Mit «Polarrot» liefert Patrick Tschan einen schönen, historisch eingebetteten Entwicklungsroman. Der Held strebt in der Schweiz nach seinem Glück, auf der anderen Seite der Grenze tobt der Zweite Weltkrieg.
Jacques Breiter, oder Jack, eigentlich aber Jakob, ist im Prinzip ein Arschloch. Er will hoch hinaus, viel Geld verdienen, guten Wein trinken und mit schönen Frauen schlafen. So weit so nachvollziehbar. Jacques ist es allerdings egal, auf wessen Kosten er seine Träume verwirklichen kann. Man mag ihn trotzdem.
«Polarrot» ist ein klassischer Entwicklungsroman, eingebettet in einen fundiert recherchierten historischen Rahmen. Der Autor, der in Basel als Sprecher der GGG (Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige) bekannte Patrick Tschan, lässt seinen Protagonisten im Toggenburg des frühen 20. Jahrhunderts aufwachsen.
Nach einer problematischen Kindheit (der Vater trinkt und schlägt, die Mutter nimmt Reissaus) erfolgen die Lehrjahre in einem Nobelhotel in St. Moritz, wo sich Breiter an einer reichen jungen Russin versucht. Er gibt sich als Basler Bankiersohn aus. Der Schwindel fliegt aber auf und Breiters Pläne, sich reich zu verheiraten, platzen. Solch liederliches Verhalten gehört selbstredend geahndet, und der zigarrenpaffende Hoteldirektor weist Breiter die Tür.
Vom Heiratsschwindler zum Handelsvertreter
Derart gescheitert, hält den zwar kurzzeitig gebremsten, aber immer noch aufstrebenden jungen Mann nichts mehr in den Bergen, er setzt sich in einen Zug nach Basel. Dort macht er bald Karriere als Deutschlandvertreter einer einflussreichen Chemiefirma und versorgt die Nazis mit den strahlend-satten Farben für ihre Reichsfahnen und Uniformen.
Über Politik und Moral macht er sich wenig Gedanken, der Anblick eines mit den Reichsfahnen reich geschmückten Festsaals berührt ihn zutiefst: «Das ist auch mein Rot. Ist es nicht wunderschön, so satt, so tief, so, mmh, so selig irgendwie?»
Nebenbei schmuggelt er im Auftrag reicher Juden deren Gold über die Grenze. Breiter schlägt Kapital aus jeder noch so kleinen Gelegenheit – und will doch eigentlich nur mit Charlotte zusammensein. Charlotte ist die Gattin seines Chefs, die er mit dessen Einverständnis körperlich und emotional beglücken darf. Breiter tagträumt von einem gemeinsamen Leben und hofft, seine Liebe freikaufen zu können, wenn er erst genügend Geld verdient hat.
Eine Läuterung im Konzentrationslager
Auf der anderen Seite der Grenze verschärft sich die Lage. Ein aufmerksamer Zöllner findet einen Barren jüdisches Gold in einem Eimer voller «Polarrot». Breiter landet für zwei Jahre im Konzentrationslager, während Charlotte (deren Mutter Jüdin war) nach England flüchten muss. Die Erfahrungen im KZ und die Trennung von Charlotte stellen für Breiter eine eigentliche Läuterung dar.
Danach ändert sich alles, fast. Immer noch arbeitet er an der Vergrösserung seines Vermögens, in der Wahl seiner Geschäftspartner wird Breiter aber wählerischer. Mit dem «Sauhund» ennet der Grenze will er nichts mehr zu tun haben. Dann beginnt der Krieg.
Tschans Roman liesst sich flüssig, die Hauptfigur wächst einem – trotz ihrer charakterlichen Schwächen – ans Herz, und ganz nebenbei erfährt man viel über die Situation der Schweiz, das an das nationalsozialistische Deutschland grenzt. En passant spricht der Autor überdies ein ziemlich düsteres Kapitel der Schweizer Weltkriegsgeschichte an: Hiesige Industrielle, die im Handel mit den Nazis das grosse Geld gemacht haben.
Patrick Tschan liest im Rahmen der BuchBasel am Freitag den 9. November um 12:30 Uhr in der Galerie Beyeler an der Bäumleingasse 9 Basel aus seinem Buch.