Kaum hatte sie das Krönchen aufgesetzt, sorgte Delphine Wespiser für einen Skandal: Die Miss France sprach Elsässisch. Die Grande Nation schrie erst auf, nun bittet sie darum, die Sundgauerin von Sauerkraut und Wienerli sprechen zu hören.
Die Miss France ist omnipräsent in den Medien, ein Fort Knox aus PR-Menschen aber beschützt und bewacht Delphine Wespiser. Kein Wunder: Die 20-Jährige hat sich noch am Abend ihrer Krönung mit ein paar Sätzen auf Elsässisch den Ärger eines Teils der Grande Nation auf sich gezogen. Aus ein paar lieben Worten an den Grossvater wurde eine Diskussion um das Recht einer Sundgauerin auf den Titel der Miss France. Eine Person aber verlor während der ganzen Debatte nie die Ruhe: Delphine Wespiser. Sie liess sich den Dialekt nicht verbieten. Im Gegenteil. Sie fand in der Rettung des Elsässischen ihre Mission. «Ich möchte die Jungen wieder zum Dialekt animieren», sagt sie im Interview mit der TagesWoche. Ein Gespräch über Vorurteile, Pariser Oberflächlichkeiten und elsässische Charaktereigenschaften – auf Deutsch.
Frau Wespiser, in welcher Sprache hören Sie am liebsten Liebeserklärungen?
(Lacht) «Je t’aime», finde ich schon am schönsten. Obwohl «ich liebe dich» auch sehr schön tönt.
Wie klingt es denn auf Elsässisch?
Man sagt, «ich ha di garn».
Sie haben von Ihrem Grossvater das Elsässisch gelernt. Wie gut sprechen Sie es?
Ich spreche fliessend Elsässisch, aber nur mit meinem Grossvater. Mit anderen Leuten den Dialekt zu sprechen, dafür bin ich…wie sagt man…zu scheu.
Haben Sie denn nicht auch Freunde, mit denen Sie Elsässisch sprechen könnten?
Nein, und das ist wirklich schade. In ganz Frankreich gibt es Regionalsprachen, die aussterben, weil die Jungen sie nicht mehr beherrschen. Ich habe mir vorgenommen, zumindest das Bewusstsein für diese Regionalsprachen zu wecken. Miss France ist ja Botschafterin für viele Anliegen; ich habe mir vorgenommen, es auch für Regionalsprachen zu sein. Vielleicht hilft es, und das Interesse kommt wieder. Ich hoffe es jedenfalls und werde mit einem Kollegen in die Schulen auf Promotour gehen.
Wann haben Sie den Dialekt gelernt?
Ich habe Elsässisch schon als kleines Mädchen gehört, aber sprechen konnte ich es nicht. Mit 15 Jahren fand ich: «Jetzt musst du es lernen!» Ich habe eine super Beziehung zu meinem Grossvater. Er spricht aber nicht so gut französisch. Ich habe den Dialekt deshalb auch für ihn gelernt. Nun haben wir etwas Gemeinsames, und das ist schön.
Sie haben gesagt, dass der Dialekt ein Teil der Elsässer-Kultur sei. Was gehört Ihrer Meinung noch dazu?
Die Freundlichkeit, gutes Essen – viel Essen. Die Elsässer sind auch sehr grosszügig, und was ich am meisten schätze: Sie sind treu. Wer einen Elsässer als Freund hat, hat einen Freund fürs Leben und kann immer auf ihn zählen.
Nach Ihren ersten elsässischen Sätzen als Miss France gab es heftige Reaktionen. Sie seien nicht fähig, Frankreich zu vertreten. Sie seien eine Deutsche. Hat Sie das verletzt?
Nein, ich war stolz, als erste Miss France im Fernsehen Elsässisch gesprochen zu haben. Vor allem aber bin ich froh, dass ich mit diesen wenigen Sätzen das Thema lanciert habe. Die Leute sollen verstehen: Ja, wir sprechen Elsässer-Deutsch, aber wir Elsässer sind Franzosen!
Gibt es denn so viele Vorbehalte gegen die Elsässer?
