Am 17. Dezember beginnt das jüdische Channukahfest. Zu diesem Anlass haben wir die Synagoge an der Leimenstrasse besucht und uns angesehen, was die jüdische Gemeinde in Basel derzeit beschäftigt.
Das religiöse Zentrum der israelitischen Gemeinde Basels (IGB) ist ein auffallendes Gebäude an der Ecke Leimen- und Eulerstrasse. Es sieht einladend aus. Einfach hingehen und mal schauen geht aber nicht. Der Eingang ist vergittert, davor steht ein Wachmann. Man muss sich anmelden und einen Gesprächspartner nennen.
Alles andere ist dann unkompliziert. Joel Weill, Verwalter in der Synagoge an der Leimenstrasse, rückt kurz die Kippa zurecht, öffnet die Tür und geht zum Lichtschalter. Von innen sieht das jüdische Gotteshaus gar nicht viel anders aus als eine der Kirchen im Quartier. Der Besucher steht in einem hohen rechteckigen Raum mit bunt verglasten Fenstern, rechts und links Sitzbänke aus dunklem Holz, über sich die bemalte Kuppel.
Durch seine Bauweise wirkt die Basler Synagoge wie ein Kirchenschiff. (Bild: Daniela Gschweng)
Der Vergleich mit einer Kirche ist gar nicht so weit hergeholt. Die Synagoge in der Leimenstrasse wurde etwa gleichzeitig mit der benachbarten Marienkirche gebaut. Begonnen wurde mit dem Bau 1868, sechs Jahre bevor die Schweiz die Religionsfreiheit in die Verfassung schrieb. Architekten, die sich auf den Bau von Synagogen verstanden, gab es in Europa damals noch nicht. Anfangs war das Gebäude kleiner und eher quadratisch, 1892 wurde es erweitert. Nicht rundum, sondern dahin, wo Platz war auf dem Grundstück. Der rechteckige Grundriss wirkt von innen wie ein Kirchenschiff.
Der Vorleser steht inmitten der Gemeinde
Der Gemeinde sei diese Bauweise seinerzeit gar nicht so unrecht gewesen, erzählt Weill. «Es gab im Judentum in dieser Zeit eine starke integrative Bewegung», sagt er: «Man wollte sein wie die anderen.» Die Religionsvielfalt in der Schweiz beschränkte sich damals noch auf Juden und Christen.
Ein auffallender Unterschied zu einer christlichen Kirche: das Pult des Vorlesers befindet sich in der Mitte. (Bild: Daniela Gschweng)
Einige wesentliche Unterschiede zu einer christlichen Kirche gibt es aber doch. Da ist die Ausrichtung des Gebäudes nach Osten, wo sich Jerusalem befindet. Und das Lesepult des Vorlesers, das in der Mitte des Raums steht. «Mitten in der Gemeinde, so ist das gedacht», kommentiert Weill.
Das Wichtigste befindet sich in einem verschlossenen Schrank an der Kopfseite des Raums. Dort stehen die Schriftrollen der Torah, dem heiligen Buch der Juden, das den fünf Büchern Mose im Alten Testament entspricht. In farbigem Samt eingeschlagen und mit dem Namen der Spender versehen.
In einem verschlossenen Schrank an der Kofpseite der Synagoge befindet sich ein verschlossener Schrank, der die Schriftrollen der Torah enthält. (Bild: Daniela Gschweng)
Ein neunarmiger Leuchter zum Fest
Auffallend ist auch der grosse neunarmige Leuchter daneben. «Der steht hier schon mal für das Channukahfest», wird mir gesagt. Während des achttägigen Festes, das am 17. Dezember beginnt, wird jeden Tag eine weitere Kerze angezündet. Das wiederum kommt einem ziemlich bekannt vor. Ein Arm enthält den Anzünder, denn die anderen acht Kelche waren früher mit Öl gefüllt. Der traditionelle Leuchter, die Menora, hat nur sieben Arme.
