Norbert Mandel wird mit dem Kulturpreis Kanton Basel-Landschaft ausgezeichnet. Seit 1995 betreibt er das grösste Rock-Lokal der Nordwestschweiz: die Konzertfabrik Z7 in Pratteln. TagesWoche-Redaktor Marc Krebs hat ihn in seinem Buch «POP Basel» (Christoph Merian Verlag) porträtiert.
Norbert Mandel widerspricht auf den ersten Blick allen Klischees eines erfolgreichen Managers. Er trägt gerne abgetragene Röhrenjeans, verwaschene T-Shirts und das hellblonde Kraushaar schulterlang. Auf modische Trends pfeift er. Man könnte ihn unterschätzen. «Ich weiss», sagt er und erläutert eines seiner Credos: «Wir arbeiten hier Columbo-mässig. Wer uns nicht kennt, soll ruhig zuerst einen Schock kriegen.» Als Rockröhre Bonnie Tyler in Pratteln eintraf, habe sie fast der Schlag getroffen: «Zuerst sah sie das Haus von aussen. Dann uns. Erst als sie die Bühne erblickte, gings ihr besser. Und das Catering strich ihr die Sorgenfalten gänzlich aus dem Gesicht», erinnert sich Mandel. Als Tourleiter der deutschen Hardrock-Band Victory hatte er einst selbst erfahren, wie am falschen Ort gespart wurde. Nicht der Schein zählt, sondern das Sein.
Erste Konzerte organisierte Norbert Mandel bereits als Teenager im Jugendhaus seiner Heimatstadt Hamm, nordöstlich von Dortmund gelegen. «Meine Mutter musste die ersten Verträge unterschreiben», erinnert er sich. Als Teenager absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung. «Da lernte ich zu budgetieren.» Nach Basel führte ihn 1975 unter anderem die Liebe. Auch die Liebe zu ‹grossen Kisten›, die sich hier weiter entfaltete: Die ‹Concert Agency›, Basels Antwort auf die Zürcher Agenturen ‹Good News› und ‹Free & Virgin›, gab ihm die Möglichkeit, hinter die Kulissen von Grosskonzerten zu blicken. «Wir brachten damals Bands wie Queen oder Golden Earring in die Joggelihalle», erzählt Mandel. Als sich die Agentur 1979 auflöste, fehlte ihm der Mut, alleine weiterzumachen. «Also ging ich Lastwagen fahren.» Immer wenn er in der Umschlagshalle an der Kraftwerkstrasse 7 im Gewerbegebiet Pratteln Güter ablud, dachte er sich: «Mensch, das wäre eine geile Konzerthalle.» Er erfuhr, dass die Halle umgenutzt werden sollte, dass der Kulturverein ‹Zack› den Mut hatte, einen Jahresmietvertrag über 120 000 Franken zu unterschreiben, und sagte zu, als er 1994 zwecks Mitwirkung angefragt wurde. «Ein Traum schien in Erfüllung zu gehen: eine Konzerthalle mit einem Fassungsvermögen von 1500 Besuchern. Doch in Wahrheit wars anfänglich ein Albtraum», resümiert er.
Tatsächlich verlief der Beginn harzig, mehrere Veranstalter mischten mit, Mandel spricht von einem «Gewurstel». Der Halle fehlte es an Profil und Publikum. Der Kulturverein ‹Zack› zog sich zurück, übrig blieb Mandel. Der Baselbieter Kulturbeauftragte Niggi Ullrich, der Sohn des Hallenbesitzers Mauro Spaini sowie Vereinsmitglied und Jurist Stephan Paukner ermunterten ihn durchzuhalten. «Ich war mit den Nerven am Ende, lebte in den ersten zwei Jahren völlig auf Pump», sagt Mandel. Aufgegeben hat er aber nicht, weil er realisierte, dass er bei einem Jobwechsel seinen Schuldenberg noch bis zum Lebensende vor sich herschieben würde. «Für mich gabs nur alles oder nichts.» Dabei unterliefen ihm auch Fehler, wie er einräumt: Techno, House und Hip-Hop boomten, «Rock und Metal waren aber völlig am Arsch», wie er unverblümt bekennt. «Es dauerte lange, bis ich das erkannt habe.» Selbst seit Jugendtagen ein Fan des alten Hardrock – von Black Sabbath und Deep Purple bis Uriah Heep – flutschte er nach eigenen Worten in genrespezifische Szenen rein. Er erweiterte seinen Horizont, wurde zum Doom-, Speed- und Was-auch-immer-Metal-Kenner.
