Eine Band aus den Wäldern bringt Facebook zum Rauschen

Von dieser Band können selbst die Grossen in der Schweiz was lernen: Last Leaf Down aus dem Schwarzbubenland haben mehr Facebook-Likes als Baschi, Anna Rossinelli oder die Lovebugs. Wie die Shoegaze-Band auf der Klaviatur der sozialen Medien spielt, ist lehrreich.

(Bild: Marc Krebs)

Von dieser Band können selbst die Grossen in der Schweiz was lernen: Last Leaf Down aus dem Schwarzbubenland haben mehr Facebook-Likes als Baschi, Anna Rossinelli oder die Lovebugs. Wie die Shoegaze-Band auf der Klaviatur der sozialen Medien spielt, ist lehrreich.

Welcher Basler Musiker hat die meisten Likes auf Facebook? Der RFV, Lobby der regionalen Musikszene, führt regelmässig Buch und publiziert die Charts der meistgeliketen Acts der Region. Ein sozialmedialer Schwanzlängenvergleich, quasi. Vor zwei Monaten noch war Baschi auf Platz 1.

Die jüngste Statistik zeigt, dass er auf die Ränge verwiesen worden ist, ebenso Anna Rossinelli, The bianca Story oder die Lovebugs. Und das von einem Act, der noch in keiner Hitparade aufgetaucht ist: Last Leaf Down aus Beinwil. Last Leaf Who? Und vor allem auch: Where?

Entrückte Klänge, verträumte Bilder

Aufklärung tut not. Rein in den Wagen und raus aus der Stadt: Wer die Band treffen will, fährt und fährt und erfährt, wie weitverzweigt die Region Basel eigentlich ist. Wir kreiseln durch Laufen und passieren Erschwil, das Dorf, das von seinem berühmtesten Sohn trotzig Arschwil genannt wird: Jari Altermatt, Sänger von Navel, fand hier in der Abgeschiedenheit zum Neo-Grunge und eroberte damit Europa.

Wir fahren weiter, wo die Dörfer aufhören und ein Weiler beginnt, dahinter Niemandsland: Kalkstein, Wälder, Hügel. Beinwil ist ein Rückzugsort am Fuss des Passwang, kein Wunder, dass hier Musik gemacht wird, die sich mit verträumten Landschaftsbildern illustrieren und mit entrückten Klängen vertonen lässt.




Impressionen von Sascha Jeger in seinem Bildblog. (Bild: © Sascha Jeger)

Der Urheber dieser Werke ist Gründer, Songwriter und Gitarrist von Last Leaf Down. Und hauptberuflich Koch. Wir treffen uns am Feierabend in der Dunkelheit, Sascha Jeger öffnet die Tür zum Gasthaus zum Reh. Die Beiz seiner Eltern ist nicht mehr in Betrieb. Nur wenn der Musikverein einkehren will, wird hier noch ausgeschenkt. Oder wenn, wie heute, ein Journalist die auffälligste unauffällige Band der Region Basel trifft. Wie kommt sie zu 32’000 Likes und über hunderttausend Youtube-Views?

Der Kater nach der Champagnerlaune

Dem Erfolg von Last Leaf Down liegt eine Verzweiflung zugrunde. Im Frühjahr 2012 spielte die Band am BScene-Festival in der Reithalle der Kaserne. Grosse Bühne, grosse Euphorie. Die Champagnerlaune währte nicht lange. Schon beim nächsten Gastspiel, im Rockfact Münchenstein, liessen sich die Besucher an zwei Händen abzählen. «Danach trafen wir uns zur Krisensitzung», erzählt Sascha Jeger. «Uns war klar, dass wir so nicht vom Fleck kommen.» 

Wenn die Welt nicht zu uns kommt, müssen wir sie anders erreichen, sagten sie sich. Das Internet als Tor zur Welt. Anfang 2013 hauten sie einen Demosong als Youtube-Clip raus. «Die Resonanz war von Beginn weg gross», sagt Benjamin Schenk. Der Clip mit verschlirggten Stimmungsbildern passierte die Hunderter-, dann die Tausender-Marke. Bis heute haben ihn über 130’000 Menschen angeschaut. Wie haben sie das geschafft? Mit einem geschickten Kniff. Sie taggten ihr Genre im Clip-Titel: Shoegaze. Sieht zwar uncool aus, «aber so tauchte unser Song in den Suchabfragen weit oben auf».

Der Clip wurde von Musikblogs geteilt, die Band erkannte die Kraft der Nische und ging einen Schritt weiter. «Wir überlegten uns, welche bekannteren Bands mit uns vergleichbar sind», verrät Sascha Jeger. Slowdive war eine britische Band, die 1989 gegründet worden war und den Shoegaze mitgeprägt hatte, jene atmosphärische Musik, bei der die Bands den Blick zu Boden richten, auf die Effektgeräte (daher der Name). Slowdive lösten sich in den 90er-Jahren auf, blieben Kult, ihre Fans hungrig und traurig.

