Als «Kinostrasse» oder Einkaufsmeile ist die Steinenvorstadt im Bewusstsein der Bevölkerung fest verankert. Doch an den Wochenenden sammelt sich hier das Partyvolk, trinkt und flirtet in den Bars. Wir waren eine Nacht in der Steinen unterwegs.
Es ist kurz nach Feierabend an einem Freitag im Februar. Ein BMW mit getönten Scheiben drückt den Steinenberg hoch zum Theater aufs Gas. Zwei Minuten später folgt der nächste. Das Restaurant-Drämmli «Dante Schuggi» tuckert gemächlich vorbei und vor dem McDonald’s am Barfi steht eine Gruppe Teenies.
Sie feiern heute Abend den Geburtstag eines Kollegen, und dafür gehen sie in die Steinenvorstadt. Da laufe halt immer was. Einer der Halbstarken ruft aus dem Hintergrund: «Mir köme zum Suufe!» Die anderen lachen und meinen, er dürfe das noch gar nicht. Sehen und gesehen werden spiele sicher eine Rolle, sagt der Älteste. «Doch uns ist das nicht wichtig.» Die haargenau aufgestellten Gel-Frisuren der Jungen scheinen etwas anderes zu sagen. Dann ziehen sie davon in die Bars.
30 Franken Lohn am Tag
Ein paar Läden in der Steinen sind noch offen. Vereinzelt sieht man Pärchen mit Plastiktüten und vor dem Puppenmuseum spielt ein Strassenmusiker eine klassische Melodie auf dem Akkordeon. Er heisst Alex und wuchs in der Tschechoslowakei auf. Alex spielt seit zehn Jahren auf der Strasse. An einem guten Tag mache er 70 Franken, doch meist gehe er am Abend mit nur 30 Franken nach Hause.
Alex wirkt fahrig und scheint angetrunken zu sein. Früher konnte er den ganzen Tag in der Steinen spielen, doch seit zwei Jahren gilt die neue Strassenmusikverordnung und begrenzt seinen Arbeitstag auf dreieinhalb Stunden. Jede halbe Stunde muss er für eine halbe Stunde still sein. Dafür braucht er keine Bewilligung oder muss Gebühren zahlen, wie in Winterthur. In Biel müsste Alex gar bei der Gewerbepolizei zum «Casting» antraben.
Von weiter oben in der Steinen kommt bald ein anderer Strassenmusiker dazu. Stefan nervt sich ebenfalls über die Spielzeiten. Er glaubt Alex nicht, dass dieser immer noch 70 Franken verdienen könne. Zumal der Erfolg sehr vom Wetter abhängig sei. «Wenn es regnet, gibts gar nichts.» Stefan erzählt ruhig, und seine Geschichte scheint nachvollziehbar: Seit fünf Jahren ist er auf Arbeitssuche, er bezieht Sozialhilfe, seine Frau arbeitet als Putzhilfe. Sie kommen mehr schlecht als recht über die Runden. Eine Polizeistreife wirft im Vorbeigehen skeptische Blicke auf die beiden. In einer guten halben Stunde müssen sie weg sein, dann ist die Strassenmusik nicht mehr erlaubt. Spielen sie trotzdem weiter, gibt es eine Busse von 80 Franken und die beiden können weggewiesen werden. Beides ist ihnen schon passiert. Für eine belebte Innenstadt sorgen dann andere.
Die Kloake aus dem Mittelalter
Zum Beispiel die rauchenden Gäste vor dem Mr. Pickwick Pub. Kurz vor 20 Uhr hört man hier fast nur Englisch. Drinnen sind die Männer deutlich in der Überzahl und stecken auffallend oft in Hemden. Die obersten Knöpfe sind offen, die Krawatten hängen lose um den Hals und vor ihnen steht meist ein Schwarzbier. Bis auf den letzten Platz ist der Pub besetzt und auch um die Bar sind die Gäste dicht gedrängt. Die Wände sind aus ockerfarbenen Fachwerk-Imitaten und verleihen zusammen mit den alten Bierreklamen dem Ort einen historischen Anstrich. Geht man beim Pub um die Ecke, steht man auf dem Birsig-Parkplatz.
Unter den Parkplätzen plätschert hier ein Stück Basler Geschichte. Der Birsig floss einst von der Heuwaage her quer durch die ganze Innenstadt und diente der Bevölkerung im Mittelalter als Entsorgungsbecken. Neben Fäkalien wurden hier auch Tierkadaver entsorgt und machten den Fluss zur stinkenden Kloake voller Krankheitserreger. Die Steine am Ufer des Baches gaben dem Quartier seinen Namen und führten schliesslich auch zur Redewendung «in der Steinen».
In verschiedenen Etappen seit dem 13. Jahrhundert wurde der Birsig von seiner Mündung in den Rhein an der Schifflände her in Richtung Heuwaage überdohlt. Der letzte Teil folgte auf dem Birsigparkplatz Ende der Vierzigerjahre. An die Kloake und die Hochwasser von damals erinnert jetzt nichts mehr.
Am nördlichen Ende des Parkplatzes finden sich an den Morgen der Wochenenden die letzten Gestrandeten des Nachtlebens. Ab drei Uhr morgens kann im «Saxofönli» bis weit nach Sonnenaufgang noch getanzt werden. Das endet nicht immer friedlich: Im vergangenen Jahr gab es hier eine üble Schlägerei, dabei mussten neben einem Gast auch der Türsteher und ein Polizist ins Spital gebracht werden.
Kokain-Lines vom Fenstersims
Das Architektur-Potpurri in der Steinen ist nun ganz von der Dunkelheit verschluckt.
