Probleme mit … Filmton? Bildschärfe? Raumtemperatur? Bitte melden Sie es unserem Personal. Danke.»
Das war einmal, vor jeder Filmvorstellung in Basels Lichtspielhäusern. Und wenn es auch selten genug etwas zu beanstanden gab, war der psychologische Effekt doch unbezahlbar: Niemand ist im dunklen Kinosaal allein, der Zuschauer wird mit seinen Wünschen und Bedürfnissen ernst genommen.
Seither ist die Raumtemperatur auf dem Kinoplatz Basel markant gesunken, wie aus den aktuellen Erhebungen des Branchenverbands ProCinema hervorgeht: Im Vergleich zum Vorjahr sind die bezahlten Eintritte von rund 803 000 auf 596 000 zurückgegangen. Das Weihnachtsgeschäft 2013 ist darin zwar noch nicht einberechnet, der Unterschied aber dennoch frappant: Vor zehn Jahren zählte die Kinostadt Basel noch knapp über eine Million Eintritte.
Was ist passiert?
Die mangelnde Qualität der gezeigten Filme für diesen Einbruch allein verantwortlich zu machen greift zu kurz – schlechte Filme hat es immer gegeben. Was sich im vergangenen Jahrzehnt entscheidend verändert hat, ist weniger das Angebot als vielmehr die Nachfrage.
Der Rückzug ins Private
Mit der exponentiell gewachsenen Verfügbarkeit von Inhalten über das Internet, dem Aufkommen von multimedialen Highend-Geräten wie der Playstation und der Transformation der guten Stube mittels Beamern und Surround-Tonanlagen in ein Home Cinema ist den kommerziellen Kinos mit ihren hohen Betriebskosten harte Konkurrenz erwachsen. Und was die Heimverbraucher wollen – vom Rauchen über das Popcorn-Werfen bis zum Stummschalten oder Vorspulen –, entzieht sich dem Wissen und der Kontrolle der Kinobetreiber.
Der Rückzug vieler Kinogänger ins Private hat aber nicht nur mit dem Komfort zu tun, den die eigenen vier Wände bieten. Laut dem deutschen Autor und Kritiker Lars Henrik Gass ist der Verfall des Kinos auch ein sozialer: «Am Niedergang des Kinos lässt sich nachvollziehen, wie Gesellschaft auf Individualisierung umgestellt wird.» Wer etwas über die Strategien der grossen Basler Kinobetreiber in Zeiten dieser Krise erfahren will, wird vertröstet.
Willy Heinzelmann, Verwaltungsrat der Zürcher Kitag AG, die in Basel die Kinos Capitol, Central und Rex betreibt, ist seit Wochen nicht erreichbar, seine Assistentin mauert. Ihr Chef sei völlig absorbiert. Womöglich, weil er Grosses plant: Im ehemaligen Druckereigebäude der «Basler Zeitung» sollen auf 40 000 Quadratmetern Kinosäle, Restaurants und ein Club entstehen, wie die «NZZ am Sonntag» Mitte November vermeldete.
Die Leserschaft der TagesWoche ist zumindest verhalten optimistisch: In unserer grossen Umfrage zum Kinoverhalten haben 432 Leute teilgenommen. Die Mehrheit kann sich nicht vorstellen, für ein Kinoerlebnis an den Stadtrand in Kleinhüningen rauszufahren. Was bei einem Nischenplayer wie dem Neuen Kino und der Siloterrasse funktioniert, muss nicht zwingend bedeuten, dass auch die Steinenvorstadt versetzt werden kann.
Die Vorteile, die Zentralisierungen den Kinobetreibern bringen, liegen hingegen auf der Hand: weniger Betriebskosten, mehr Flexibilität. Käme das Kitag-Multiplex, würde die Anzahl der Standorte in Basel weiter konzentriert. Zumal die kult.kinos eine Verdichtung vorsehen: Am nächsten Mittwoch berät der Basler Grosse Rat die Umbaupläne, die das Baudepartement für die Theaterpassage ausarbeiten liess. Darin liegen heute schon die drei Atelier-Kinos, die um zwei weitere Säle erweitert werden sollen.
Unrentable Kinos machen dicht
Diesen Konzentrationen stehen die Schliessungen einzelner Kinos gegenüber: Seit 1988 das Kleinbasler Kino Union aufgab, sind zahlreiche Säle geschlossen, umgenutzt oder abgerissen worden – vom Scala über das Hollywood und Movie bis zum Kino Eldorado, das 2014 dichtmacht.