Für Synagogen-Verwalter Joel Weill ist der vergitterte Eingang wie eine Versicherung: «Man hofft, dass man sie nie braucht.»
Ursprünglich sei die gesamte Synagoge bemalt gewesen, sagt Joel Weill. Bei einer Sanierung wurden die Seitenwände und Säulen grau gestrichen. Joel Weills Traum wäre es, die Bemalung zu restaurieren. «Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben», sagt er. Das dafür benötigte Geld steckt die Gemeinde in andere Dinge wie kulturelle und soziale Aktivitäten, etwa Vorträge oder den Kinderhort, der sich im selben Komplex befindet.
Der grosse neunarmige Leuchter steht schon mal für das Channukahfest bereit, das 2014 am 17. Dezember beginnt. (Bild: Daniela Gschweng)
Wir kommen auf die Sicherheitsanlage am Eingang zu sprechen. Braucht es die in einer Stadt wie Basel? «Die Ressentiments sind da. Es hat schon Drohungen gegeben», antwortet Weill. «Das ist wie eine Versicherung. Man hofft, dass man sie nie braucht.» Er fügt hinzu: «Wir müssen uns schützen. Wir sind nicht weit von Frankreich.» Damit spielt er auf den wachsenden Antisemitismus im Nachbarland an.
Eine wechselvolle Geschichte
Antisemitismus gibt es auch in der Schweiz. Weill erinnert sich: «Das erste Mal ist mir das als Kind passiert. Das tat schon weh, ausgegrenzt zu werden.» Und jetzt? «Wenn eine jüdische Person in die Schlagzeilen gerät, gibt das manchmal schon Unruhe in der Gemeinde», erklärt er. Aus der Geschichte wisse man, dass sich ein einzelner Vorfall schnell zum Flächenbrand ausweiten könne.
Basels jüdische Gemeinden haben eine wechselvolle Geschichte. Die erste fiel im 1349 infolge einer Pestepidemie einem Pogrom zum Opfer. Schon 13 Jahre später entstand die zweite. «Damals gab es eine Synagoge, wo heute das Unternehmen Mitte steht. Der Eingang war an der Grünpfahlgasse 1, die damals Judengasse hiess», erzählt Weill.
1397 wurde auch diese Gemeinde aufgelöst – wieder durch Flucht und Vertreibung. Eine Zeitlang war es Juden sogar verboten, in Basel zu leben. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts siedelten sich wieder mehr Juden in Basel an. Die nächste Synagoge wurde 1850 eingeweiht.
«Alles ein wenig männerbasiert»
Inzwischen gibt es ungefähr 2000 Basler jüdischen Glaubens, etwa die Hälfte sind Mitglieder der Israelischen Gemeinschaft Basel (IGB), die an der Leimenstrasse betet, der Rest gehört entweder anderen Gemeinden an oder ist nicht organisiert.
Eine Synagoge als religiöses Zentrum ist wichtig. Für ein gemeinschaftliches Gebet braucht es aber weder eine Synagoge und noch einen Rabbiner, erfahre ich. Es genügen mindestens zehn Männer über 13. «Ist halt alles ein wenig männerbasiert», bemerkt Weill.
In der Leimenstrasse finden täglich zwei Gottesdienste statt, deren Beginn wie in den muslimischen Traditionen von Sonnenauf- und untergang abhängt. Morgens kommen etwa 30 Gäste, abends etwas weniger. An Feiertagen wie dem Neujahrsfests sind die meisten der 550 Plätze besetzt.
Gebetet wird auf Hebräisch
Bei der Andacht geht es locker zu. «Einen jüdischen Gottesdienst darf man sich nicht so vorstellen wie einen christlichen», meint der Verwalter. Man treffe sich, unterhalte sich, bringe Kinder mit und lasse sich vom Vorbeter wenig stören. Die Liturgie wird laut vorgebetet, an Samstagen wird gesungen. Auf Hebräisch.