«Wir nahmen uns vor, solche Fans via Facebook direkt anzuschreiben und auf uns aufmerksam zu machen», sagt Sänger Benjamin Schenk. Meist auf Englisch kontaktierten sie so Freunde von Slowdive und artverwandten Gruppen, im Stil von: «Hallo XY, wir haben gesehen, dass Du YX magst. Wir sind eine Band aus der Schweiz, hör doch mal rein, es könnte Dir gefallen.» Last Leaf Down versandten solche privaten Nachrichten in die ganze Welt. Abend für Abend, wochenlang, gezieltes Direktmarketing. Eine unglaubliche Fleissarbeit. 

Die Folge: Tausende Likes aus allen möglichen Ländern. 

Durch ihre wachsende Präsenz im Netz wurde auch Lifeforce Records aus Leipzig auf sie aufmerksam – ebenfalls ein Nischenplayer. Das deutsche Label schloss mit ihnen 2014 einen Vertrag ab; im Proberaum in Laufen aufgenommen, übernahm Lifeforce Records die Pressung und brachte das Album «Fake Lights» in Europa sowie Nordamerika auf den Markt.

Die Fachpresse nahm das Debütalbum positiv auf. Der britische «Metal Hammer» gab dem Album 8 von 10 Punkten, das mexikanische «Sound & Vision» zählte «Fake Lights» zu den 25 stärksten Debütalben des Jahres 2014.   

Bemerkenswert, mit welchem Einsatz diese stillen Schwarzbuben – keiner von ihnen hat beruflich mit Marketing zu tun – ihre Musik promoten. Wer vermutet, die Fans seien gekauft, der irrt sich, auch wenn sie schon Geld investiert haben. «Manche Facebook-Postings haben wir geboostet, um so mehr Leute zu erreichen», offenbaren sie. «Zudem testeten wir auch mal Google-Adwords, um Leute auf unsere Clips aufmerksam zu machen», sagt Jeger. «Das war uns aber zu teuer und zu wenig effektiv.» Benjamin Schenk ergänzt: «Hätten wir Universal im Rücken, könnten wir uns das wohl leisten. Aber uns ist wichtiger, dass wir gezielt Fans unserer Nische erreichen und von diesen auch Resonanz bekommen.»

Und das gelingt ihnen ganz eindrücklich. Manchmal reicht ein atmosphärisches, mystisch gefärbtes Foto aus dem Wald, das Sascha Jeger bei seinen Spaziergängen schiesst und auf Facebook stellt, um von Hunderten Leuten ein «Gefällt mir» zu bekommen. «Wenn man eine Fanbasis aufbauen will, muss man die Leute bei Laune halten», weiss er. Auf Bilder reagieren die Leute in Venezuela gleich stark wie jene in Serbien, besser als auf Reviews. Weil es keine Sprachbarrieren gibt.

Besonders beliebt bei den Latinos

«Gerade in Zentral- und Südamerika ist Shoegaze besonders beliebt», stellen die Beinwiler – selber noch immer verdutzt – fest. Besonders viel Feedback kriegen sie aus Ländern wie Mexiko, Chile, Argentinien. Überhaupt: «Mittlerweile sind wir richtig gut vernetzt in der Shoegaze-Szene.»

Auch, weil sie selber tief in ihre Nische eingetaucht sind: Als sich Slowdive im vergangenen Jahr reformierten, besuchten Last Leaf Down ihr erstes Konzert seit 20 Jahren – in England, ganz Fans. Vor dem Gig nutzten sie die Gelegenheit, um auf ihre eigene Band aufmerksam zu machen. «Wir nahmen 500 Flyer mit, die wir vor dem Konzert verteilten», erzählt Benjamin Schenk. «Da stellten wir fest, dass uns einige schon kannten – aus dem Internet.»   

Wie und ob sich ihr beachtlicher Bekanntheitsgrad kapitalisieren lässt, bleibt offen. Das ist für sie auch nicht wirklich wichtig. «Wir möchten einfach, dass unsere Musik gehört wird», sagen sie. Und freuen sich darüber, dass sie so zu einem Label gefunden haben und nun auf eine kleine Deutschland-Tour gehen können. Im April reisen sie für Konzerte nach Köln, Berlin und Hamburg. Zuvor erhalten sie eine weitere Chance in der Heimatregion: Am 7. März spielen sie am BScene-Festival im Sud. Bei den lokalen Fans ist auch nach ihrem PR-Stunt noch Luft nach oben. Denn von den 32’000 Likes kommen lediglich 400 aus der Schweiz.

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Live: BScene, Sud, Basel. Samstag, 7. März, 23.15 Uhr.

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