Neben dem denkmalgeschützten Variété-Theater «Küchlin» von Anfang des 20. Jahrhunderts und zwei weiteren geschützten Gebäuden am Anfang der Strasse findet man in der Strasse eine Reihe hässlicher Bürogebäude. Es weht ein kalter Wind und schnell wünscht man sich wieder in eine Bar.
Die Teenie-Geburtstags-Gruppe von vorhin hat es sich in einer Nische des «Jerry’s» bequem gemacht. Im nervösen Blitzlicht der Discobeleuchtung trinken sie hier Whisky-Cola, Gin Tonic und Wodka Lemon für weniger als 10 Franken. Aus den Boxen ballert Gangsta-Rap, und bestellt man eine Stange, bekommt ein 0,25l-Fläschchen Heineken. Lange hält man es hier nicht aus, ausser man ist Teenager oder betrunken.
Ein paar Häuser weiter im «Bücheli» muss man erst mal die Mütze ausziehen, um reinzukommen. Freie Plätze sind auch hier Mangelware. Die Leute im «Bücheli» scheinen viel Wert auf ihr Äusseres zu legen, und der Steinen-Mythos vom «Sehen und gesehen werden» findet hier seine Entsprechung: Die Blicke schweifen umher, alle Reinkommenden werden begutachtet. Bier trinkt auch hier fast niemand. Beliebter scheint ein Drink Namens «Schwerer Matrose» zu sein, will man betrunken werden, sei das der direkteste Weg.
Um die Ecke im Steinenbachgässlein stehen gut zwanzig Leute vor der «Balz». Der im September des vergangenen Jahres eröffnete Club hat sich schnell im Basler Nachtleben etabliert. Diesen Monat soll im Obergeschoss eine Bar folgen, das «Baltazar». Zwanzig Meter weiter kommt ein Pärchen aus einem Wohnhaus. Für drei Zimmer und 80m2 zahlen sie 1500 Franken. Laut sei es vor allem an der Fasnacht in der Steinen, erzählen sie. Am Sonntag könne man die «Kotzeflecken» im Hintergässlein zählen und das Kokain würden sich die Leute manchmal vom Fenstersims in die Nase ziehen. Doch Probleme, hier zu wohnen, hätten sie nicht. «Unser Schlafzimmer geht sowieso nicht auf die Steinen hinaus.»
12 von 24 Stunden ist die Polizei da
Kurz darauf kommt uns eine Polizeistreife entgegen. Heute Nacht sei es noch ruhig. Im Sommer gäbe es mehr Grund für eine Reportage, meinen sie. Die beiden Polizistinnen und der Polizist gehören zur zweiten Gruppe des «Einsatzelements Brennpunkt», das die Basler Kantonspolizei im Mai vergangenen Jahres ins Leben rief. Ziel des Unternehmens ist es, die Sicherheitslage an den sogenannten «Brennpunkten» vor allem am Abend und in der Nacht mit mehr sichtbaren Beamten zu verbessern. Dazu gehören neben der Steinen auch die parallel verlaufende Steinentorstrasse, die Heuwaage, der Theaterplatz und der Barfi.
Im vergangenen Sommer führte die Polizei auf diesem Gebiet über 1000 Personenkontrollen durch, nahm fast 60 Menschen fest und leistete über 1200 Stunden Fusspatrouillen-Dienst. Im Durchschnitt war damit fast die Hälfte eines ganzen Tagesverlaufs eine Fusspatrouille der Polizei auf diesem Gebiet unterwegs. Die Fahrzeugpatrouillen von ebenfalls über 1000 Stunden sind dabei noch nicht mitgerechnet.
Doch das war erst der Anfang: Bereits im Dezember letzten Jahres nahm eine weitere Gruppe des «Einsatzelements Brennpunkt» ihre Arbeit auf. Damit haben sich die geleisteten Stundenzahlen verdoppelt. Die 14 Polizistinnen und Polizisten der zweiten Gruppe stehen teilweise gleichzeitig mit der ersten Gruppe im Einsatz oder wechseln sich ab. Bis im Frühling des nächsten Jahres soll eine dritte Gruppe den Dienst angetreten haben. Die Stundenzahl erhöht sich wiederum entsprechend der zusätzlichen Mitarbeitenden.
Der Mist wird abgeführt
Ziel der Polizei ist es, die Gruppen möglichst oft auf die Strasse zu schicken. Die Steinenvorstadt erscheint dann wie eine innerstädtische Hochsicherheitszone. Die Polizei habe mit dem Vorgehen durchwegs positive Erfahrungen gesammelt, heisst es von der Medienstelle. Die höhere Zahl der Fusspatrouillen käme auch bei der Bevölkerung gut an. Während andere Schweizer Städte wie Genf oder St. Gallen ganze Quartiere rund um die Uhr per Video überwachen lassen, setzt man in Basel auf Polizeiarbeit zur Kriminalprävention. Eine entsprechende Vorlage zur Videoüberwachung fiel vor drei Jahren im Grossen Rat durch. Allgemein lässt sich sagen, dass die Kriminalität im Stadt-Kanton 2013 rückläufig bis stagnierend ist. Wie weit das mit den Polizei-Patrouillen in der Innenstadt zu tun hat, lässt sich nicht sagen.
Es ist schon spät in der Steinenvorstadt. Ein Mitarbeiter des Tiefbauamts ist gerade dabei, den Mistkübel beim Eingang in die Steinen zu leeren. Nur an der Fasnacht und bei Fussballspielen hätten sie hier mehr zu tun. Ansonsten sei die Steinen wie jede andere Strasse in der Innenstadt. Der meiste Abfall lande hier sowieso in den Kübeln, sagt er, schüttet ihn auf die Ladefläche seines Wagens und fährt davon.