Herausgefordert im 2013: Basels Kulturchef Philippe Bischof muss der Regierung bis im kommenden Herbst einen neuen Theaterdirektor präsentieren. Kein leichtes Unterfangen für die achtköpfige Findungskommission, in der Bischof mitwirkt – denn das Theater befindet sich in einer Formkrise.
Seit der Basler Theaterdirektor Georges Delnon im vergangenen September seinen Weggang an die Hamburger Staatsoper bekannt gegeben hat, laufen hinter den Theaterkulissen die Vorbereitungen für die Nachfolge auf Hochtouren. Obwohl Delnon noch bis Sommer 2015 in Basel wirkt, bleibt für die achtköpfige Findungskommission wenig Zeit (Namen der nach Erscheinen dieses Beitrags bekannt gegebenen Kommissionsmitglieder, siehe Download auf der Rückseite dieses Artikels).
Bereits im Herbst 2013 soll die Wahl des neuen Intendanten oder der neuen Intendantin von der Basler Regierung abgesegnet werden, sagt Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur Basel-Stadt. «Die Vorbereitung einer Intendanz bedingt etwa zwei Jahre Vorlauf, damit die Direktion entsprechende Engagements von Regisseuren und Darstellern machen, das künstlerische Leitungsteam bilden und einen interessanten Spielplan entwickeln kann.»
Das liebe Geld
Zusätzliche Brisanz erhält das Auswahlprozedere durch die Geldfrage. Im kommenden Jahr laufen die Verhandlungen über die neue Subventionsperiode an: Diese beginnt mit der Saison 2015/16 – just zum Start des neuen Intendanten.
Diese eher ungünstige Situation erinnert an den Start von Georges Delnon vor sechs Jahren, als Basel-Stadt die Subventionen spürbar gekürzt hatte. Ob dem Theater und dem neuen Direktor dasselbe Los droht, ist derzeit noch offen. «Finanzprognosen zu machen steht mir nicht zu», sagt Philippe Bischof. «Aber das Theater Basel braucht die gegenwärtige Subvention, daher gehe ich nicht von Kürzungen aus.»
Künstlerisches Formtief
Auf den neuen Direktor oder die neue Direktorin wartet auch im künstlerischen Bereich ein hartes Stück Arbeit. Denn das Theater leidet unter inhaltlicher Formschwäche, was sich auch in den Publikumszahlen spiegelt: Rund 165’000 zahlende Zuschauer fand das Theater Basel in der vergangenen Spielzeit noch, das ist das drittschlechteste Ergebnis in der Geschichte des Dreispartenhauses. Am schlechtesten schneidet das Schauspiel ab, das noch eine Publikumsauslastung von 47 Prozent erreicht.
Unzufriedene Theaterbesucher werfen den Schauspielverantwortlichen Fehler bei der Inhaltsplanung vor. Manche monieren, dass das Theater zu abgehoben sei und am Publikumsgeschmack vorbeiprogrammiere. Andere kritisieren, dass das Schauspiel zu wenig schnell auf gesellschaftliche Fragen reagiere und zu wenig regionalen und Schweizbezug hat.
Was muss der oder die Neue können?
Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die neue Direktion, die laut Bischof «viele Qualitäten vereinigen muss, woraus sich ein sehr anspruchsvolles Profil ergibt». In der Tat, wie ein Auszug aus dem Anforderungskatalog zeigt:
- «Gesucht wird eine künstlerisch prägende Persönlichkeit mit hohen Managementfähigkeiten und einer theatralen Vision.»
- «Wir suchen eine Person, die überraschende Ideen hat, voller kreativer Fantasie ist und diese überzeugend umzusetzen weiss.»
- «Sie/er muss zeitgemässes Theater in drei Sparten machen, das von höchster Qualität ist und beim Publikum auf Resonanz stösst.»
- «Sie/er muss sich intensiv und zukunftsgerichtet mit der Region, ihren Themen und der gesellschaftlichen Rolle des Theaters auseinander setzen.»
- «Wichtig ist die gute Führung des Hauses nach innen und aussen, ebenso die Lust und Fähigkeit der Vernetzung in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht.»
- «Die Direktion muss politisch verhandlungsgeschickt sein und aktiv Drittmittel akquirieren.»
- «Es muss eine Person sein, die sich voll und ganz für dieses Theater einsetzt, kritisch und verführerisch, eigensinnig und kommunikativ. Sie/Er muss das Theater als zentralen kulturellen Ort der Stadtgesellschaft behaupten und die jungen Generationen genau so für das Theater begeistern wie die älteren.»
Gesucht wird ein neuer Theaterdirektor, der fast alles kann, Herr Bischof: Haben Sie Probleme bei der Suche?
Die Suche hat erst begonnen und ich gehe nicht von Problemen aus. Primär geht es ja um eine hochattraktive Position an einem grossen Theater. Ich freue mich daher auf die Findungsphase. Zugleich gibt es grosse Herausforderungen inhaltlicher und teilweise auch struktureller Art, mit denen das Stadttheater heute grundsätzlich konfrontiert ist. Diesen Herausforderungen muss der oder die Neue gewachsen sein. Und die Kommission natürlich auch!
Und wie sehen diese Herausforderungen konkret aus?