1996 gründete Mandel an der Kraftwerkstrasse 7 in Pratteln den Verein Konzertfabrik Z7, 1997 bewilligte der Kanton Basel-Landschaft einen einmaligen Betrag in Höhe von 270 000 Franken für die Infrastruktur der Konzertfabrik. Der Verein kaufte mit dem Geld unter anderem die Ton- und Lichtanlage, die bisher 8500 Franken Miete pro Monat gekostet hatte. Zu dieser Zeit gab es für Mandel nur eines: Durchbeissen. Privat mit der Miete seit Monaten im Rückstand, lebte er monatelang in einem Wohnwagen, der hin- ter der Konzerthalle parkiert war. Mitleid will er aber keines. «Solche Durststrecken gehören doch überall dazu, beim Dorfmetzger bis zur Band. Da muss man durch. Ich glaube, der Erfolg kommt immer erst dann, wenn man die Angst vorm Be- treibungsamt verloren hat.»
«Bis ins Jahr 2000 litten wir unter permanenter Geldknappheit», sagt Mandel. Um durchzukommen, sparte er an den Gagen. Das hat sich nicht geändert. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, weiss er. «Viele Bands freuen sich auf ihr Prattler Konzert schon nur deshalb, weil sie wissen: Hier hats Waschmaschinen hinter der Bühne, gebrühter Kaffee steht bereit, ebenso Joghurt, Brötchen, Menüs in allen Varianten.» Apropos Joghurt: Oft stieg er vor Konzerten ins Auto, fuhr über die Grenze und kaufte bei Aldi Lebensmittel ein. «Ich musste in den ersten Jahren jeden Franken umdrehen.» Das führte an der Grenze bei Stichkontrollen zu kuriosen Szenen, wenn er den Kofferraum öffnen musste und sich darin schachtelweise Milch, Pudding und Joghurt stapelten. Legendär auch, wie er am Morgen nach einem Konzert an der Grenze gefilzt wurde und den Beamten erklären musste, dass die rund 20 000 Franken im Hosensack die Abendeinnahmen waren, die er anschliessend zur Bank bringen wollte.
Bis 2004 erhielt der Verein jährlich 50 000 Franken vom Kanton Basel-Landschaft. «Dann hab ich den Subventionsvertrag nicht mehr verlängert», sagt Mandel. Warum denn das? «Ich bekam überall zu hören, wie gut wirs ja hätten als Subventionsnehmer. Das nervte, denn die 50 000 Franken machten gerade mal zwei Prozent des Umsatzes aus, schon nur die Suisa-Gebühren, die wir jährlich zahlen müssen, betragen das Dreifache.»
Mandel ist es zudem zu mühsam, politisch zu lobbyieren. «Das ist nicht meine Welt», sagt er, der sich selbst bei Verhandlungen mit Banken noch nie eine Krawatte umgebunden hat. Undankbar ist er nicht für die Subventionen. Aber der KMU-Chef, der drei Festangestellte und fünfzig Leute im Nebenerwerb beschäftigt, ist eigensinnig und stolz. So stand er jahrelang mit der Computerwelt auf Kriegsfuss, was einmal dazu führte, dass er einen PC in die Mitte der Halle schleppte und ihn auf den Boden krachen liess. Damit klar war, wer das Sagen hatte. Der Mensch, nicht die Maschine.
