Ein wenig Kassenschlager, ein bisschen Experiment

Mit dem Christoph Merian Verlag wagt die Stiftung den Spagat zwischen Rendite und Mäzenatentum.

Laut der Motion wurden die jährlichen Gebühren für kleinere Stiftungen mit einem Kapital bis 15 Mio. Franken seit der Gründung 2011 mehr als verdoppelt. Das ist zu viel, meint die baselstädtische Regierung. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Mit dem Christoph Merian Verlag wagt die Stiftung den Spagat zwischen Rendite und Mäzenatentum.

Was verspricht wohl mehr Profit: eine Hörbuchreihe mit den Klas­sikern Thomas Manns oder ein Buch über die Geschichte der Basler Ärzte im 19. Jahrhundert? Eine Serie über die Weltklasse-Architektur auf dem Novartis Campus oder ein Grund­lagenwerk zu den digitalen Künsten? Altbewährtes oder Avantgardismus?

Der Christoph Merian Verlag (CMV) als stiftungseigener Verlag der CMS ist – wie auch die Stiftung – ­einem stän­digen Zielkonflikt aus­­gesetzt. Im ­Spannungsfeld von wohl­tätiger Kulturförderung und rendite­orientiertem ­Unternehmertum operiert es sich nicht so einfach.

Der CMV ist keine eigenständige wirtschaftliche Einheit, hat also keine eigene Rechtsform und ebensowenig eine eigene Buchhaltung. Der Verlag ist vielmehr eine Unterabteilung der Abteilung Kultur der CMS, entstanden aus dem statutarischen Auftrag, das Stadtbuch herauszugeben. Dieses hat längst nicht mehr die Bedeutung von einst. Vor zwei Jahren sollte es gar eingestellt werden. Inzwischen findet sich die Chronik nur noch online. Die publizistische Altlast wurde vom Tummelplatz der Lokalhistoriker zum journalis­tischen Jahresrückblick mit minimaler Auflage.

Kein Stiftungsprivileg

Dem Verlag steht jährlich ein Budget in der Grössenordnung von einer bis zwei Millionen Franken zur Verfügung. Darin fest eingeplant ist ein Defizit von aktuell 380 000 Franken, ein Loch, das von der CMS gestopft wird. «Der Verlag ist definitiv ein Verlustgeschäft für uns», sagt Beat von Wartburg, ­Leiter der Abteilung Kultur. «So wie übrigens die meisten Verlage mit vergleichbarem Programm Verluste einfahren.» Deshalb sei der CMV auch als kulturelles Engagement im Sinne der Stiftung zu betrachten.

Von einem «Stiftungsprivileg» – mit einem riesigen Vermögen im Rücken sei man den Launen des Marktes nicht ausgeliefert – will Verlagsleiter Oliver Bolanz jedoch nicht sprechen. «Wir bewegen und verhalten uns auf dem Markt gleich wie unsere Kon­kurrenten», dies sei auch eine Auflage der Stiftung. Letztlich werde eine Mischrechnung gemacht. Auf der einen Seite stehen Projekte, bei denen zum Vornherein klar ist, dass ein Verlust resultieren wird, ein Beispiel ist der Katalog zum Kulturfestival Cul­turescapes. Ist die Stiftung von der Wichtigkeit eines Buchprojektes überzeugt und sieht darin auch eine länger dauernde Relevanz, dann wird dieses Defizit bewusst in Kauf genommen.

Demgegenüber stehen Produkte, beispielsweise die Hörbuchfassungen der Hunkeler-Krimis, bei denen mit ­einiger Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sich der Aufwand lohnen wird. In die Hörbuchsparte fliessen gemäss von Wartburg keine Stiftungsgelder. «Dieser Bereich muss sich komplett selbst finanzieren.»

Wirtschaftlicher Erfolg oder inhaltliche Relevanz?

Man messe zwei Arten von Erfolg, sagt Bolanz. Zum einen den Erfolg an der Kasse, zum anderen den «inhalt­lichen» Erfolg. «Wenn wir von der ­Relevanz eines Projekts überzeugt sind, ist uns das einen Verlust wert.» Ist dies nicht der Fall oder passt ein Projekt nicht in das inhaltliche Raster der Stiftung, wird der CMV aber auch einfach als verlegerisches Vehikel genutzt. Die Finanzierung obliegt dann dem Autor, privaten Sponsoren oder anderen Stiftungen.

Gelingt diese Mischrechnung aus Mäzenatentum und wirtschaftlichem Denken? Wer im Raum Basel bei Politikern, Kulturschaffenden oder Buchhändlern nach der Stiftung beziehungsweise dem Verlag fragt, stösst allenthalben auf Wohlwollen und Zustimmung. Gross äussern, beispielsweise zum Verlagsprogramm, will sich eigentlich niemand.

Einzig der Basler Galerist und Kunstbuchhändler Diego Stampa gibt freimütig sein Urteil über den aktuellen Katalog und die Backlist des CMV ab: «Eine recht gute Mischung aus solidem Lokalbezug und Avantgarde», sagt er. Die Aufmachung der Kunstbände sei im Vergleich mit anderen Verlagen, die beispielsweise die Buchgestaltung oft auch dem jeweiligen Künstler über­lassen, wenig gewagt. «Viele dieser Bücher würden aber wohl ohne den CMV nie auf den Markt kommen», so ­Stampa. Die breite thematische Streuung wirke manchmal etwas verzettelt. «Eine stärkere Fokussierung würde wohl nicht schaden.»

Kritisch äussert sich auch Urs Heinz Aerni, Kulturagent und Mitglied des Fachausschusses Literatur BS/BL, die Literaturfördereinrichtung der beiden Basel. «Mit den meisten Büchern löst der CMV das Stiftungsversprechen ein», bei der Hörbuchsparte sei aber der kulturförderische Ansatz nicht mehr zu erkennen. Als problematisch beurteilt Aerni den Umstand, dass der CMV ausschliesslich externe Lektoren beschäftigt. «Damit erreicht man nie die Qualität eines eigenen Lektorates.»

Vernachlässigte Autoren

Auch von Autorenseite ist da und dort der (allerdings nur anonym geäus­serte) Vorwurf zu hören, dass die ­Autorenbetreuung und -bezahlung beim CMV nicht die beste sei. Von Wartburg, Leiter der Kultursparte der Stiftung, gesteht ein, es könne schon vorkommen, dass sich ein Autor ­vernachlässigt fühle. Vor allem bei Projekten mit vielen verschiedenen Autoren und entsprechend unterschiedlichen Bedürfnissen würden wohl nicht alle Autoren die gleiche Aufmerksamkeit des Lektors erhalten. «Da wir mit externen Lektoren ar­beiten, tickt im Hintergrund halt auch immer die Rechnungsuhr», sagt von Wartburg.

Der CMV kämpft letztlich mit den gleichen branchenüblichen Problemen wie seine Konkurrenten: mit Markt­kon­zentra­tion, technologischem Wandel und schwindender Leserschaft – und das trotz der millionenschweren Stiftung im Hintergrund.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

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