Gemeinnützige Organisationen wollen, dass mehr Testamente geschrieben werden – damit man sie bei dieser Gelegenheit als Erbempfänger berücksichtigt. Der «Internationale Tag des Testaments», der dieses Jahr auf dem Friedhof am Hörnli zelebriert wird, soll dabei mithelfen.
Die Liste an so genannten Aktionstagen ist lang: Kaum ein Tag im Jahr, an dem nicht irgend eine Organisation für ihr Anliegen sensibilisieren will. Selbstverständlich erlangen längst nicht alle der teils recht skurril wirkenden Aktionstage wie etwa ein «Tag der Eltern-Kind-Entfremdung» den Bekanntheitstatus eines «Welt-Aids-Tages». Und doch scheinen solche Tage für Organisationen interessant zu sein.
Zur skurrilen Kategorie Aktionstage dürfte auch der 13. September gehören, den der Verein MyHappyEnd vor zwei Jahren gemeinsam mit anderen nationalen Kampagnen zum «Internationalen Tag des Testaments» erklärt hat. Das ist auch der Geschäftsführerin des Vereins, Beatrice Gallin, bewusst. Sie spricht von einem «Experiment», einem «kleinen Puzzlestein» innerhalb der Dachkampagne MyHappyEnd, wenn dieses Jahr der Tag des Testaments auf dem Friedhof am Hörnli zum Finale eines Kunstwettbewerbs inszeniert wird.
Hohe Erbsummen in der Schweiz
Mit der Dachkampagne werben 20 gemeinnützige Organisationen mit geballter Finanzkraft dafür, dass man ein Testament verfassen soll – und darin einen Teil des Nachlasses für den guten Zweck reserviert. Im Mittelpunkt der Kampagne steht ein aufwändiger Werbespot. Der Kunstwettbewerb ist dabei quasi ein Supplement dazu.
Die Themen Tod, Testament und Erbschaftsspenden sind «wenig attraktiv», wie Beatrice Gallin selber sagt, und vor allem auch heikel. Auch für die Organisationen, die keinesfalls als Erbschleicher missverstanden werden möchten. Dennoch: Bei Erbschaften geht es um viel Geld. Basierend auf einer Studie des Schweizerischen Nationalfonds werden in der Schweiz jährlich rund 30 Milliarden Franken vererbt – fast eine halbe Million Franken pro Erblasser im Durchschnitt.
Grösstenteils bleibt das Geld in den Familien, insbesondere den reichen unter ihnen: Ein Zehntel aller Erbenden erhält drei Viertel des gesamten Erbvolumens. An gemeinnützige Organisationen gehen nach Angaben von MyHappyEnd 1 bis 1,5 Prozent, also zwischen 300 und 450 Millionen Franken. Das wiederum entspricht rund einem Viertel des jährlichen Spendenvolumens der Schweiz, wie aus Zahlen hervorgeht, die die Zewo-Werke publizierten.
«Die Einnahmen aus Erbschaften sind für die Organisationen enorm wichtig», sagt Gallin. Es erstaunt insofern nicht, dass die Organisationen den Spendenmarkt rund um Erbschaften in den letzten Jahren immer aktiver mit so genanntem «Legat Marketing» bewirtschafteten.
Heikles Geschäft: Werben um Erbschaftsspenden
Muriel Bonnardin, zuständig für Erbschaften bei Greenpeace, ist Expertin auf dem Gebiet Legat Marketing. In den Anfängen vor 15 Jahren hätten sich die ersten Organisationen noch sehr zurückhaltend dem Thema angenommen, sagt sie. Zu gross sei damals die Angst gewesen, Spender mit diesem Thema vor den Kopf zu stossen. Nun könne man aber zunehmend offener über Tod, Testament und Spenden informieren.
Die Taktik, um für gemeinnützige Organisationen mehr Erbschaftsgelder zu generieren, wirkt allerdings nach wie vor vorsichtig: Man wirbt nicht direkt dafür, dass man im Testament spezifische Organisationen berücksichtigen soll. Vielmehr will der Verein dafür sorgen, dass überhaupt mehr Menschen ihren Nachlass über ein Testament regeln. Heute hat nur jeder vierte Schweizer seinen letzten Willen niedergeschrieben. Bei allen anderen geht ihr Nachlass nach dem Tod direkt an die Pflichterben über.