Mit einem Fassungsvermögen von 1500 Besuchern und hundertdreissig Konzerten jährlich ist das Z7 unbestritten das grösste Rock-Lokal der Nordwestschweiz. Dennoch ziert sich die Basler Szene, zu Konzerten nach Pratteln zu kommen. Der Standort ist ein Grund dafür, die programmatische Ausrichtung ein anderer. «Es wundert mich schon, wie gerne Pratteln in Basel vergessen geht. Aber zum Glück sind wir nicht davon abhängig. Unser Publikum nimmt auch weitere Strecken auf sich», sagt Mandel. Tatsächlich zeigt sein Durchhaltewillen seit dem Jahr 2000 Wirkung. Die Halle ist etabliert, viele hart rockende Bands, die früher im Zürcher Volkshaus aufgespielt haben, setzen nun Pratteln auf die Agenda. Der Verein schreibt schwarze Zahlen.
«Heute stehen wir an einem Scheideweg», bilanziert Mandel. «Ich überlege mir ernsthaft, noch einen draufzusetzen, wie am Anfang nochmals richtig Gas zu geben.» Er meint damit mehr Konzerte, mehr Risikofreude. Denn die Gefahr, bequem zu werden, ist ihm bewusst. Und die Infrastruktur steht, sie ist gar im Besitz des Vereins, der 2009 die Halle erworben hat. «Damit ist der grösste finanzielle Druck weg.»
Wie das Z7-Spektrum erweitert werden soll, ist noch offen. Bands wie die Folk-Punk-Gruppe FloggingMolly, die ihm der Sohn ans Herz gelegt hat, ziehen, wie Norbert Mandel festgestellt hat. Und ihm ist bewusst: «Von Uriah Heep leben wir in zehn Jahren nicht mehr.» Viele Bands, die seit Jahren ein Z7-Abo haben, werden dereinst altersbedingt wegfallen, die Repetition im Programm birgt Gefahren. «Nur tue ich mich schwer mit neuen Acts, ich kenn mich da zu wenig aus, verstehste», sagt der Mann. «Eine Verjüngungskur würde dem Programm nicht schaden. Aber ich alleine mags nicht richten.»
Seine Lust, wie in den 90er-Jahren sechzehn Stunden am Tag vor, neben und hinter der Bühne zu verbringen, hält sich in Grenzen. «Im Gegenteil, ich möchte gerne ein bisschen reduzieren, nach einem Konzert mal vor vier Uhr nach Hause kommen.» Nach Hause heisst ins grenznahe Elsass, wo er lebt. Nach Ende der Veranstaltungen weiterzuarbeiten, hat er sich angewöhnt. «Erst dann herrscht hier die Ruhe, die ich für die Buchhaltung brauche.» Opa Mandel möchte mehr Zeit für die Familie. Das ist auch das Einzige, was er bedauert: dass seine Kinder auf seine Präsenz verzichten mussten, auf manche Annehmlichkeit. Als er im Wohnwagen lebte, da gabs beim Sonntagsausflug Eis am Stil statt Bananensplit.
Wenn er sich auch mehr Zeit für die Familie wünscht, seine berufliche Leidenschaft mag er nicht wegdenken. «Solange ich eine Band wie Uriah Heep noch buchen kann, tue ich das auch. Denn die locken nicht nur die alten Fans an, sondern auch Jugendliche, was mich erstaunt und erfreut.» Sagts und bekommt von der Tochter den Enkel auf den Schoss gesetzt. Der schreit, noch eine Oktave höher als die Metal-Shouter. Norbert Mandel brummelt das Kind mit Doomes-Stimme an: «Hör doch auf.» Die Zärtlichkeit ist dem Vorwurf anzuhören. Ein prinzipientreuer Mann, dieser Norbert Mandel – mit einer harten Schale und einem weichen Kern.
- Der Basellandschaftliche Kulturpreis (mit 25 000 Franken dotiert) wurde am Freitag, 4. November 2011 verliehen. Neben Norbert Mandel wurden auch Christian Plösser (Spartenpreis Musik für den Rockfact Music-Club) und das Team Biomill Laufen (Förderpreis 2011) geehrt.