Etwas verwirrend sind daher die zweisprachigen Gebetbücher. Eine Seite liest sich von links nach rechts, die andere umgekehrt. «Viele jüdische Kinder lernen Hebräisch. Für mich als Kind war es gar nicht so schwer», erinnert sich Joel Weill. «Es hat den Vorteil, dass ich überall, wo ich hinkomme, den Gottesdienst verstehe. Aber als Erwachsener ist es wohl schon schwierig», gibt er zu.
Etwas verwirrend: die Gesangbücher. Eine Hälfte ist auf Hebräisch, die andere auf Deutsch gedruckt. (Bild: Daniela Gschweng)
Der jüdische Tag beginnt mit dem Sonnenuntergang
Weill erzählt, wie er mit den jüdischen Traditionen grossgeworden ist, die noch immer befolgt werden. Zum Beispiel dem jüdischen Ruhetag. Wie viele Gemeindemitglieder den Schabbath einhalten, kann er nicht genau sagen. Der Schabbath fängt am Freitagabend an und endet am Samstagabend, denn der jüdische Tag beginnt nicht um Mitternacht, sondern mit dem Sonnenuntergang.
«Konservative Juden dürfen am Schabbath nicht arbeiten, nichts bei sich tragen, auch kein Geld, nichts tun, was mit Elektrizität zu tun hat, also auch nicht telefonieren, keine Lichtschalter betätigen, nicht Auto fahren…», zählt er auf. Geht das denn? «Manchmal ist es mir schon ein bisschen peinlich, wenn mich am Samstag jemand nach Wechselgeld fragt und ich habe kein Geld dabei», sagt er. Sonst sei das kein Problem.
Als Jugendlicher sei ihm das schwergefallen. «Mit der elektrischen Eisenbahn spielen, ging nicht, Süssigkeiten kaufen, ging nicht, fernsehen nicht. Heute sehe ich das anders.» Man gewöhne sich daran und lerne es zu schätzen. «Der Schabbath ist eine Insel in der Zeit», sagt er.
Viele Vorschriften und pragmatischen Lösungen
Ein bisschen Pragmatismus gehört dazu. Ohne Hausschlüssel kann man zum Beispiel schlecht das Haus verlassen. Dafür gibt es einen speziellen Haken, den man am Gürtel befestigen kann. So gehört er für den Schabbath zur Kleidung. Und für Lichtschalter gibt es Zeitschaltuhren. «Du sollst mit den Gesetzen leben», zitiert Weill und schmunzelt. Die Betonung liegt auf «leben».
Enthalten sind diese Vorschriften im Talmud, einem der wichtigen Bücher des Judentums. Die jüdische Gemeinde Basels lebt nach der Halacha, einem religiösen Gesetz, das Teil des Talmuds ist. Dort sind alle praktischen Belange des Lebens festgehalten. Und sind eine ganze Menge.
Bekanntere Vorschriften sind die jüdischen Speisegesetze, die Esswaren in koscher (erlaubt) und treife (verboten) einteilen. Speisen bestimmter Klassen (Milch und Fleisch) dürfen ausserdem nicht gemischt werden. Auch andere Details sind dort festgelegt. Zum Beispiel wie die Laubhütte beim Laubhüttenfest auszusehen hat.
Ist «jüdisch» nun eine ethnische oder religiöse Zugehörigkeit? Das ist nicht ganz einfach zu sagen. Vor allem deshalb, weil über die weibliche Linie vererbt wird. Jude ist jeder, dessen Mutter Jüdin ist. Wer konvertiert, ist natürlich auch Jude. «Wir diskutieren das auch oft untereinander», sagt Weill und schliesst die Tür. Draussen wartet noch eine Beerdigung auf ihn.
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Neugierig geworden? Öffentliche Synagogenführungen an der Leimenstrasse 24 finden jeweils am ersten Sonntag im Monat um 15 Uhr statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Mehr Information über die jüdischen Gemeinden in Basel gibt es auch auf inforel.ch.
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