Ein Land in Trauer und Empörung

Ein Killer sät Angst und Schrecken in Südwestfrankreich. Die eiskalte Ermordung jüdischer Schulkinder brachte den Präsidentschaftswahlkampf zum Erliegen. Für die Region um Toulouse wurde die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

Gedenkanlass in Paris nach dem Anschlag auf die jüdische Schule in Toulouse. (Bild: Keystone)

Ein Killer sät Angst und Schrecken in Südwestfrankreich. Die eiskalte Ermordung jüdischer Schulkinder brachte den Präsidentschaftswahlkampf zum Erliegen. Für die Region um Toulouse wurde die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen.

«Es ist absolut unerträglich», bringt ein Vater vor der Schule Ozar Hatorah gerade noch heraus, dann bricht er in Tränen aus. Die vornehme Frau daneben wiederholt nur fassungslos: «Das war einer, der auf Kinder schiesst. Einer, der auf Kinder schiesst.»
 
Der Staatsanwalt von Toulouse, Michel Valet, beschreibt später am Schauplatz des Geschehens, wie der Fahrer eines schweren Motorrades um acht Uhr morgens unweit der jüdischen Mittelschule gehalten habe: «Er stieg ab und schoss auf alle, die er vor sich hatte, Kinder, Erwachsene und verfolgte sie bis ins Innere der Schule.»
 
Kaltblütig habe er auf bereits verletzte Schüler angesetzt, meint ein Augenzeuge später: «Es war der blosse Horror.»  Opferbilanz: Ein 30-jähriger Talmud-Lehrer, zwei seiner Schulkinder sowie ein Mädchen im Alter von drei bis zehn Jahren kamen in der Bluttat um, ein 17-Jähriger befand sich gestern noch auf der Intensivstation.

Nicht der erste Fall

Die Nachricht vom Anschlag schlug vor allem in Südwestfrankreich wie eine Bombe ein. Seit einer Woche sucht die Polizei verzweifelt nach dem Fahrer eines ebenfalls schwarzen Motorrades, der in Toulouse einen Soldaten per Kopfschuss ermordete; vier Tage später erschoss er 50 Kilometer weiter, in Montauban, zwei andere Armeeangehörige. Alle drei Opfer sind nordafrikanischer Abstammung. Ein vierter Soldat schwarzer Hautfarbe wurde in Montauban lebensgefährlich verletzt.
 
War es der gleiche Killer? Der Staatsanwalt sah am Montag «sehr ernsthafte» Indizien für diese Annahme: Überall sei ein entschlossener, methodischer Täter am Werk gewesen, jedesmal auf einem schweren Roller, jedesmal dunkel bekleidet und durch einen Helm mit getönter Scheibe vor Überwachsungskameras geschützt.

Verschiedene Pariser Medien vermeldeten am Abend, ballistische Studien hätten ergeben, dass an allen drei Tatorten die gleiche Waffe verwendet worden sei. Die Polizei bestätigte diese Information aber ebenso wenig wie eine Meldung, wonach das Nummernschild des Motorrades gefilmt worden sei.
 
Eine Augenzeugin aus Montauban will das Gesicht des Killers gesehen haben: Ein Europäer mit kaltem, furchtlosem Blick sei das gewesen, meint die alte Frau, die sich nicht filmen lässt. Unter dem linken Auge trage der Motorradschütze eine Tätowierung oder einen dunklen Fleck. Andere identifizierten sein Gefährt als eine Yamaha T-Max.

Höchste Alarmstufe

Die französische Polizei sucht den Unbekannten mit «allen, absolut allen Mitteln», erklärte Staatspräsident Nicolas Sarkozy nur drei Stunden später vor der Schule in Toulouse. Es handle sich um eine nationale Tragödie, doch «Barbarbei, Wildheit, Grausamkeit und Hass» könnten gegen die Republik nicht siegen. Für Dienstag um 11 Uhr morgens ordnete er eine Schweigeminute in allen französischen Schulen an. Der Präsident rief zudem die höchste Alarmstufe des 1981 eingeführten Anti-Terrorismus-Plans Vigipirate aus – was es in Frankreich zuvor noch nie gegeben hatte. Die jüdischen Privatschulen erhielten Polizeischutz, sofern sie wie Ozar Hatorah noch nicht darüber verfügten. Auch Synagogen und Moscheen verstärkten die Überwachung.
 
Am Montagnachmittag besuchten auch Präsidentschaftskandidaten wie der Sozialist François Hollande und der Mittepolitiker François Bayrou den Tatort in Toulouse. Die Rechtsextremistin Marine Le Pen sprach den Opfern ihre «totale Solidarität» aus, fuhr aber nicht nach Toulouse, um nicht der «politischen Vereinnahmung» Vorschub zu leisten, wie sie sagte. Die meisten Kandidaten – auch die, die sofort nach Toulouse gejettet waren – erklärten, sie «suspendierten» ihre Wahlkampagne für einen Tag. In Paris gab es zudem einen Schweigemarsch mit Tausenden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern von der Place de la République bis zur Place de la Bastille.
 
 

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