Über 1400 Nierenkranke warten derzeit in der Schweiz auf ein neues Organ, und die Zahl steigt jährlich. Für Claudia Gerber hatte das Warten im vergangenen Herbst ein Ende.
«Morgens um drei Uhr kam der Anruf», sagt Claudia Gerber*. «Mir wurde mitgeteilt, dass eine passende Niere für mich gefunden worden sei. Der Arzt fragte nach, ob ich gesund sei und ich die Operation machen möchte.»
Claudia Gerber sagte zu. Dann wurde sie gefragt, ob es ihr reiche, bis um vier Uhr morgens im Spital zu sein.
Nach der Aufnahme im Spital wurde Gerber auf die Operation vorbereitet. Es wurde ihr noch einmal eine Blutprobe entnommen, um zu überprüfen, ob die Spenderniere auch wirklich kompatibel sei.
Nach der Operation funktionierte die Niere noch nicht, da sie in einem Schockzustand war – was öfter vorkommen und von ein paar Tagen bis zu ein paar Wochen dauern kann. Bei Claudia Gerber dauerte es vier Tage, bis die Niere ihre Arbeit aufnahm. In dieser Zeit musste sie noch zwei Mal an die Dialysemaschine angeschlossen werden, um Wasser und Giftstoffe zu entfernen, die sich nach der Operation in ihrem Körper angesammelt hatten.
Die Krankheit kommt zufällig
Die Krankheitsgeschichte von Claudia Gerber begann im Herbst 2011 mit «üblen Kopfschmerzen» und Müdigkeit in den Beinen. Bis dahin hatte sich die damals 42-Jährige völlig gesund gefühlt. Die Abklärungen im Universitätsspital Basel ergaben, dass beide Nieren ausgefallen waren.
Die Krankheit, die dafür verantwortlich war, heisst IgA-Nephritis. Eine Erkrankung, bei der die Nierenkörperchen von einer Entzündung betroffen sind. Diese Körperchen, eine Art Mini-Kläranlage, sind die kleinste funktionelle Einheit der Nieren. Sie filtern das Blut bis zu 300 Mal am Tag. In diesem Fall wurden die Nierenkörperchen von sogenannten IgA-Proteinen verstopft. Normalerweise zirkulieren diese im Blut und bekämpfen Krankheitserreger. Einmal in der Niere abgelagert, sind diese Proteine verheerend. Sie lösen eine Kaskade von entzündlichen Prozessen aus, sodass die Nieren daran zugrunde gehen.
Wie die Krankheit entsteht, ist unklar. Auch die Therapie ist wenig erforscht. Heute versucht man, den Verlauf der Krankheit mit Kortison und blutdrucksenkenden Mitteln zu beeinflussen. Bei rund jedem dritten Patienten erholen sich die Nieren nicht wieder.
Ein Leben an der Maschine
In Claudia Gerbers Familie gab es niemand, der eine kompatible Niere gehabt hätte. Ihr blieb bis auf Weiteres nur eine Nierenersatz-Therapie. Sie entschied sich für die Hämodialyse. Die sogenannte Bauchfelldialyse – ein alternatives Verfahren, bei dem die innere Bauchhaut als Filter benutzt wird – war keine Option für sie. «Ich wollte kein Fremdmaterial in meinem Körper und auch keinen Schlauch am Bauch. Auch wäre mehrmals am Tag die Durchführung der Dialyse nötig gewesen. Ich wollte, dass mein Zuhause möglichst wenig mit meiner Krankheit zu tun hat.»
Schweizweit sind gegenwärtig rund 5000 Patientinnen und Patienten auf die Hämodialyse angewiesen. Sie alle müssen drei Halbtage pro Woche in einem nahegelegenen Dialysezentrum verbringen und ihr Blut durch eine Maschine fliessen und reinigen lassen. Wie viel Zeit diese Prozedur benötigt, begriff Gerber erst, als sie knapp drei Jahre später durch die Transplantation davon befreit wurde: «Plötzlich hatte ich wieder so viel Zeit und konnte spontan in die Ferien reisen.»
«Ich kenne viele, die wegen ihrer Krankheit den Job verloren haben oder nicht mehr arbeiten können.»
Die Hämodialyse verlangt den Behandelten einiges an Diszplin ab. Die Trinkmenge muss streng reguliert werden. Mehr als einen Liter Wasser pro Tag lagen bei Claudia Gerber nicht drin. «Man macht im Kopf ständig eine Trinkrechnung.» Trinkt eine gesunde Person Flüssigkeit, geben die Nieren diese bereits Minuten später kontinuierlich in die Harnblase ab. Bei Nierenkranken dagegen staut sich die überschüssige Flüssigkeit an und belastet das Herz, was sich unter anderem als Luftnot bemerkbar macht.
Auch die Salzzufuhr muss auf ein Minimum reduziert werden, und – vielleicht die grösste Herausforderung – Ferien, Feier- und Geburtstage sowie Arbeitszeiten müssen mit den Dialyse-Terminen koordiniert werden. Gerbers Arbeitgeber kam ihr entgegen, sie konnte ihr Pensum reduzieren. «Nicht alle haben so viel Glück», sagt sie: «Ich kenne ein paar Leute, die wegen ihrer Krankheit den Job verloren haben oder nicht mehr arbeiten können.»
Zurück im Leben
Der medizinische Teil ihres Lebens beschränkt sich seit der Transplantation auf Kontrolltermine und Medikamente, die ihr Immunsystem so weit beeinflussen, dass es das fremde Organ nicht angreift. Bei der letzten Untersuchung stellte man eine leichte Abstossung fest. Daraufhin wurde die Dosis des Kortisons vorübergehend erhöht. Nebenwirkungen bemerkt sie bisher keine.
Wie fühlt es sich an, ein fremdes Organ in seinem Körper zu haben? «Darüber mache ich mir kaum Gedanken», sagt Claudia Gerber. Nur manchmal spürt sie die transplantierte Niere noch, sie nennt sie dann liebevoll «meine Neue».
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* Claudia Gerber heisst eigentlich anders und wollte anonym bleiben: «Die Krankheit ist zwar Bestandteil meines Lebens, doch ich wollte nie darauf reduziert werden. Deshalb wissen nur meine engsten Vertrauten darüber Bescheid.»