Viele Franzosen denken wirklich, dass das Elsass gar nicht Frankreich ist und wir Deutsche sind. Irgendwie haben sie die Geschichte verpasst, das finde ich komisch. Ich mag Deutschland und liebe die deutsche Sprache. Die Mentalität kommt jener der Elsässer auch sehr nahe, aber das Elsass gehört zu Frankreich.
Was unterscheidet das Elsass vom Rest Frankreichs?
Ich lebe zurzeit in Paris. Hier sind beispielsweise die Leute unnahbar und sehr oberflächlich. Ich komme ja vom Dorf, mein Grossvater hat einen Bauernhof und für mich ist das etwas fremd. Die Elsässer sind freundlich und, wie sagt man, echt, authentisch? Aber es geht schon hier in Paris.
Klingt dennoch so, als ob Sie das Elsass vermissen?
Manchmal habe ich schon Heimweh. Ich muss deshalb regelmässig nach Hause, neue Kraft schöpfen.
Werden Sie nach Ihrem Missen-Jahr zurückkehren?
Unbedingt, ja. Ich möchte aber später auch ein Paar Jahre in Deutschland leben. Ich würde gerne jeden Tag deutsch sprechen.
Was ist mit der Schweiz, was ist mit Basel?
Ich studiere «International Business Managment», immer abwechslungsweise fünf Monate in Colmar, Lörrach sowie Basel. Ich kenne deshalb Basel und es gefällt mir. Ich könnte mir ein Leben in der Schweiz also durchaus vorstellen. Vielleicht mache ich es aber auch wie meine Eltern und lebe als Grenzgängerin.
Sie möchten sagen, was Sie denken, haben Sie einem Interview gesagt. Als Miss France dürfen Sie sich nicht zu politischen Themen äussern. Stört Sie das?
Zurzeit sind ja Wahlen und ich werde von den Journalisten immer wieder gefragt, für wen ich bin. Ich bin aber die Miss France aller Franzosen, und wenn ich solche Fragen beantworten würde, würde ich die Hälfte der Leute verärgern. Ich habe meine Ansichten, aber ich bin 20 Jahre alt, habe nicht Politik studiert und es ist nicht an mir Wahltipps abzugeben. Ausserdem gibt es ja Wahlkabinen, damit man ohne Öffentlichkeit wählen kann. Ich kann sagen: Ich bin wählen gegangen und ich werde es nun im zweiten Wahlgang auch tun. Was ich auch kann, und das freut mich sehr, mich zu Themen wie der Schule äussern. Also darf Ich durchaus politische Sachen ansprechen.
Gab es den Moment nie, in dem Sie dachten: Warum hab ich mir nur dieses Krönchen aufsetzen lassen?
Den Moment gab es und gibt es immer wieder. Miss France zu sein, ist kein Traum, es ist ein Job – ein echt harter. Ich muss immer top sein, das ist anstrengend. Es gibt auch Tage, an denen ich traurig bin, dafür ist aber eigentlich Platz. Ich muss immer lächeln. Und dann der Stress! Manchmal hab ich mir schon gedacht, es wäre schöner, Zuhause zu sein, bei der Familie und den Freunden. Ich war zum Beispiel nicht am Geburtstag meines Vaters, das war schwierig für mich. Ich erlebe dafür aber andere schöne Sachen als Miss France. Es geht mir also nicht so schlecht.
Das alte Elsass hat sich verabschiedet, schrieb Alain Claude Sulzer in der TagesWoche vom 4. Mai 2012. Die Beizen sterben, die Sprache verschwindet und damit auch die Verbindung zur Schweiz. Dass der Titel von Delphine Wespiser in ihrem Heimatort Magstatt-le-Bas wie ein WM-Titel gefeiert wurde, überrascht daher wenig. Die Fernsehstationen stürmten das Dorf und sie erfüllte bereits einen Teil ihrer Mission: Frankreich weiss, es gibt das Sundgau. Inzwischen gibt es kaum ein Interview, in dem sie nicht ein paar Worte auf Elsässisch sagen muss, wie die folgenden Videos (2. Video ab 4. Minute) zeigen.