Und wenn das Vorhaben politisch durchkommt und das Atelier künftig fünf Säle zur Verfügung hat, dürfte mindestens eines der zwei dezentralen kult.kinos – das Camera im Gewerkschaftshaus oder der Club im Singerhaus – Geschichte werden. «Längerfristig dürfte einer der beiden Standorte wegfallen», bestätigt denn auch Suzanne Schweizer, die Co-Leiterin der Basler kult.kinos, unsere Vermutung. Die Konkurrenz durch das Kitag-Multiplex fürchtet sie nicht, da sie davon ausgeht, dass darin Mainstream gezeigt werde und nicht «Brainstream, also kluges Kino für Herz und Hirn» wie in ihren Kinos.
Und was sagt Marc Canisius, CEO von Pathé Suisse, derzeit noch grösster Player auf dem Basler Markt? Die Gewinnchancen, die sich die Kitag mit dem Bau eines neuen Multiplexes in Basel ausrechne, könne er nicht beurteilen, teilt er diplomatisch mit. Allerdings belebe Konkurrenz bekanntlich das Geschäft, was nur im Interesse der Besucher sei.
Für sein eigenes Unternehmen stellt Canisius optimistische Prognosen: «Es gibt viele Faktoren, warum Pathé mit einem Zuschauerzuwachs rechnet. Die Kinobesucher werden vermehrt kommen, weil das Angebot wächst und auch die Qualität der Filme im Vergleich zu 2013 höher sein wird. Wir müssen ein besseres Produkt liefern, auch in Hinblick auf Deutschland.»
Diese Einschätzung deckt sich mit den Zahlen einer aktuellen Studie von PriceWaterhouseCoopers, der zufolge die Schweizer Kinoeintritte bis 2017 um 0,9 Prozent wachsen werden. Allerdings kann man diese Prognose auch als Rückgang betrachten, wird die Schweizer Bevölkerung doch im gleichen Zeitraum um 4,7 Prozent wachsen. Und allen Beschwichtigungen zum Trotz bereinigt auch Platzhirsch Pathé sein Portfolio: Das Kino Eldorado spezialisierte sich in den vergangenen Jahren besonders auf Arthouse-Filme, die parallel in den kult.kinos zu sehen waren.
Ausgedünnt werden soll das Angebot mit der Schliessung des Eldorado nicht. «Wir zeigen nicht nur Filme, von denen wir glauben, dass sie kommerziell erfolgreich sein werden, sondern wir haben auch Platz für kleinere Filme», kommentiert Pathé-Chef Canisius. «Letztlich zeigen wir die Filme, die auch unsere Zuschauer wollen.»
Und das sind in Basel nicht immer dieselben wie in der restlichen Schweiz, wie unsere Recherchen ergeben: Quentin Tarantinos Film «Django Unchained» schwingt 2013 in den Basler Top Ten obenaus, gefolgt vom literarischen «Great Gatsby». Gesamtschweizerisch hingegen lockte «Despicable Me 2» am meisten Besucher ins Kino.
Auch dass viele Kinos nicht mehr klar und deutlich annoncieren, wann ein Film «den letzten Tag» habe, sei unsäglich. Die Spontaneität, so scheint es, schlägt sich nicht nur bei den Kinogängern nieder, die gemäss Umfrage meist aus dem Tag heraus entscheiden, ob sie ins Kino gehen.
Doch aller lokalen Eigenheiten zum Trotz widerspiegelt die Kinosituation in Basel auch eine Entwicklung, die global stattfindet. Galt einst unter Filmfetischisten, die sich auch von einer drohenden Nackenstarre in der ersten Sitzreihe des Kinos nicht von einer Premiere abhalten liessen, «Wer zuvorderst ist, sieht zuerst», hat die gestreamte Wirklichkeit das geflügelte Wort längst überholt. Wer heute auf der Suche nach den neusten Blockbustern, aber auch immer öfters nach Independent-Filmen ist, wird im Internet auf diversen Plattformen fündig – und die wenigsten davon sind zahlungspflichtig.
Gegen das Ausfüllen eines Online-Fragebogens oder das Herunterladen digitaler Gadgets und den Preis unzähliger Pop-up-Fenster werden Filme frei Haus geliefert – verpixelt und verwackelt zumeist, aber gratis und franko: Das Format-Banausentum blüht!
