Gideon Dell hat eine Dauerkarte in der Muttenzerkurve, sein Herz schlägt aber für Chelsea. Ein Gespräch über seine Faszination für die Blues, eine bisher unbekannte Art der Nervosität und über einen «Scheissverein».
Fussball-Basel ist im Fieber. Der FCB spielt heute Abend im Europa-League-Halbfinal gegen den grossen FC Chelsea. Manche fiebern etwas mehr, wie Gideon Dell. Das Herz des 39-Jährige schlägt für beide Mannschaften, irgendwie aber doch etwas mehr für die Blues. Wir haben uns mit ihm über die Faszination für eine Mannschaft mit schlechtem Ruf unterhalten, in welchem Stadion die bessere Stimmung herrscht und warum er mit dem FC Chelsea noch besser bedient ist als sein Vater mit seiner Lieblingsmannschaft.
Herr Dell, sind Sie schon nervös?
Ja, aber auf eine komische Art. Gegen Manchester United oder Bayern war ich auch nervös, aber es war eine andere Nervosität.
Warum?
Weil ich damals klar für den FC Basel war, es ging nur darum: kommt der FCB weiter oder nicht. Heute weiss ich nicht, wie ich reagieren werde. Ich bin Chelsea-Fan, aber begleite den FC Basel mein Leben lang. Ein seltsames Gefühl.
Aber so wie das klingt, schlägt ihr Herz eindeutig stärker für die Blues.
Sie müssen verstehen: Ich bin in England geboren, der FC Chelsea ist meine Mannschaft, seit ich vier Jahre alt bin. Hinzukommt, dass ich sehr wenig Gelegenheit habe, sie live spielen zu sehen. Für den FCB schlägt mein Herz seit 1991. Ich kann deshalb nicht anders, als sagen: Der FC Basel ist meine Nummer 1 – ausser sie spielen gegen den FC Chelsea – dann kann ich gar nicht anders, als für Chelsea zu sein. Mir wäre es am liebsten gewesen, meine Mannschaften wären erst im Finale aufeinander getroffen. Jetzt kann ich zumindest sagen, dass eine meiner Mannschaft sicher ins Final einzieht (lacht).
Das Spiel werden Sie aber heute Abend im Chelsea-Trikot verfolgen?
Ich bin Dauerkarten-Besitzer in der Muttenzerkurve, da kann ich nicht im Chelsea-Leibchen auftauchen. Ich werde sicher etwas von Chelsea tragen, was dezentes. Ein Freund riet mir, das Chelsea-Trikot unters FCB-Leibchen anzuziehen. Aber ich muss ehrlich gestehen: Das wird wohl zu warm, so nervös wie ich sein werde.
Und was machen Sie, wenn Chelsea ein Tor schiesst?
Ich werde versuchen, neutral zu sein. Aber im Herzen ist man hin- und hergerissen. Letztlich werde ich wohl trotzdem jubeln. Für mich gilt aber – unabhängig ob Chelsea oder Basel – die Meisterschaft mehr. Sie ist die Grundlage für weitere erfolgreiche Saisons.
Chelsea liegt zurzeit auf Rang 4, sieht nicht gut aus.
Ja, ich bin nicht wirklich glücklich mit dieser Saison. Aber wenn es ein Zwischenjahr sein soll und angesichts der Tatsache, dass unser Präsident gerne mal auch erfolgreiche Trainer wie Roberto Di Matteo auf die Strasse stellt, muss ich wohl zufrieden sein.
Sie hätten Di Matteo mehr Zeit gegönnt.
Ja, klar. Er hat doch gute Arbeit geleistet. Wenn aber nun «the special one» zurück kommt, ist das gut.
Überraschend, dass Sie die mögliche Verpflichtung von José Mourinho freut. Als er ging, hatte er einiges von seinem Status als Held eingebüsst.
Ich freue mich vor allem, wenn er ruhiger geworden ist. Aber wenn er immer noch nur provoziert – naja… Aber hoffen wir mal, dass er nicht nur älter, sondern auch weiser geworden ist. Unbestritten ist, dass er ein sensationeller Trainer ist. Er kann eine Mannschaft zu einer Einheit formen wie kaum ein anderer.
Für den FCB ist dieses Halbfinale wohl eine einmalige Chance: Chelsea gewann vergangenes Jahr die CL, hat eine Unmenge Geld. Hilft man da nicht angesichts dessen nicht zumindest ein bisschen mehr dem Underdog?
