«Glück» nennt sich eine neue Basler Schauspieltruppe. Mit «Honegger» gaben die jungen Schauspieler in der Kaserne Basel ein vielleicht noch nicht ganz ausgegorenes, aber ausgesprochen erfrischendes Debüt, das auf weitere Bühnentaten hoffen lässt.
Stumm sitzen sie nebeneinander an einem breiten Tisch dem Publikum im restlos ausverkauften Rossstall der Kaserne Basel gegenüber. Fünf junge Männer sind es, mit einer Ausnahme alle mit einem Schnurr- oder Ganzbart im Gesicht. Die Szenerie (Bühne: Jeremias Holliger) erinnert – für einen ersten Moment zumindest – an eine Art Tribunal. An die Leitungsriege einer Vollversammlung an der Uni. Oder an eine Podiumsdiskussion – wenn da die Musikinstrumente nicht wären. Ein Schriftzug auf einer kleinen Leinwand neben dem Podium und eine Tonbandstimme stellen aber klar, dass eine Buchpräsentation bevorsteht: «Honegger – ein Panorama» heisst das Werk. Wirklich präsentiert wird das Buch aber nicht, hierfür sind die jungen Männer am Tisch viel zu sehr mit sich selber beschäftigt.
Gleich zu Beginn wird eines aber unmissverständlich klar: Bitterer Ernst ist die Sache von «Glück» nicht. «Glück» nennt sich eine Gruppe von vier jungen Schauspielern und einem spielenden Autoren, die sich zu einem «Theaterkollektiv» zusammengeschlossen haben. Vier der fünf jungen Männer sprechen Baseldeutsch – der Fünfte, ein Zürcher, kommt erst gegen Schluss zu Wort. Sie alle offenbaren sich auf der Bühne als mehr oder weniger dilettantische Musiker – die besagte Tonbandstimme bemerkt dazu, dass alle Schauspieler eigentlich am liebsten Musik machen würden, was sie auf drei schäbigen Klein-Elektroinstrumenten, einer Ukulele und einer Gitarre dann auch immer wieder tun. Es sind Schauspieler, die nach eigenen Angaben gemeinsam beschlossen haben, den Text des präsentierten Buchs nicht vorzulesen und ihn schon gar nicht zu spielen.
Gefühlsillustration
In einer Reihe sitzen sie also da: der schweigsam-coole Oliver (Oliver Goetschel), das ist, wie wir erfahren, der mit dem längsten Penis der Truppe. Neben ihm sitzt Victor (Victor Moser), der immer wieder von seinem überschäumenden ornitologischen Engagement übermannt wird. Da sitzt Benni (Benjamin Mathis), der überschwängliche und von Höhenangst geplagte «Gefühlsillustrator», neben Lukas (Lukas Kubik), der enthusiastische und von Versagerängsten geplagte Vater. Und mittendrin eingeklemmt befindet sich Gregor (Gregor Brändli), der stets traurig und verinnerlicht vor sich hinstarrende Autor des Buchs, der eigentlich (und tatsächlich) Fotograf ist, der keine Rolle spielen möchte. Sie sitzen da, um eigentlich über das Buch zu sprechen, das von einer scheinbar biografisch gefärbten Figur namens «Honegger» handeln soll, der offenbar «drei mal sieben Jahre» mit einem psychiatrischen Krankheitsbild leben musste, das sich im Nachhinein als Fehldiagnose herausgestellt habe.
Das ist im Grunde genommen eine bitterernste Vorlage. Könnte es sein. Aber wie bereits bemerkt: Mit bitterem Ernst geht diese skurrile Truppe nicht zur Sache. Und es darf auch mit Fug daran gezweifelt werden, wie ernst der Inhalt eines Buches ist, das solche Sätze enthält: «Selbst Sterne scheinen zu scheinen wie Freudentränen, die sich vor unendlich langer Zeit Starrheit schworen.» Nun, eigentlich handelt es sich ja gar nicht um ein richtiges Buch, weil es nur 48 Seiten dick ist, wo doch ein Buch laut Unesco-Definition einen «Umfang von 49 Seiten oder mehr» haben muss, wie uns der Autor aus dem entsprechenden Wikipedia-Eintrag vorliest.
Spiel mit den Grenzen
Letztendlich schaffen es die Anwesenden folgerichtig nicht wirklich, über das Buch oder über die Geschichte von «Honegger» zu sprechen, weil sie viel zu sehr in ihrer ureigenen, von Eitelkeit, Geltungssucht und Urängsten geprägten Gefühlswelt gefangen sind. Fragen an den Autoren dienen nur als verbale Schlaufe, um sogleich in Diskurse über eigene Träume, über Zukunftsängste oder über den Missbrauch von Vogel-Metaphern in der Umgangsprache abzuschweifen.
Die fünfköpfige Truppe treibt ein Spiel mit Erwartungshaltungen an der Grenze zwischen fiktiven und tatsächlichen Realitäten und Biografien. Ein Zeichen dafür ist, dass die Schauspieler und der Autor als Bühnenfiguren die selben Vornamen tragen wie im richtigen Leben. Es ist kein sonderlich raffiniert konstruiertes Spiel, aber eines das überaus vergnüglich daherkommt. Einen Jux wollen sie sich machen. Sie tun dies aber auf eine solch charmant-selbstironische und letztlich unaufdringliche Art und Weise, dass man ihnen auch die eine oder andere Albernheit nicht übelnimmt. Erst gegen Schluss des Abends lassen die Darsteller von der selbstironischen Reflexion des Schauspielerdaseins ab und damit auch inhaltliche Ernsthaftigkeit durchsickern.
Ein vielversprechendes Debüt
«Glück» besteht hauptsächlich aus ehemaligen Schauspielstudierenden der Zürcher Hochschule der Künste. «Honegger» ist die erste gemeinsame Arbeit des vor einem Jahr gegründeten Basler Theaterkollektivs. Sie ist vielleicht noch etwas sehr dem Stadium von spielerischen Fingerübungen von ebenso fantasievollen wie begabten Nachwuchsschauspielern verhaftet. Alles in allem ist es aber ein Abend, der hoffen lässt, dass die Truppe in der freien Szene Fuss fassen kann und dadurch ein baldiges Wiedersehen möglich wird.
Glück: «Honegger»
Von und mit Victor Moser, Gregor Brändli, Lukas Kubik, Oliver Goetschel, Benjamin Mathis und Jeremias Holliger
Eine Koproduktion der Kaserne Basel mit dem Theater Tuchlaube Aarau, Südpol Luzern und Migros Kulturprozent
Weitere Vorstellungen: 13. bis 15. Oktober, Rossstall Kaserne Basel