Die Kinobetreiber ihrerseits rüsten gegen die Hightech-Piraterie auf. Pathé hat in Genf ein Kino mit dem Film-Übergrössenformat Imax ausgestattet. «Als Nächstes planen wir mit Dolby Atmos die Einführung einer einmaligen Tonqualität, und wir realisieren mit D-Box ein 4D-Erlebnis», erklärt Marc Canisius: Die Sitze der Zuschauer werden dabei zum Soundtrack bewegt – nicht «geschüttelt», wie Canisius betont. «Das war vielleicht vor 20 Jahren auf der Kirmes so.»
Und genau da ist der Haken: Durch Online-Streams bringen die Verleiher ihr Publikum auf den Geschmack eines vielfältigeren Angebotes, und was die Zuschauer dabei entdecken, ist ausgerechnet die alte Nemesis des Kinos – das Fernsehen.
Steven Soderbergh hat die Zeichen der Zeit früher als seine Berufsgenossen erkannt. 2005 veröffentlichte er seinen Film «Bubble» gleichzeitig im Kino, auf DVD und im Netz. In diesem Sommer hat sich der Erfolgsregisseur der «Ocean’s»-Filme in einer programmatischen Rede ganz demonstrativ vom Kino verabschiedet: «Filme spielen keine Rolle mehr.» Was ihn allerdings nicht davon abhält, fürs Fernsehen zu arbeiten. So hat er heuer einen Vertrag bei Cinemax unterschrieben, für die Regie der Mini-Serie «The Knick».
Filmfans im Serienfieber
Während das Kino unter diesem Brain Drain in Hollywood leidet, hat die Qualität dramatischer Serien im neuen Jahrtausend eine neue Dimension erreicht, ebenso deren Produktionskosten. «The Wire», «Breaking Bad» oder «Mad Men» überzeugen mit ihren brillanten Drehbüchern und Darstellern – ebenso europäische Formate wie «Borgen» oder die israelische Vorlage zu «Homeland», «Hatufim».
Dass mit Kevin Spacey ein zweifacher Oscarpreisträger neuerdings in einer Webserie mitspielt, dem intrigenreichen Polit-Drama «House of Cards», ist symptomatisch: Die Serie wird von Netflix produziert, einem Internet-Streaming-Anbieter. Allein dieses Beispiel verdeutlicht die Verschiebung der Mediennutzung – und auch die Verlagerung von Produktionsgeldern hin zum Home Cinema.
Das Stadtkino Basel hat sich vom Serienfieber anstecken lassen und in diesem Jahr clever zurückgeschlagen: Es zeigte den Mehrteiler «Top of the Lake» stundenlang auf Leinwand. Den Spiess umdrehen. Warum nicht? Denn neue Ideen sind gesucht. «Würde sich ein organisierter Kinderhütedienst nicht lohnen?», fragt eine Leserin in unserer Umfrage. «Wäre für mich eine bereichernde Dienstleistung, die ich mit dem Eintritt zusammen bezahlen würde.»
Mehr Events sollen Leute anlocken
Mehrwert heisst das Zauberwort. Tatsächlich rüsten sich die Kinos nicht nur technologisch für die Zukunft, sondern auch, indem sie ihr Tätigkeitsfeld erweitern, etwa durch Theater-, Konzert- und Operübertragungen. Und das mit Erfolg. «Ich freue mich, dass auch internationale Theaterstücke im Kino gezeigt werden», schreibt etwa Leserin Janine Dufaux.
Ist das die Zukunft des Kinos? Zumindest ein Bestandteil, bestätigt Suzanne Schweizer von den kult.kinos. «Vor allem das gemeinsame Erlebnis im Dunkeln, diese Augenblicke, in denen man Emotionen mit anderen teilt.» Aber auch Vorpremieren, Events, Gespräche mit Filmschaffenden nennt Schweizer als Vorteile.
Allein die Tatsache, dass an unserer Online-Umfrage innert kurzer Zeit 430 Leute zwischen 14 und 70 Jahren teilgenommen haben, zeigt, wie sehr ihnen das Thema am Herzen liegt. Es existiert immerhin noch, das Filmpublikum. Und demnächst vielleicht ja auch wieder in Ihrem Kino.