Das Theater immer wieder neu und lustvoll erfinden. In einem sich rasant verändernden kulturellen Umfeld zeigen, was nur Theater kann. Das Publikum faszinieren und fordern durch Bühnenerlebnisse, die andere Medien nicht bieten können. Das Theater als politischen Ort weiter entwickeln. Das bedeutende Basler Dreispartenhaus als Einheit so gestalten, dass Schauspiel, Musiktheater und Tanz je klar profilierte Bereiche sind, die aber miteinander in engem Bezug stehen. Die Region für das Theater begeistern, die Stadt ins Theater holen und das Theater in die Stadträume tragen, die richtigen Fragen an die Gegenwart stellen. Denn Theater zieht seine Kraft aus der intelligenten Beobachtung und der Spiellust.
Das tönt ein wenig theoretisch – wie soll das genau gehen?
Das zu zeigen, liegt an der Direktion, nicht an uns. Aber das Haus muss als Ganzes eine unverkennbare Handschrift tragen. Das bedingt Aktualität, umfassende Qualität und ein intelligentes Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen und Stile. Mir gefällt der Satz von Ulrich Khuon, dem Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin: «Theater ist ein starker Trainingsplatz für Gemeinsamkeit.» Theater hat immer noch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Und es ist ein Zukunftslabor. Eine grosse Herausforderung für die Findungskommission besteht darin zu entscheiden, ob die Direktion aus dem Bereich Schauspiel, Musiktheater oder Tanz kommen soll. Und sicherlich ist es für die Findungskommission wichtig zu fragen, was ein Dreispartenhaus als Modell heute leisten kann und wohin die Zukunft der Stadttheater geht.
Wie beurteilen Sie den Zustand des Theater Basel?
Ich halte mich an die Fakten. Das Theater Basel ist wirtschaftlich in einem gesunden Zustand, das ist eine nicht zu unterschätzende Leistung, es war ja schon anders. Das ist eine beruhigende Grundlage für die Nachfolge von Delnon. Vergessen wir auch nicht, dass es zuletzt wiederholt grosse internationale Erfolge gefeiert hat in der Oper, und das Ballett läuft seit Jahren gut. Auch ist es als Institution in breiten Teilen der Öffentlichkeit gut verankert – trotz zuletzt unerfreulichem Zuschauerrückgang, der natürlich gestoppt werden muss. Wir wollen ja alle ein erfolgreiches Theater.
Man hat das Gefühl, dass das Theater nicht mehr so richtig an die grossen Zeiten anschliessen kann – wie etwa unter Horst Statkus (1978–1988) oder zu Beginn der 1990er-Jahre unter Frank Baumbauer. Es reagiert zu wenig auf die Aktualität, nimmt nicht Tuchfühlung mit den Themen der Stadt und der Region. Die Theaterleute sind auch nicht sicht- und spürbar in Basel.
Es ist nicht zu leugnen, dass das Theater Basel insgesamt einen etwas unklaren künstlerischen Eindruck hinterlässt. Das Schauspiel steht hinter dem Musiktheater zurück und war die letzten Jahre nicht auf dem Niveau, das in einem so wunderbaren Haus wie dem Theater Basel zu erwarten ist. Die Tuchfühlung mit der Stadt ist zentral wichtig, ebenso die Präsenz. Schliesslich ist Basel nach wie vor eine sehr dankbare Theaterstadt, die immer wieder richtig gepackt werden will.
Was wünschen Sie sich vom neuen Direktor?
Das Theater Basel braucht dringend wieder ein selbstbewusstes Schauspiel, das weit überregional ausstrahlt, beim Publikum wie in der Fachwelt als impulsgebend verstanden wird. Im Tanz wird es interessant sein zu sehen, welcher Stil in der Ära nach Richard Wherlock kommen wird: weiterhin Ballett oder mehr zeitgenössischer Tanz oder eine raffinierte Mischung aus beidem? Hier bin ich sehr neugierig auf die Vorschläge der Kandidatinnen und Kandidaten für die Intendanz. Das Musiktheater sollte weiterhin grosse Stoffe und unbekannte Stücke vereinen, in anspruchsvollen Inszenierungen mit tollen Sängerinnen und Sängern – da sind die Erfolge der letzten Jahre und die Sogwirkung ja unbestritten. Und die Nachwuchsarbeit in allen Sparten soll auch künftig so gut entwickelt werden wie zur Zeit. Und insgesamt wünsche ich mir viele Entdeckungen und hohe Qualität, intensive Debatten und frechen Humor.
Das Theater hat bezüglich der Zuschauerstruktur ein Nachwuchsproblem.
Das Ansprechen junger Leute ebenso wie der Einbezug migrantischer Bevölkerungskreise ist ausbaufähig und hängt meines Erachtens stark mit der Bedeutung des Schauspiels zusammen. Dem jungen Publikum gilt natürlich ein besonderes Augenmerk.
Und welche inhaltlichen Kursänderungen sind aus Ihrer Sicht dringend nötig?
All die Dinge, die ich schon erwähnt habe – aber es gibt da keine allgemeinen Rezepte. Ein Theater ist immer dann stark, wenn es sich in die Gesellschaft einmischt, ohne die Menschen zu vergällen. Theater kann wunderbar unterhalten, kann Wissen vermitteln und bilden, sofern Wirklichkeitsbezug und Fantasie, aktive Erinnerung und politisches Bewusstsein aufeinander treffen. Das Theater muss Themen behandeln, die uns beschäftigen, auch wenn wir uns über ihre Bedeutung noch nicht im Klaren sind. Theater ist weit mehr als die Abbildung der Wirklichkeit, es lebt, wenn es einen begeistert, verstört, verärgert, überrascht – nur gleichgültig darf es einen nicht zurücklassen. Das betrifft alle drei Sparten.
Artikelgeschichte
Das PDF mit den Namen der Mitglieder der Findungskommission, die am 27.12.2012 bekannt gegeben wurden, wurde auf der Artikelrückseite beigefügt.