Ein Abend für neue Superlative

Der 22. Februar 2012 bleibt den FCB-Fans als magischer Abend in Erinnerung. Ihre Mannschaft besiegte den grossen FC Bayern München. Valentin Stocker entschied in der 85. Minute das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League.

Hätte den FCB beinahe in Führung gebracht: Aleksandar Dragovic sah seinen Kopfball von Neuer an den Pfosten abgewehrt. (Bild: sda)

Das erste von zwei «Jahrhundertspielen» (Präsident Bernhard Heusler) gegen Bayern München hat der FC Basel 1:0 gewonnen. Valentin Stockers Tor in der 85. Minute entschied das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League.

Woher all die Superlative nehmen? Gibt es denn noch welche, nachdem bereits im Dezember nach dem 2:1 gegen Manchester United alle sprachlichen Höhen erkundet worden sind? Der FC Basel spielt sein erstes Spiel in einem Achtelfinal der Champions League – und er schlägt dabei den FC Bayern München 1:0. Allein diese nackte Tatsache reicht schon, um die Dimension dieses Abends im St.-Jakob-Park verständlich zu machen.

Vielleicht hilft auch ein Zitat: «Wenn man die eigenen Chancen nicht verwertet, wird man auf diesem Niveau gnadenlos bestraft.» Es ist ein Satz, wie ihn Generationen von Schweizer Fussballern und Trainern wartenden Journalisten in Mikrofone gehaucht und in die Blöcke diktiert haben.

Ein Satz, der reserviert ist für den Kleinen, der sich doch so nahe dran fühlte am übermächtigen Gegner – und am Ende doch einsehen muss, dass die Qualität nicht ausgereicht hat. Gestern Abend war es Jupp Heynckes, der diese Worte in den Mund nehmen musste. Der Trainer der grossen Bayern.

So erwachsen war noch kein Schweizer Team

Natürlich – noch ist erst die Hälfte dieser K.o.-Runde gespielt. Noch müssen die Basler nach München in die Allianz-Arena, um ihren Vorsprung zu verteidigen. Aber zuvor darf sich das rotblaue Herz einfach freuen über den Auftritt einer Mannschaft, die so erwachsen aufgetreten ist, wie wahrscheinlich noch keine Schweizer Mannschaft vor ihr im Europacup.

Es war nicht der begeisternde Hurra-Fussball, von dem der FCB in der vergangenen Saison zu einem 3:1-Sieg bei der AS Roma getragen worden war. Nein, die Basler waren wie Goethes Fischer: Kühl bis ans Herz hinan. Wie bereits im Heimspiel gegen Manchester lauerte der FCB tief am eigenen Strafraum darauf, was der Gegner denn so bieten würde. Und versuchte dann die Schwächen der Gegenseite auszunutzen.

Aus der letzten Saison gelernt

Der Vergleich zur vergangenen Saison beweist, wie sehr diese Basler aus ihren Auftritten in der Champions League gelernt haben. Damals waren sie gegen München bereits in der 18. Minute in Führung gegangen, mussten danach aber ihrer Naivität Tribut zollen. Ein blödes Foul im eigenen Strafraum und ein Stellungsfehler bei einem Freistoss – die Bayern zogen als fröhliche 2:1-Sieger von dannen. Dem FCB blieb nur der Frust – und die Gewissheit, dass noch etwas fehlt auf diesem Niveau.

An diesem Mittwochabend aber hatte der FCB dieses gewisse Etwas. Man könnte es Realitätssinn nennen. Oder Kaltblütigkeit. Man könnte sagen, die Basler seien abgezockt gewesen. Oder einfach ein bisschen effizienter als die grossen Bayern.

Wobei Basel sein Tor über das ganze Spiel gesehen sicher nicht gestohlen hatte. Zweimal war der Ball in der ersten Halbzeit nur an die Torumrandung des Münchner Gehäuses geklatscht. Erst lenkte Goalie Manuel Neuer einen Kopfball Aleksandar Dragovics aus fünf Metern an den Innenpfosten (16. Minute). Und kaum drei Minuten später traf Alex Frei ziemlich exakt jenen Punkt an der Latte des Tores vor der Gellertkurve, an den Steinhöfer die Kugel gegen Manchester geknallt hatte.

Heiko Vogels Understatement

«Kleine Nadelstiche» nannte Heiko Vogel diese Chancen nach dem Schlusspfiff mit etwas Understatement, weil die Münchner die Anfangsphase eigentlich dominiert hatten. «Wir haben erwartet, dass sie kommen werden wie die Feuerwehr», erzählte Basels Trainer Vogel danach. Und so war es auch.

In der 2. Minute stockte dem Heimpublikum der Atem erstmals, als Gomez auf Yann Sommer zu rannte. Und kaum hatte der FCB-Keeper den Münchner Stürmer genug weit abgedrängt, da war er bereits wieder gefordert: Franck Ribéry tauchte völlig alleine vor Sommer auf. Doch der wischte den Schuss des Franzosen mit der rechten Hand weg wie eine lästige Fliege.

