Mulhouse hat schon bessere Zeiten erlebt. Leerstehende Geschäfte und Arbeitslosigkeit machen dem Ort zu schaffen. Nun will der Basler Professor Mischa Schaub die deindustrialisierte Stadt zum bedeutendsten Kreativzentrum der Region machen.
Roter Backstein und Sheddächer, dazwischen Schornsteine und wucherndes Grünzeug. Stilechter könnte eine Industriebrache nicht aussehen. Einige Autos und Roller stehen herum und aus einer der vielen Hallen tönt Baulärm. Auf dem DMC-Gelände in Mulhouse stellten einst gegen 10’000 Menschen Textilien her. Inzwischen ist deren Zahl um das Zehn- bis Hundertfache geschrumpft. Die Folgen sind ein brachliegendes Gelände und leerstehende Gebäude – sehr viel ungenutzter Platz.
Mulhouse war einst eine sehr bedeutende Industriestadt, die Textilfirma DMC ein wichtiges Zugpferd.
Mischa Schaub, Direktor des Instituts HyperWerk, dem «Institute for Postindustrial Design» der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel, ist vor einigen Jahren auf das ehemalige Fabrikareal aufmerksam geworden. Er sieht darin vor allem eines: Potenzial, welches in dieser Form in der Region schwer zu finden ist. Seit Mai 2013 hat der von ihm gegründete Verein motoco (more to come) auf der Brache ein Gebäude von 10’000 Quadratmetern gemietet mit dem Ziel, ein trinationales Kreativzentrum zu errichten. Die Expansion auf weitere Gebäude ist in Planung.
Schaub hat eine Vision: «Bis 2020 ist Mulhouse der bedeutendste Kreativstandort der Region.» Dann findet die Internationale Bauausstellung Basel statt (IBA Basel 2020), welche Schaubs Projekt «openparc» unterstützt. «Openparc» entsprang dem Verein motoco als «umfassendes Konzept zur Realisierung anspruchsvoller kreativer Projekte», so zu lesen auf der Website der IBA Basel 2020. Dieses Konzept beinhaltet die Gründung vier weiterer Vereine, welche Teilbereiche eines nachhaltig funktionierenden Kreativbetriebs abdecken: Produktion, Kommunikation, Vermittlung und Beherbergung. An «openparc» sind 16 europäische Hochschulinstitute beteiligt.
Gebäude 75 beheimatet den Verein motoco mit seinen Werkstätten und Ateliers. (Bild: Jonas Grieder)
Die Chancen der Gewerbekrise
Das Potenzial sieht Schaub allerdings nicht nur im Platz, welcher in Basel rar geworden ist. Es ist die nahezu prototypische Situation einer postindustriellen Gesellschaft, welche ihn reizt. Mulhouse, einst eine der wichtigsten Industriestädte Frankreichs, ist gezeichnet vom Niedergang des Gewerbes. Erschreckend viele Geschäfte in der Stadt gingen in den letzten Jahren konkurs, die Lokale stehen leer und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Wie lässt sich gesellschaftliches Zusammenleben in einer solchen Situation organisieren? Welche Formen der Arbeit und des Geschäftens können zukunftsfähig sein? Was tun, wenn herkömmliche Strategien nicht mehr greifen?
Es geht also um soziale Innovation. Die Umnutzung von Vorhandenem ist das Stichwort der Stunde. «So dekadent das klingen mag, um solche Prozesse in Gang zu bringen braucht es natürlich eine Notsituation. Diese fehlt in Basel», sagt Schaub. Im Sinne der Metropolitanregion sei die Intervention in Mulhouse aber durchaus auch im Interesse Basels. «Ich nehme die trinationale Region als eine Stadt wahr», sagt Mischa Schaub, als wir nach gut 20-minütiger Fahrt mit dem Zug von Basel in Mulhouse eintreffen. «Ich meine, wie lange haben wir uns bis jetzt unterhalten?» Eine Erweiterung der Möglichkeiten in Mulhouse verhindere ausserdem das komplette Abwandern der Kreativen aus der Region, was Schaub angesichts des Platzmangels und der Sättigung in Basel nicht unwahrscheinlich scheint.
Eine Bäckerei als Experimentierfeld
Im Juni dieses Jahres ging die Boulangerie Spitz an der Avenue Aristide Briand im Zentrum von Mulhouse konkurs. Sogleich bemühte sich Schaub darum, der Lokalität in Zukunft wieder Leben einhauchen zu können – in Zusammenarbeit sowohl mit Studierenden des HyperWerks wie auch dem ehemaligen Bäcker.
Das könnte interessant werden. Gut möglich, dass dabei 3D-Printer und ausgediente Industrieroboter zum Einsatz kommen. Von diesen will sich Schaub einige anschaffen. «Interessant ist dabei vor allem, dass die meisten Roboter eine Laufzeit von circa 100’000 Arbeitsstunden haben, aufgrund des technischen Fortschritts aber oft nach 20’000 Arbeitsstunden nicht mehr gebraucht werden.» Das bedeutet relativ erschwingliche 80’000 Roboterarbeitsstunden, einsetzbar in verschiedensten Bereichen, von Möbelbau über logistische Aufgaben bis hin zu – eben – Brotbacken. «Könnte ja sein», meint Schaub, der ein Verfechter des Learning by Doing ist.
Mischa Schaub vor der Boulangerie Spitz, Schauplatz eines seiner künftigen Projekte.
Schaub ist guter Dinge, dass seine Vision bis 2020 Realität wird. Die Ateliers auf dem DMC Areal sind ausgebucht, die Warteschlange für die neu entstehenden wird länger und länger. Bis 2020 will er 900 Kreativen ein Arbeitsumfeld bieten. Das von postindustriellen Herausforderungen geprägte Mulhouse bietet dafür eine anregende Umgebung, soviel steht für Schaub fest. «Es ist kein Zufall, dass sich die Kunst immer zunächst in ärmeren Vierteln niederliess.»