Schweizer Nationalspieler mit kosovarischen Wurzeln eine zusätzliche Steigerung erfahren. Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri machten, nachdem sie ihre schönen Tore gegen die serbische Nationalmannschaft geschossen hatten, eine umstrittene Geste, die den albanischen Doppeladler symbolisieren soll. Dieses Zeichen ging über das männliche Primatenverhalten hinaus, das mittlerweile beim Erzielen eines Tors beinahe unerlässlich geworden ist.

Warum machte Stephan Lichtsteiner als Dritter im Bunde die gleiche Geste? Für den im luzernischen Adligenswil geborenen Mannschaftskapitän dürfte dies schlicht ein Zeichen der Sympathie und Solidarität mit dem ersten Torschützen gewesen sein. Sofort kam in den sozialen Medien die – allerdings nicht ernst gemeinte – Frage auf, ob eventuell seine im schweizerischen Namen nicht sichtbare Mutter irgendwelche Wurzeln hat, die sein Verhalten erklären könnten.

Die kurze Jubel-Geste im Stadion von Kaliningrad findet inzwischen zeitlich völlig unlimitiert in allen Medien weiterhin statt. Mittlerweile dürften alle sie gesehen und ernsthaft oder auch nur ironisch kommentiert haben. Witzbolde, die es immer gibt, machten aus dem albanischstämmigen Doppeladler ein Basler Dybli oder einen Vogel Gryff  oder wiesen darauf hin, dass die Gemeinde Einsiedeln ebenfalls eine Art von Doppeladler in ihrem Wappen trage.

Man hätte die Witzelei noch weitertreiben können und das weiss-rote, allerdings einköpfige Adler-Wappen von Eintracht Frankfurt mit einbeziehen können.

Eine kleine Wappenkunde

Doch Adler ist nicht immer gleich Adler. Das albanische Exemplar geht wie manche andere Vögel der ähnlichen Spezies auf eine alte Tradition zurück. Man findet diesen sonderbaren Vogel beispielsweise in Byzanz, der Doppelkopf tritt als Verkörperung des dualen Prinzips auch in der Selbstdarstellung der österreichischen K.-u.-K.-Monarchie auf.

Hätten die Fussballer explizit ihre kosovarische Heimat würdigen wollen, hätten sie – was allerdings mit einer Handgeste schlecht visualisierbar wäre – das 2008 bei der Staatsgründung eingeführte Wappen mit den territorialen Umrissen auf blauem Grund und den Sternen der sechs Ethnien signalisieren müssen.

Der albanische Adler auf rotem Grund aber steht für die gegen Serbien erkämpfte Unabhängigkeit und auch für die Idee eines ethnisch definierten Grossalbaniens. Beides ist für Serbien, das übrigens ebenfalls einen Doppeladler im Wappen führt, verständlicherweise in doppeltem Sinn ein rotes Tuch – also eine Provokation.

Von Xherdan Shaqiri heisst es, dass er seine doppelte Identität mit der Markierung seiner Fussballschuhe zum Ausdruck bringe, auf dem linken Schuh prange die Schweiz, auf dem rechten Schuh die Flagge des Kosovo. Das Tor im Match gegen Serbien hat er aber mit dem linken Fuss bzw. Bein geschossen.

Dabei sollte man nicht übersehen, dass auf den weissen Socken ein Schweizerkreuz und der Puma der Ausstattungsfirma zu sehen sind.

«Wie viel Schweiz steckt in der Mannschaft?»

Dramatisch sind solche Nebengeräusche nicht, sie gehören zum multikulturellen Fussballbetrieb unserer Zeit. Unnatürlich ist vielmehr die Vorstellung von klinisch reinen Nationalmannschaften. Es tut auch der Schweiz gut, dass sie sich einmal mehr bewusst wird, wie ihre nationale Equipe zusammengesetzt ist: aus einer bunten Mannschaft mit unterschiedlichen «Wurzeln» und verschiedensten Auslandbindungen im gewöhnlichen Fussball-Alltag – vor und nach den punktuellen Treffen im nationalen Trikot.

Noch vor dem Adler-Intermezzo hatte ein gewisser Roger Köppel in seinem «Weltwoche»-Editorial zu verstehen gegeben, dass ihm die aktuelle Zusammensetzung der Nationalmannschaft arg missfällt. Für ihn gibt es in seiner rassistisch angehauchten Welt, roter Pass hin oder her, Schweiz-Schweizer, Kosovo-Schweizer und Afrika-Schweizer.

Er bedauert, dass sich die Frage verbiete, und fragt trotzdem oder erst recht, «wie viel Schweiz in dieser Schweizer Mannschaft denn überhaupt noch drinsteckt». Trainer Petkovic («Bosnien-Kroate») nable sich mit seiner «fast inländerfreien Multikulti-Balkan-Truppe» von der Schweiz ab.

