Auf dem Werkhof-Areal im Gundeldingerquartier sind neben Ideen auch Menschen gefragt, die sie verwirklichen. Unter anderem entsteht dort demnächst eine neue Gemeinschaftswerkstatt.
Seit ein paar Monaten hört man es im ehemaligen Werkhof der Stadtreinigung regelmässig hämmern. Junge Menschen tragen Material herbei, bauen, reparieren – verleihen den alten Schuppen neues Leben. Im März übernahm das Büro für Projektentwicklung «Denkstatt sarl» den Werkhof im Gundeldingerquartier als Zwischennutzung auf unbestimmte Zeit. Seither entsteht hier laufend Neues.
In den Sommermonaten wurde der geteerte Hof mithilfe alter Holzpaletten in einen Gemeinschaftsgarten verwandelt. Mit der offiziellen Eröffnung des Werkhofs im September ging auch eine Kompostanlage für die Quartierbewohner in Betrieb.
«Austausch auf Augenhöhe» lautet einer der Grundsätze, an denen sich das Projekt orientiert. Zwar betreuen vier Mitarbeiter der «Denkstatt sarl» den Werkhof, doch unterstützen sie dabei lediglich den Prozess. Andere sollen und dürfen das Areal nutzen, was den offiziellen Namen «Euer Werkhof» erklärt.
«Es ist ein Experimentierfeld im geschützten Rahmen, ohne Schwellen oder finanzielles Risiko», sagt der «Denkstatt»-Mitarbeiter Pan Stoll. Stoll verbringt aber auch viel Freizeit hier. «Es ist wie ein Spielplatz; jeder darf mitmachen. Dann kann Vielfältiges entstehen», ist er überzeugt.
Daran haben sich die Quartierbewohner mittlerweile gewöhnt: Die Werkhof-Initianten bringen laufend neues Material für die Projekte. (Bild: Judith Blum)
Baufreudige Quartierbewohner weiter gesucht
Am belebtesten ist der Werkhof jeweils am Mittwoch. Dann wird in der kleinen Küche des Gemeinschafts-Schuppens für den Mittagstisch gekocht. Nach dem Mittagessen findet gut einmal im Monat der «Werktag» statt, an dem gemeinsam gebaut und restauriert wird. Während sich im Sommer die Belebung auf den Innenhof konzentrierte, wurden mit der kälteren Jahreszeit die Innenräume bezogen.
Hier am grossen Holztisch treffen sich alle Werkhof-Aktiven regelmässig zum Austausch. An der sogenannten «Werkbank» diskutieren sie neue Ideen oder konkretisieren bestehende. Stoll versichert, auch unbekannte Gesichter seien immer willkommen.
Noch stehen keine Quartierbewohner Schlange, um ein Projekt zu realisieren. Dabei seien zu Beginn durchaus einige Ideen in den bunten Briefkästen vor dem Werkhof gelandet. «Das Material für eine Gemeinschaftssauna wäre vorhanden, nur fehlen die Leute, die sie bauen wollen», erklärt Stoll.
Susannah Sundman im Gemeinschaftsraum. Hier kann gearbeitet, gekocht und sogar geduscht werden. (Bild: Judith Blum)
Wie Wikipedia nur ohne Internet
Im Gemeinschaftsraum hängt ein Kalender an der Wand: Feinsäuberlich sind einige Daten mit Leuchtstift markiert, an anderen hat jemand etwas eingetragen. «Euer Werkhof» kommt ohne Internetpräsenz aus. «Es ist wichtig, dass hier alles vor Ort passiert. Wir haben keine Homepage und keinen Twitter-Account – dafür einen Wandkalender», sagt Susannah Sundman, ebenfalls eine Mitarbeiterin der «Denkstatt sarl». Das Motto heisse lebenslanges von- und miteinander Lernen, dabei ziehen die Initianten oft den Vergleich zu einem «offenen, analogen Wikipedia».
Solche Strukturen beobachtet Tobias Wiesinger. Am Hyperwerk studiert er Prozessgestaltung – auf dem Werkhof betreibt er sozusagen Feldforschung. «Was hier passiert, ist auch ein Experiment, wie man in Zukunft solche Orte bespielen kann», sagt Wiesinger.
Der Werkhof ist nicht die erste Zwischennutzung, an der er mitwirkt. «Ich beobachte, wie die Menschen, Projekte und Prozesse verknüpft sind und versuche das sichtbar zu machen.» Die Erfahrungen möchte er später auf andere Projekte anwenden.
«Denkstatt sarl»-Mitarbeiter Pan Stoll (links im Bild) hat viel Zeit auf dem Werkhof verbracht und sich neuen Herausforderungen gestellt. (Bild: Judith Blum)
Do-it-yourself in der neuen Gemeinschaftswerkstatt
Im Februar verwirklicht Wiesinger auf dem Werkhof mit drei weiteren Handwerks-Begeisterten den Traum einer Gemeinschaftswerkstatt. «Wir haben alle eigene Werkstätten im Keller und zügeln diese jetzt hier hin.» Dann werden nicht nur Werkzeuge und Maschinen geteilt, sondern auch Wissen ausgetauscht. Mitglied zu werden solle ganz unkompliziert sein, sagt Wiesinger.
Ein vergleichbares Konzept hat er am Hyperwerk entworfen. Hinter der Idee der Gemeinschaftswerkstatt steht auch seine kritische Haltung gegenüber der Konsumkultur. «Durch das handwerkliche Arbeiten macht man sich wieder Gedanken, was hinter einem Produkt steht. Es ist wichtig, dass die Gesellschaft darauf sensibilisiert wird.» Deshalb sollen nicht nur neue Sachen gebaut, sondern auch alte repariert werden.
Bald ein «Fair-Teiler» auf dem Werkhof
Die Gemeinschaftswerkstatt ist eines der grösseren Projekte, die auf dem Werkhof-Areal demnächst anlaufen sollen. Bereits diese Woche wird im Hof ein «Foodsharing Fair-Teiler» installiert. Dort können überflüssige Lebensmittel abgegeben und von anderen wieder gratis mitgenommen werden. Und im Frühjahr ist ein Maskenbildner-Workshop geplant.
Auch neuen Projekt-Ideen steht nichts im Weg; es müssen nur Leute kommen und sie realisieren. Sei es eine Gemeinschaftssauna, ein Ort für einen Boxsack oder ein Gewächshaus. Wie lange der Werkhof als Zwischennutzung bestehen wird, ist offen. Dass die Projekte aber auch nach dem wahrscheinlichen Rückbau des Areals weiter bestehen können, ist das Hauptziel der Initianten.
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Interessierte können mit der «Denkstatt sarl» direkt Kontakt aufnehmen (euerwerkhof@denkstatt-sarl.ch), auch um sich für den Mittagstisch anzumelden (jeden Mittwoch um 12.30 Uhr). Oder Sie schauen spontan an der Gundeldingerstrasse 286 vorbei. «Euer Werkhof» ist nicht nur auf neue Mitglieder angewiesen, sondern auch auf finanzielle Unterstützung. Hervorgegangen ist das Projekt aus dem Wettbewerb «Gundeli denkt» der Christoph-Merian-Stiftung.