Es waren die ersten zwei von unzähligen starken Aktionen des Basler Torwarts. Und Vogel mag mit Superlativen manchmal etwas gar schnell zur Hand sein – aber der Bewertung seines Schlussmannes bleibt eigentlich nichts hinzuzufügen: «Zu Sommer kann ich nur ein Wort sagen: Weltklasse!»

Trotz kühler Temperaturen ein Sommertag

Schnell also war klar, was die Bayern in Basel wollten: Den Sieg. Und zwar bitte sofort. Doch je länger das Spiel dauerte, um so einfallsloser wirkte der bayrische FCB. Die Basler verteidigten konsequent und mit viel Leidenschaft und Solidarität. Joo Ho Park nahm Arjen Robben praktisch komplett aus dem Spiel. Und auf der anderen Seite tauchte Franck Ribéry zwar immer wieder mal vor dem Basler Tor auf. Aber dort war es trotz kühler Temperaturen ganz klar ein Sommertag.

Just als sich in der zweiten Halbzeit langsam beide Kontrahenten mit einem 0:0 anzufreunden schienen, gab Heiko Vogel seiner Mannschaft jene Impulse, die sie benötigte. Erst kam Valentin Stocker für Fabian Frei, dann Jacques Zoua für Xherdan Shaqiri – und prompt waren es diese beiden, die für das (vielleicht) goldene Basler Tor besorgt waren. 85. Minute, Zoua tankt sich dem Münchner Strafraum entlang, spielt steil auf Stocker. Und der vollendet flach unter Neuer hindurch.

Im Joggeli herrschte danach Feierstimmung – die bayrische Delegation ausgenommen. Präsident Uli Hoeness schnödete, der Rasen trage Mitschuld. Der habe den FC Basel bevorteilt, der sowieso «nur den langen Ball» gespielt habe. Damit bewies er für einmal nicht die besten Fussballkenntnisse. Da war Ehrenpräsident Franz Beckenbauer etwas näher an der Realität: «Es ist schon bedenklich, was hier passiert ist, weil Basel das Spiel verdient gewonnen hat.»

War «Bild» mit unter der Dusche?

Eines ist klar: In München ist die Stimmung durch diese Niederlage nicht besser geworden. Die «Bild» berichtet praktisch live von «Krach in der Bayern-Kabine» wobei nicht ganz klar ist, ob der Reporter wirklich mit unter der Dusche stand.

Trainer Heynckes jedenfalls versuchte, möglichst gelassen zu wirken. Er habe schon viele Europacup-Spiele miterlebt, erzählte er den Journalisten. Und darum wisse er, dass in einer K.o.-Runde immer ein Rückspiel auf dem Programm stand. Und dann kramte er weiter im eigenen Erfahrungsschatz: «Ich habe gegen Inter Mailand mal zuhause 0:2 verloren. Da waren die Abgesänge dann auch schon geschrieben. Und dann haben wir auswärts 3:1 gewonnen.»

Natürlich ist es München noch immer zuzutrauen, dass sie das Ding zuhause noch in die für sie richtige Richtung biegen. Aber ein wenig klangen Heynckes’ Worte nach Durchhalteparole. Nach dem berühmten Pfeifen im Walde.

Das kann dem FC Basel erst einmal herzlich egal sein. Er wird auch in München auf seine stärksten Spieler zurückgreifen können, weil keiner der gefährdeten Spieler verwarnt wurde. Und wie sehr die Basler vor Selbstvertrauen strotzen, machte noch einmal Heiko Vogel klar: «Wir haben in dieser Kampagne bewiesen, dass wir wissen, wo auswärts das Tor steht. Also sind unsere Chancen nicht schlechter geworden.» Der Basler Trainer strahlte dabei wie ein Honigkuchenpferd.

 

Champions League, Achtelfinal, Hinspiel
FC Basel–Bayern München 1:0 (0:0)
St.-Jakob-Park. – 36‘000 Zuschauer (ausverkauft). – SR Rizzoli (Italien).
Tor:
85. Stocker (Zoua) 1:0.
FC Basel:
Sommer; Steinhöfer, Abraham, Dragovic, Park; Shaqiri (83. Zoua), Huggel, Xhaka, F. Frei (66. Stocker); A. Frei (89. Cabral), Streller.
FC Bayern: Neuer; Rafinha, Boateng, Badstuber, Lahm; Tymoshchuk, Alaba; Robben, Kroos (88. Olic), Ribéry (71. Müller); Gomez.
Verwarnungen FCB:
63. Abraham (Foul).
Verwarnungen Bayern: 72. Müller (Foul), 83. Rafinha (Foul).
Bemerkungen: Basel ohne Chipperfield (verletzt), Yapi, Voser (Aufbau), Kusunga (krank). Bayern ohne Schweinsteiger, van Buyten, Breno (verletzt), Contento (Aufbau).

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