Nein, nein. Ich verstehe diese Denkweise, aber auf mich kann sie wirklich nicht zutreffen. Ich bin Engländer, mit dem englischen Fussball und Chelsea gross geworden. Ich habe auch den «Chelsea Supporters Club Switzerland» mitinitiiert – ich habe so viel Chelsea in mir, für mich gilt: Chelsea, Chelsea und dann FCB.
Wie viele Mitglieder hat der Supporters Club Schweiz?
112. Wir organisieren pro Jahr zwei, drei gemeinsame Events wie Grillfeste, zudem gibt es eine Generalversammlung und mindestens einmal pro Jahr fahren wir gemeinsam an ein Spiel nach London. Manchmal gibt es auch Trips zu Auswärtsspielen wie zum Beispiel nach Rom. Und natürlich versuchen wir möglichst viele Spiel gemeinsam zu sehen. Die meisten Mitglieder sind aus Bern, entsprechend treffen wir uns meist dort in einem Pub.
Sitzen ihre Club-Kollegen im Chelsea-Sektor heute Abend?
Ja, ein Mitglied ist extra nach England gefahren und hat gestern die Tickets geholt. Der Club hat eine Ausnahme gemacht, dass man die Tickets nicht persönlich abholen musste.
Klingt sehr symphatisch.
Naja, wir sind ein «Official Fanclub» und dafür mussten wir ziemlich viele Vorgaben erfüllen. Man erhält ziemlich wenig dafür als Gegenleistung: Für die Tickets heute Abend mussten wir richtig kämpfen, dabei sind wir der «Chelsea Supporters Club Switzerland». Man hätte auf uns zukommen können, stattdessen mussten wir «bitti-bätti» machen. Aber bei einem Verein mit so vielen Fans ist das wohl so. Im Endeffekt ist das Entgegenkommen nett.
Sie bestätigten ein wenig den Ruf des FC Chelsea als unsympathischem Verein. Woher stammt ihre Faszination für den Verein?
Als ich vier Jahre alt war, kam mein Vater zu mir und sagte: «Es ist Zeit dich für eine Mannschaft zu entscheiden.» Chelsea spielte damals von oben bis unten ganz blau, wirklich ganz blau. Kein bisschen weiss. Und meine Lieblingsfarbe war damals blau, so kam ich zu Chelsea. Ich hab sogar noch das Trikot-Plakat von 1978, das mir half, die Mannschaft auszuwählen.
Nicht gerade eine fantypische Geschichte.
Na, lieber so, als dass ich mich für den Verein meines Vaters entschieden hätte: Leyton Orient, was für ein Sch…verein! Die Mannschaft stammt vom Eastend von London, wo David Beckham herkommt. Und zumindest konnte ich mich auch über die Niederlage einer meiner Brüder freuen, der ist Tottenham-Fan.
Und der andere?
Liverpool, wir haben also eine bunte Mischung zuhause.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem FCB und Chelsea?
Nein, nicht wirklich. Der eine Verein ist gut geführt, der andere katastrophal. Ah, doch: Beide haben viel Geld. Bloss hat der eine Club wegen einer guter Führung Geld und der andere wegen eines reichen Russen. Die autoritäre Art von Abramowitsch, den Verein zu führen, müsste nicht sein. Aber der ist halt so erzogen worden, der kennt das nicht anders. Ich würde mir lieber die symphatische Art von Heusler wünschen. Und ja, es gibt noch eine weitere Parallele: Beide Clubs haben ein klasse Stadion.
Und wo ist die Stimmung besser?
Im Joggeli.
Das kam schnell.
Ja, in England gibt es eine andere Fankultur als in Mitteleuropa. Der Gesang ist auf der Insel spontan, in der Schweiz sind Choreo und Gesang orchestriert, das sorgt für bessere Stimmung. Deswegen gilt für mich: In England mag es zwischendurch bestimmt lauter werden im Stadion, aber über 90 Minuten gesehen herrscht im Joggeli die bessere Stimmung.
Zum Schluss, die wichtigste Frage: Wer gewinnt heute Abend?
Am Ende steht es 2:2 – und das Rückspiel gewinnt Chelsea mit 3:0. Ich bin etwas optimistisch – oder auch pessimistisch, je nach dem wie man es sieht (lacht).