Der Gedanke hinter MyHappyEnd: Wenn mehr Menschen ein Testament schreiben und dabei wissen, dass sie mit der «freien Quote» auch eine Spende erwirken können, kommt dies am Ende den Organisationen zugute, so Gallin.
Grosse Anteile gehen an wenige Organisationen
Ein Problem bleibt aber ungelöst: Jene, die bislang in ihrem Testament einen guten Zweck berücksichtigen, wählen immer wieder die gleichen Organisationen aus, wie der «Beobachter» berichtet. Spitzenreiter sind die Heilsarmee und die Schweizer Berghilfe. 2012 erhielten beide zusammen über 22 Millionen Franken Erbschaftsgelder. Bei der Berghilfe macht der Erbschaftsanteil mit 56 Prozent mehr als die Hälfte des gesamten Spendenertrags aus. Weniger traditionelle und bekannte Organisationen können nicht mit einer derartigen Zuwendung rechnen. An dieser eher einseitigen Verteilung, dürfte die indirekte Taktik von MyHappyEnd nichts ändern, wenn sie primär dafür wirbt, Testamente zu machen und dabei einen guten Zweck zu berücksichtigen.
Beatrice Gallin ist sich bewusst, dass MyHappyEnd «die unterschiedliche Markenstärke einzelner Organisationen nicht ändern kann.» Dennoch ist sie überzeugt, dass auch kleinere Organisationen von der Dachkampagne profitieren würden – zumindest jene, die ebenfalls bei MyHappyEnd Mitglied sind. Bonnardin geht sogar noch einen Schritt weiter: Da die Kampagne die Menschen daran erinnere, mit dem Nachlass die eigene Wunschorganisation zu unterstützen, dürften auch lokale Einrichtungen wie ein Tierheim davon profitieren, die nichts mit dem Verein zu tun hätten. Wer die Spende erhalte, hänge primär von der Person ab, ihren Wertvorstellungen und eigenen Erfahrungen. Wer im Leben mit Krebs zu tun gehabt habe, spende auch eher für eine Organisation in diesem Bereich. Wer stets tierlieb war eben in jenem, sagt sie.
Generation Baby-Boom wird eine Wende bringen
Sollte die Taktik, indirekt an mehr Geld zu gelangen, tatsächlich für alle Organisationen aufgehen, stehen die Zeichen für die nächsten Jahren gut, dass sie auf höhere Spendenbeiträge via Erbschaften zählen dürfen. Die aktuell ältere Generation habe sparsam gelebt, sagt Bonnardin. Bei alleinstehenden Menschen komme so oder so die Option in Frage, mit dem Nachlass etwas Gutes zu bezwecken. Aber auch bei Personen, bei denen Familienangehörige da sind, dürfen die Organisation auf mehr finanzielle Zuwendung hoffen. Schon heute sind mehr als die Hälfte der Erbenden über 55 Jahre alt, Tendenz steigend, besagt die Nationalfonds-Studie. Viele von ihnen sind bereits gut abgesichert, sagt auch Bonnardin. In solchen Familienverhältnissen hätten gemeinnützige Organisationen eher eine Chance, im Testament Beachtung zu finden.
Anders werde es vermutlich aussehen, wenn in rund zehn Jahren die Generation Baby-Boomer zu Erblassern werden, sagt Bonnardin. Für diese habe Sparen eine weit geringere Bedeutung. Insofern rechnet sie bereits heute mit einem Rückgang an Spendeneinnahmen. Ob diese sich abzeichnende Wende auch das Ende des Legat Marketings bedeute, könne man aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. «Vielleicht gibt es ja bis dahin auch eine moralische Entwicklung», sagt Bonnardin – in der Hoffnung, dass trotz weniger Geld beim Einzelnen das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinnützige insgesamt wächst.