Ein Tag im Leben von Andrea (28)

Das subversivste Radio in Basel heisst Energy. Es schockt Politiker, und uns Hörer lässt es grundsätzlich werden. Wir haben einen Tag lang zugehört.

Andrea, 28: Der Prototyp des Radio Energy-Hörers (Bild: Bruno Muff)

Das subversivste Radio in Basel heisst Energy. Es schockt Politiker, und uns Hörer lässt es grundsätzlich werden. Wir haben einen Tag lang zugehört.

Montag, 5.00 Uhr: Andrea ist längst wach. Die Frühaufsteherin trinkt ihr erstes Red Bull am Tag. Das braucht sie. Für die nötige Energy, genauso wie ihren Lieblingssender. «Radio Energy, slow down, take it easy, isch unser Motto hütte» – mein Morgen mit Dominique Heller. Aufwachmusik.

5.15 Uhr: Andrea schickt sich an, auszuparken. Sie stellt ihren Mini in den Verkehr. Destination: Office. Jingle mit afro-karibischer Grundnote. «Mir verlose wider Traumferie.» Destination: Sansibar. Ferien?, fragt sich Andrea, wären wieder mal angesagt. Und ausserdem an diesem Morgen: Ronny, amtierender Mister Nordwestschweiz, sucht eine Freundin. Einen Boyfriend? Könnte sie ganz gut gebrauchen.

Andrea ist, wie wir in Erfahrung bringen konnten, die archetypische Hörerin von Radio Energy Basel. Sie ist: der Präzedenzfall. Sie entscheidet, ob Energy durchfällt oder durchbricht bei Publikum und Werbern. Den Redaktoren des Senders haben das die Spindoctors von NRJ-Miteigner Ringier in einem Ausbildungslager nähergebracht. Gleich nach der Hausbesetzung der alten Radio-Basel-Frequenz hatten sie Andrea mitgebracht, weil sie sich sicher waren, was dem alten, kommerziell nicht rentablen Sender gefehlt hat: eine Vorstellung über die Zielgruppe.

Single, Shopping, Sansibar

Andrea fuhr ein. Als Erstes vertrieb sie drei verdiente Radio-Basel-Redaktorinnen aus dem Bootcamp. Dann stiess sie verdiente Politiker vor den Kopf: Will sie denn keine umfangreichen Lokalnews hören?, ja, muss sie die nicht konzessionsbedingt hören wollen?, interpellierten die FDPler Stückelberger und Dürr in ihren jeweiligen Kantonen. Welch Auftritt! Ist Andrea doch mehr Femme fatale als Femme banale?

Zunächst ist Andrea in den Augen von NRJ 28 Jahre alt und Single. Shoppen ist so ihr Ding, der Mini ihr Auto, Red Bull das Getränk. (Nie würde es ihr in den Sinn kommen, die billigen Nachahmer zu trinken.) Und sie muss wirklich dringend in die Ferien wollen.

5.50 Uhr: NRJ-Island Sansibar. Präsentiert von Tui Flex Travel und der Energy Mastercard. Valerie vom Baraza Resort & Spa in der Leitung, strahlender Sonnenschein, türkisblauer Himmel, türkisblaues Meer. Noch was, Valerie? «Pinkfarbene Blumen!» Danke, Valerie.

6.00 Uhr: Energy News. «Mit em Ruben Masar» – Heller zieht den Namen durch die Stockzähne. News-Stimme: «In dr Region gits immer me Problem mit Schwarzfahrer. D Basler Zytig schribt, d Gwalt sig gstiige.» Andrea sitzt im Büro und lauscht. Das stört sie, dass es Leute gibt, die nicht bezahlen für ihr Ticket, und dass die darüber hinaus auch noch gewalttätig werden … anderseits: Andrea fährt nicht schwarz, sie fährt Mini.

So gleitet der Morgen in den Tag über. Valerie wird zugeschaltet, erzählt um 7.23 Uhr vom Geheimtipp Sansibar «noch unberührt!» und um 8.11 Uhr von Sultanspalast und Gewürzmarkt. Mister Ronny sucht eine Frau, «wo mine hoche Aaschprüch entspricht». Die will er ins Restaurant Don Pincho ausführen. Energy lässt einen 150-Franken-Gutschein springen (exkl. Getränke). Lana del Rey seufzt zum zweiten Mal über die glücksfördernde Wirkung von Videospielen. Insgesamt wird sie so oft zu hören sein wie Baschi, aber nicht ganz so häufig wie Valerie aus Sansibar. Kleine Rota­tion, nennen das die Radiomacher.

Es ist ein zäher Morgen. Andrea schiebt ein Red Bull nach. Sie würde jetzt gerne Shoppen gehen.
Dann würde sie den Nachmittag auf Radio Energy verpassen und damit Eva Nidecker, von der sie im «Blick» gelesen hat, dass sie wieder im Land sei, für dieses einzigartige Projekt namens NRJ Basel. Nidecker flötet in den Feierabend. Energy Downtown, 15 Uhr bis 20 Uhr. Um 16.11 Uhr schaltet sie eine vertraute Stimme ein. Valerie vom Baraza Resort & Spa: «Sansibar ist ein Geheimtipp.»

Andrea sitzt da bereits wieder in ihrem Mini auf der Homefahrt. Ihre Gedanken tragen sie in die Ferne. Afrikanischer Mambo-Jambo, leere Strände, pinkfarbenes Gewächs. Eine Insel, auf der es alles gibt, bis auf  … ach, Andrea.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.02.12

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