Ein Durlips ist eine unansehnliche Futterrübe. Während Zuckerrüben eher wohlgeformt sind, haben Durlipse – oder Runkelrüben, wie man sie standarddeutsch auch nennt – etwas Verwachsenes, Schrumpeliges, manchmal fast schon Schrumpfkopfmässiges an sich. So war es denn auch nicht gerade ein Kompliment, wenn man früher jemanden einen Durlips nannte – ein Schimpfwort, das man heute nicht mehr hört.
Es ist lange her, dass ich das letzte Mal einen Durlips in der Hand hatte. Ich wüsste auch nicht, wo ich mir heute einen beschaffen könnte. Vor 50, 60 Jahren wäre es kein Problem gewesen, in unserer Region eine solche Futterrübe zu bekommen.
Die Rübe und das liebe Vieh
Damals pflanzten die Bauern nämlich Durlipse an, um sie im Herbst und Winter an das Vieh verfüttern zu können. Als später dann Silofutter und andere Tiernahrung aufkamen, verloren die Durlipse ihre Funktion und wurden nicht mehr angebaut.
Ich bin zwar nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen. Aber da wir Kaninchen hatten, gab es auf dem «Pflanzplätz» hinter unserem Haus auch ein langes Beet mit Runkelrüben.
Im Herbst wurden die Durlipse mit dem Spaten oder dem Karst ausgemacht. Wir Buben halfen mit, schnitten die Blätter ab und reinigten die Rüben von der Erde, die an den Wurzeln haften geblieben war.
Hatten wir das Beet abgeräumt, folgte für uns auf die Arbeit das Vergnügen. Wir suchten uns einen Durlips aus, der etwas hergab, und schnitten dort, wo die Blätter angewachsen gewesen waren, eine dicke Scheibe ab. Aus dieser wurde der Laternendeckel.
Dann höhlten wir die Rübe aus. Nun mussten noch Mund, Augen und Nase geschnitzt werden. Das ist bei einem Durlips leichter gesagt als getan; nicht jeder Schnitt gelang der Bubenhand wie geplant. Schlimm war das nicht: Ein solches Rübengesicht musste ja auch keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, sondern sollte mit seiner Fratze die Leute erschrecken!
Wenn der Durlipsgeist uns mit glühenden Augen ansah, waren wir mächtig stolz auf unser Werk.
Abends beim Eindunkeln zündeten wir in der ausgehöhlten Runkelrübe eine Kerze an und stellten sie auf ein Mäuerchen oder zu einem Strauch. Damit erschreckten wir zwar kaum jemanden. Aber wenn die Kerzen gespenstisch flackerten und der Durlipsgeist uns mit glühenden Augen ansah, waren wir mächtig stolz auf unser Werk.
Ich wüsste nicht, wer heute noch Durlipslaternen schnitzt. Ganz dunkel bleibt es deswegen an Herbstabenden trotzdem nicht. In den letzten Jahren befinden sich im Gefolge von Halloween Kürbislaternen auf dem Vormarsch. Mal sehen, vielleicht versuche auch ich mich gelegentlich an einer solchen. Kürbisse sind ja inzwischen bei uns überall leicht zu bekommen. Auch das war früher anders.