Der Schweizer Sport- und der Aussenminister zeigten erfreulich viel Verständnis für das Verhalten der Fussballhelden.

In der seit vergangenem Freitag heiss laufenden Diskussion gaben sogar der Sport- und der Aussenminister der Schweiz ihre Einschätzungen ab. Beide Bundesräte zeigten erfreulich viel Verständnis für das Verhalten der beiden Fussballhelden. Selbst SVP-Magistrat Guy Parmelin stellte sich als Sportminister hinter oder vor seine nationalen Sportgrössen. Zudem erklärte er, was man aus SVP-Mund selten zu hören bekommt, dass die Schweiz stolz auf ihre Vielfalt aus Sprachen, Kulturen und Meinungen sei und dass diese sie stark mache.

Aussenminister Ignazio Cassis (FDP), als Immigrantensohn mit italienischen «Wurzeln» selber mit der Problematik der Doppelidentität vertraut, erklärte: «Ich zweifle nicht, dass man patriotische Emotionen für die Nation empfinden kann, die einen aufgenommen hat, ohne sein Heimatland zu vergessen.»

Sozusagen eine Stufe tiefer konnten sich andere Stimmen – gefragt oder ungefragt – ebenfalls zum Vorfall äussern. Mehrheitlich ablehnend waren erwartungsgemäss die Stimmen derjenigen Partei, die sich stets gegen Doppelstaatsbürgerschaften äussert und nicht begreift, dass sich Identitäten aus verschiedenen Verbundenheiten zusammensetzen. SVP-Nationalrätin Natalie Rickli twitterte: «Die beiden Goals sind nicht für die Schweiz gefallen, sondern für den Kosovo».

Ähnlich tönt es natürlich auch beim mental sehr schweizstämmigen Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner: Xhaka und Shaqiri seien in der Schweizer Nati am falschen Ort, falls sie diese unprofessionelle politische Provokation absichtlich inszeniert hätten.

Noch enger zusammengeschweisst

Das Erfreuliche an diesem Ereignis: Nochmals eine Stufe tiefer können wir alle eine Meinung haben, zur Sache selbt sowie fast noch mehr zu bereits Gesagtem. Entweder mit wohlformulierter Begründung oder einfacher per Umfrageklicks, die uns das Reden und Schreiben ersparen. 

Etwa zur Einschätzung des Präsidenten der Schweizer Profispieler-Vereinigung: «Wir erachten den Torjubel als absolut legitim. Das ist weder ein politisches Statement noch eine Respektlosigkeit gegenüber dem Gegner», erklärte Lucien Valloni gegenüber dem «Blick». «Vielmehr stellt dies einzig und allein die Freude dar, auch Albaner zu sein, und dies wird mit einer einfachen kreativen Geste respektvoll zur Schau getragen.»

Das Faszinierende an diesem Vorkommnis besteht darin, dass sozusagen alle etwas dazu zu sagen haben und dabei etwas sagen, was ihnen aufgrund ihrer Einstellung wichtig erscheint: 

  • Dass man solche Auslassungen zum Schutze des Sports nicht tolerieren soll oder dass man tolerant sein und für die besondere Situation dieser Spieler Verständnis aufbringen soll etc.; 
  • dass die FIFA eine Auslosung, die ein Aufeinandertreffen dieser  Mannschaften möglich machte, gar nicht hätte zulassen dürfen etc.;
  • dass der Schweizerische Fussballverband die Nationalmannschaft mit politischem Coaching besser auf dieses Treffen hätte vorbereiten sollen etc.

Die verhängten Strafbeträge haben wie die Doppeladler-Gesten symbolischen Charakter.

Die Fifa-Disziplinarkommission ist inzwischen einen mittleren Weg gegangen, hat von einer an sich in Betracht gezogenen Sperrung der Spieler abgesehen, Xhaka und Shaqiri aber Bussen von 10’000 Franken und Lichtsteiner eine von 5000 Franken aufgebrummt und an das Disziplinarreglement erinnert. 

Zum Zug kam § 57 des Disziplinarreglements wegen Verletzung der Fairplay-Regeln. Die verhängten Strafbeträge sind in Anbetracht der Einkommen der Bestraften lächerlich, aber sie haben (wie schon die vorangegangenen Doppeladler-Gesten) symbolischen Charakter. 

Und wenn man auf die Erklärungen der Mannschaftssprecher abstellen kann, hat der ganze Zwischenfall das Team noch enger zusammengeschweisst und für den nächsten Match noch stärker gemacht.

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